Kreuzbandrisse im Frauenfußball: Männer sind noch viel zu oft die Norm
Nicht nur Lena Oberdorf ist betroffen: Seit Jahren gibt es eine Häufung von Kreuzbandrissen im Frauenfußball. Das müsste so nicht sein.
D ie Verletzung von Lena Oberdorf schmerzt schon beim Zuschauen. Wie sich die Fußballerin von Bayern München im Zweikampf unglücklich das Knie verdreht, zu Boden geht, sofort die Hand hebt. Bandagiert vom Platz muss, nackte Verzweiflung im Gesicht. Und dann die Gewissheit: schon wieder ein Kreuzbandriss. Der zweite in nur 16 Monaten. Es tut in der Seele weh. Umso mehr, weil das Leid möglicherweise vermeidbar gewesen wäre.
Seit Jahren beschäftigt eine Häufung an Kreuzbandrissen speziell den Fußball der Frauen. Derzeit fehlen 16 Bundesligaspielerinnen mit dieser Verletzung, im Ausland ist die Lage ähnlich krass. Laut einer Untersuchung haben Fußballerinnen ab der Pubertät ein fast dreimal so hohes Risiko für Kreuzbandrisse wie Fußballer. Ihr Kreuzband ist dünner, der Körperbau etwas anders, auch der Zyklus soll eine Rolle spielen. Doch nichts Genaues weiß man nicht.
Auch dieses Unwissen tut weh. Für die letzten Jahre kann man den Verbänden Fifa und Uefa wenig vorwerfen: Sie haben das Thema erkannt und finanzieren viel in Forschung. Dennoch trägt die Fußballpolitik für das fortdauernde Leid der Spielerinnen maßgeblich Verantwortung. Denn immer noch trainieren Spielerinnen häufig nach Plänen, die für Männer geschrieben sind. Sie tragen Fußballschuhe, die für Männerfüße gestaltet wurden. Sie trainieren auf schlechterem Rasen. Sie haben eine lächerliche medizinische Abteilung im Vergleich zu den Männern.
All das trägt zur Masse der Kreuzbandrisse bei. Fälle wie der von Lena Oberdorf wären mindestens teilweise vermeidbar – wenn man endlich nicht mehr den Mann als Norm nehmen würde.
150 Jahre Fußballsexismus zerstören dabei auch Karrieren. Eine Langzeitstudie (natürlich an Männern durchgeführt!) fand heraus, dass nur 65 Prozent der Kreuzbandverletzten drei Jahre später noch auf demselben Niveau kickten. Für ein Drittel der Betroffenen also ruiniert der Riss zumindest partiell die Laufbahn. Professionalisierung und Trainingsexpertise helfen: Im Amateurfußball ist das Risiko für Kreuzbandrisse deutlich höher als bei den Profis. Kein Wunder, dass Frauen häufiger betroffen sind, die oft noch wie Amateurinnen trainieren.
Und doch, nicht an allem ist das Patriarchat schuld. Die Forschung ist noch lückenhaft, aber es scheint, dass Kreuzbandrisse bei Männern zunehmen. So schlug für die Premier League jüngst Promi-Spielerarzt Ramón Cugat wegen eines Rekordhochs Alarm. Eine US-Langzeitstudie im Jugendsport wies einen heftigen Trend von 2,3 Prozent mehr Kreuzbandrissen jedes Jahr auf. Offenbar hängen die Verletzungen mit der Belastung zusammen. In der italienischen Serie A gibt es signifikant mehr Kreuzbandrisse bei Teams auf den vorderen Plätzen. In den vier europäischen Topligen der Frauen hatten Kreuzbandverletzte kürzere Spielpausen als nicht Betroffene, längere Reisen und weniger Ruhezeiten.
Der Fußball verlangt den Sportler:innen immer mehr ab. Die Zahl der Spiele ist dabei gar nicht höher, das Problem ist ihre Intensität. Sie werden schneller, physischer. In der englischen Premier League gibt es jedes Jahr mehr Sprints, Abbremsen, Sprünge, Kontakte – vor allem bei solchen Tempowechseln kommt es zu Kreuzbandrissen.
Die Frage der Belastung aber kommt im expansionsgetriebenen Frauenfußball nicht ganz so gern auf den Tisch. Denn Liberalfeminismus allein hilft da nicht. Wer Spielerinnen schützen will, muss auch etwas tun gegen das Höher-schneller-weiter. Schmerz einfach hinzunehmen, war schon immer die schlechteste Option.
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