Warum TV-Serien wie Fast Food sind: Er fühlt sich schmutzig

Serien wie „Homeland“ oder „The Americans“ locken mit Cliffhangern wie McDonalds mit Fett. Unser Autor will davon loskommen. Oder bessere Serien.

Eine Person schaut Fernsehen, sie hält einen Hamburger und eine Bierflasche

Übrigens, das ist nicht unser Autor Foto: imago/Westend61

TV-Serien sind wie Fast Food: Man isst und isst, es schmeckt, man wird gierig. Bis einem schlecht wird. Satt und zufrieden ist man aber eigentlich nie. Ein guter Film dagegen ist wie ein ausgewogenes Abendessen: eine Erfrischung als Vorspeise, etwas zum Kauen, danach etwas Süßes. Und Käse schließt den Magen.

Jahrelang schwärmten alle für tolle TV-Serien. Begeistert erzählte man sich, wie originell Serien erzählen können, wie sehr sie dem Film überlegen sind. Doch ein Buch, das so simpel aufgebaut ist wie Serien, würde kaum jemand in die Hand nehmen: „Homeland“ – Terrorkitsch, „Breaking Bad“ – Drogenkitsch, „The Americans“ – Agentenkitsch. Das wären schlechte Krimis, die man beim Lesen in der Bahn in einem anderen Umschlag versteckt.

Und nein, das ist keine Geschmackssache: In Aristoteles’ Dramentheorie, auf der bis heute Filme und Bücher aufbauen, gibt es die Katharsis, die Reinigung. Wer aus einem tollen Kinofilm kommt oder einen guten Roman zu Ende gelesen hat, ist melancholisch, weil es vorbei ist, aber fühlt sich leichter und besser als vorher. Diesen Moment haben Serien nicht, sie wollen ihn auch nicht. Sie sind episodenhaft erzählt, die Struktur der Folgen ähnelt sich, selbst bei „House of Cards“ oder „Homeland“.

Wenn ich die halbe Nacht Serien schaue, auf dem Sofa vegetiere wie der Junkie, der ich bin, zwischen zwei Folgen nur noch den Weg zum Kühlschrank und zum Klo finde und dann der Abspann der letzten Folge über den Bildschirm läuft, fühle ich mich nicht gereinigt, sondern schmutzig und unzufrieden. Vielleicht ein wenig erleichtert, dass es geschafft ist. Warum fühle ich mich nicht so schlecht, wenn ich einen Roman nicht weglegen kann?

In die Länge gezogen, wie Kaugummi

Serien haben Cliffhanger, sie sollen uns süchtig machen wie Zucker oder schlechte Drogen. Das führt dazu, dass sich Serien gleichen. Egal, ob es um Drogenhandel, eine Werbefirma oder das Weiße Haus geht: Es gibt einen Spannungsbogen über eine Staffel, von dem der Zuschauer nur häppchenweise mehr erfährt. In jeder Folge hat der Held zusätzlich ein kleines Problem, das er aber innerhalb von 45 Minuten lösen kann. Und kurz vor dem Ende einer Folge passiert etwas Unvorhergesehenes, weshalb ich nach der Folge den Fernseher nicht ausmachen kann. Wie spannend? Wie langweilig!

Es stimmt, einige der gefeierten Serien sind an ihrem Ausgangspunkt genial – allerdings reicht diese Genialität meist nur für eine Staffel. So wie kaum ein zweiter Teil eines Kinofilms gelungen ist, hätten auch „Homeland“, „The Americans“, „Breaking Bad“ keine zweite, dritte, vierte Staffel gebraucht. Das Ergebnis ist reihenweise Enttäuschung.

Helfen will jeder, aber wie ist es, einen geflüchteten Syrer bei sich zu Hause aufzunehmen? Taz-Autor Hannes Koch teilte über ein Jahr lang Küche und Bad. In der taz.am wochenende vom 27./28. Mai erzählt er von dieser Erfahrung. Außerdem: In Polen trainieren immer mehr Paramilitärs für die Verteidigung der Nation. Warum machen die das? Und: Halligalli. Warum das Sgt. Peppers-Album der Beatles ein Meilenstein der Pop-Geschichte ist. Das alles am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo

Dass eigentlich spannende Geschichten in die Länge gezogen werden wie Kaugummi, ist nicht dramaturgischen Gründen geschuldet, sondern vielmehr finanziellen Erwägungen. Serien sind durch ihre Produktionsbedingungen bestimmt – und weil der finanzielle Erfolg über die weitere Dramaturgie entscheidet, sind sie in noch viel stärkerem Ausmaß als ein Kinofilm ein kulturindustrielles Produkt.

Kunst ist das nicht, die Serienmacher aber können kaum dafür haftbar gemacht werden: Für Indiefilme gibt es Dutzende Förderungen, und schon ein paar tausend Dollar können reichen. Serien sind teurer – und sie sind gezwungen, den Geschmack eines Massenpublikums zu treffen.

Natürlich, es gibt es Ausnahmen

Vier Stunden sehen Deutsche fern – jeden Tag. Vor wenigen Jahren war diese Zahl für viele Akademiker undenkbar, man war merkwürdig stolz, keinen Fernseher zu haben. Heute schauen sie wegen Net­flix und Amazon Prime Stunde um Stunde. Zum klassischen Fernsehen kommt beim Se­rien­schauen über Streamingdienste nun ein weiteres Element hinzu: Algorithmen haben die Produktion von Serien und damit unsere Sehgewohnheiten verändert.

Amazon und Netflix sagen, dass sie die Sehgewohnheiten ihrer Zuschauer bei der Produktion ihrer Inhalte berücksichtigen. Anders als im Kino, wo die Menschen mit den Füßen abstimmen, können die Anbieter heute genau sagen, in welcher Szene ihre Zuschauer abschalten. Also, wann es langweilig wird.

Adorno kritisierte, dass die Kulturindustrie ihre Produkte zu einer „unerträglichen Uniformität“ treibe. Auf Serien trifft das umso mehr zu, weil sie geschrieben werden, während sie bereits auf dem Markt sind: „Die Konsumenten werden als statistisches Material auf der Landkarte der Forschungsstellen, die von denen der Propaganda nicht mehr zu unterscheiden sind, in Einkommensgruppen, in rote, grüne und blaue Felder aufgeteilt.“

Das böse Fernsehen? Das ist, Adorno hin oder her, ein unerträglich konservatives Argument. Doris Akrap hat vor wenigen Tagen in der taz zu recht darauf hingewiesen, dass viele Serien seit Anfang der Neunziger Jahre progressiv darin waren, Geschlechterrollen, Rassismus und Machtverhältnisse zu beschreiben: „The Wire“ ist nur das am häufigsten genannte Beispiel. Eine Kritik an Serien ist deshalb auch keine an der Auswahl ihrer Stoffe, die jener des Kinofilms oft voraus sind, sondern an Form, Dramaturgie und Produktionsweise.

Natürlich, es gibt Ausnahmen, die kein Fast Food sind, sondern Gourmet. „The Wire“, „Left­overs“. Und es ist kein Zufall, dass immer öfter Anthologien geschrieben werden. „Fargo“ etwa funktioniert über zehn Folgen, dann ist die Geschichte abgeschlossen. Die zweite Staffel hat mit der ersten nichts zu tun. In Serien wie „The Mirror“ sind die einzelne Episoden nur thematisch, nicht inhaltlich verbunden. Vielleicht ist das der Ausweg aus dem Serienkoma.

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