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Gaza-TagebuchWie konnte die Hamas all das zulassen?

Unser Autor denkt an die Verzweiflung seiner Mitmenschen, an den Hunger und die Toten – und fragt sich: Warum verlässt die Hamas Gaza nicht?

Gaza ist zerstört: Wie konnte die Hamas derweil einfach in dem Küstenstreifen bleiben, fragt unser Autor Foto: Amir Cohen/reuters

N eulich ging mein Bruder ging zu den Hilfsgüterverteilungszentren an der Grenze. Aus der Not heraus: Wir hatten das Gefühl, dass uns alles ausgeht – unsere Nahrung und unser Wasser, unsere Energie. Auf dem Heimweg sah mein Bruder einen 14-jährigen Jungen, der eine Kiste mit Lebensmitteln trug. Eine Gruppe anderer Jungen versuchten, sie ihm wegzunehmen. Als mein Bruder das sah, ging er auf ihn zu. Der Junge sagte: „Diese Lebensmittel sind für meine Familie, bitte hilf mir.“ Mein Bruder zog daraufhin ein Messer, verscheuchte die Angreifer, und brachte den Jungen sicher nach Hause. Obwohl mein Bruder selbst noch ein Jugendlicher ist, weiß er, was es bedeutet, Verantwortung für die Familie zu haben. Und auch, was es bedeutet, nichts zu essen zu bekommen.

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Es gilt im Gazastreifen das Recht des Stärkeren: Menschen, die zu den Verteilungszentren gehen und keine Lebensmittel für sich finden, werden zu Plünderern und greifen Schwächere an. Menschen gehen zu den Hilfszentren – doch die israelische Besatzungsmacht tötet auch dort. So ist es etwa dem Jungen Amir ergangen, dessen Schicksal auch in den Sozialen Medien bewegt. Ein ehemals für die Gaza Humanitarian Foundation tätiger Soldat erzählt seine Geschichte so: Der 13-jährige Amir sei gekommen, um Essen abzuholen. Er habe dem Soldaten sogar die Hand geküsst. Und sei später dann erschossen worden.

Die Situation im Gazastreifen ist weiter katastrophal: An manchen Orten wird weniger bombardiert, an anderen hat der Beschuss zugenommen. Und der Hunger wird weiterhin als Kriegswaffe eingesetzt, er tötet uns noch immer. Warum wartet die Welt, bis Kinder zu Skeletten mutieren? Warum wartet die Welt bis sie sterben? Im Gazastreifen liegen Leichen in den Trümmern und verwesen, ohne dass jemand sie erreichen kann – nicht einmal Krankenwagen.

Worum es der israelischen Besatzung wirklich geht

Doch meine drängendste Frage ist: Wie konnte die Hamas all diese Demütigungen zulassen? Sie hätte Gaza verlassen sollen. Schon allein, um die Lügen der israelischen Besatzung zu entlarven, die behauptet: „Wir tun das alles nur wegen der Hamas.“

Nahost-Konflikt

Nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 startete das israelische Militär eine Offensive in Gaza, 2024 folgte der Vorstoß gegen die Hisbollah im Libanon. Der Konflikt um die Region Palästina begann Anfang des 20. Jahrhunderts.

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Ich glaube, die Wahrheit ist: Die Besatzung hungert die Menschen aus und tötet sie, weil sie sie von ihrem Land vertreiben und es für sich und ihre Bevölkerung nutzen will. Im Westjordanland gibt es kaum Aktivitäten der Hamas, dennoch sterben dort weiterhin Palästinenserinnen und Palästinenser durch israelische Siedler und Soldaten. Die Hamas hätte Gaza längst verlassen sollen – auch um der Welt zu zeigen, worum es der Besatzung wirklich geht.

Mahmoud Al-Masri ist 20 Jahre alt, stammt aus dem Süden des Gazastreifens und wurde bereits mehrfach vertrieben.

Internationale Jour­na­lis­t*in­nen können seit Beginn des Kriegs nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein. Es erscheint meist auf den Auslandsseiten der taz.

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