Web-2.0-Lehrer über digitales Lernen: "Die Schüler arbeiten selbständiger"

An der Kölner Kaiserin-Augusta-Schule setzt André Spang iPads als universelle Lernhilfen ein. Damit arbeiten Schüler an Wikis und Blogs oder produzieren Musik.

Aus alt mach Neu: in einigen Hamburger und Kölner Klassenzimmern revolutionieren Tablets bereits den Lernprozess. Bild: Photocase/MANÜ!

herrlarbig.de: Welche Funktion haben für dich Medien im Unterricht - angefangen von der Kreidetafel und dem Schulbuch bis hin zu digitalen Medien?

André Spang: Sie sind Mittel zum Zweck. Sie existieren parallel. Ich setze das ein, was gerade passt. Die Tafel - mal abgesehen davon, dass sie mich und das Klavier, das davorsteht, ständig zustaubt - ist eigentlich ein super Instrument - schnell einsetzbar, ohne Latenzen, gut zur Visualisierung - nur schlecht zur Konservierung.

Aber du arbeitest noch mit ihr?

Ich zweckentfremde die Tafel: Ich lasse die Schüler meine Tafelanschriften mit meinem Smartphone abfilmen - und stelle das später oder schon in der Stunde online, etwa auf YouToube, im Schulwiki oder auf dem Unterrichtsblog. Digitale Medien haben für mich die Chance, Inhalte nach draußen zu bringen. Sie sind schnell, bieten viele neue Möglichkeiten und sie gehören in die Lebenswelt der Schüler. Vielleicht ersetzen sie irgendwann die traditionellen Medien. Wer weiß das schon?

Ihr habt an der Kölner Kaiserin-Augusta-Schule das iPad als Endgerät für den Unterricht angeschafft. Wozu?

ist Oberstudienrat für Musik und Religion am Kaiserin-Augusta-Gymnasium in Köln. Er studierte Theologie und Musik in Saarbrücken, Jazzpiano in Köln und Arrangement und Filmscoring in Boston, wo er 1996 seinen ersten Kontakt mit WWW und E-Mail hatte. Computer und neue Medien setzt er schon immer in seinem Unterricht ein. Spang ist de facto der Web-2.0-Lehrer der Schule, er hat ein Schulwiki initiiert, und betreibt ein Projektblog zu den iPads.

Wir haben es primär angeschafft, um mit den Schülern einfach auf Weblogs und unserem Schulwiki zu arbeiten. Dazu fehlten uns die notwendigen, zahlreichen Zugangsmöglichkeiten, denn unsere Schule hat 1.000 Schüler - aber nur zwei Informatikräume. Die Nutzung dieser Web-2.0-Techniken ist für uns ein wichtiges Standbein des lebenslangen, vernetzenden und individuellen Lernens.

Wie hilft das iPad-Tablet dabei?

Der Vorteil ist seine schnelle Einsetzbarkeit - es schaltet sofort ein -, seine lange Akkulaufzeit, sein geschlossenes System (speziell beim iPad) und damit die geringe Anfälligkeit für Manipulationen, die hohe Mobilität und die intuitive Bedienbarkeit. Nachteile, wie fehlende Steckplätze oder Tastatur haben wir bewusst in Kauf genommen. Die Vorteile überwiegen für uns. Wir können die 30 Tablets mit Rollkoffern in alle möglichen Unterrichtskonstellationen der Schule transportieren.

Es kann wenig daran kaputtgehen, und die Geräte stehen dem Unterrichtsfluss nicht im Weg. Man kann sie kurz einsetzen. Danach ein Methodenwechsel - und sie liegen umgedreht auf dem Tisch. Oder man reicht sie herum, um etwa Mindmaps oder Bilder oder Präsentationen anderen Schülergruppen zu zeigen. Oder man schließt sie am Ende der Stunde zur Frontalpräsentationen an den Beamer an.

Wie unterstützt das iPad das eigenständige Lernen von SchülerInnen?

Vor allem durch das selbständige Arbeiten im und mit dem Netz, aber auch durch die Erstellung von Präsentationen. Wir können Musik produzieren, Texte - etwa durch kollaboratives Schreiben im Wiki oder per Google-docs. Wir können Podcasts und Audioboos herstellen. Ein Beispiel: Eine fünfte Klasse mit 30 Schülern hat nach einer kurzen Einführung von mir in die App "Garage Band" (eine App zur Produktion von Musik, d. Red.) und ein paar Textbeispielen (Rhymes-Workshops) innerhalb zwei Doppelstunden selbstständig in Dreiergruppen mit je einem iPad pro Gruppe zehn komplette Songs produziert.

Sie haben sie ohne weitere Hilfe im Wiki getextet, aufgenommen, abgemischt und an mich gemailt. Auch in anderen Fächern habe ich durch das moderne Tablet eine starke Motivation und sehr konzentriertes und genaues Arbeiten beobachten können. Dazu gibt es ja auch konkrete Umfrageergebnisse in der Schülerschaft und auch O-Töne in Form von Interviews.

Wo bleibt der Raum für SchülerInnen, die "analoge Lerntypen" sind, also: die gerne per Hand schreiben?

Es ist nicht so, dass wir ausschließlich Tablets einsetzen. Das ist ja gerade das Gute daran, dass man sie nur kurz, für eine Recherche benutzt - und dann wieder ein anderes Medium einsetzt. Die Schüler werden im Übrigen nicht ans Tablet gezwungen, man kann seine Notizen auch ins Heft machen.

Ich habe mir das Wiki angeschaut. Dafür, dass über 1.000 SchülerInnen an eurer Schule sind, gibt es überraschend wenig Einträge.

Es gibt einen Kern von Kollegen, die das Wiki nutzen. Anfangs gehörten dazu etwa 10 Leute, danach schrumpfte das Kernteam auf drei oder vier. Daher haben wir eine erneute Kollegiumsfortbildung zum Thema Wiki angeboten. Wir sind uns bewusst, dass da noch einiges nach vorne gehen muss. In den ersten zehn Schultagen des neuen Schuljahres haben wir darüber hinaus fast 100 Schüler neu im Wiki angemeldet - ich denke, das wird einen kräftigen Schub geben.

Wie viele LehrerInnen nutzen den Klassensatz an Tablets?

Wir haben 70 Kollegen, 30 arbeiten regelmäßig damit.

Und wie viele SchülerInnen arbeiten mit den Geräten?

Bis jetzt waren es 500 von den 1.000 Schülern. Bis Ende dieses Halbjahres wollen wir alle Schüler erreichen.

Warum benutzt ihr nicht gleich die paar Smartphones, die in den meisten Klassen sowieso anzutreffen sind?

Das wäre allenfalls zur Recherche möglich - ist aber unter anderem wegen der Sicherheitsvorschriften nicht angesagt. Zum Arbeiten im Netz, an Präsentationen sind die Bildschirme ohnehin zu klein.

Inwiefern haben SchülerInnen, die mit dem iPad arbeiten, überhaupt noch Anlass, sich auf Faktenwissen einzulassen? Ist doch eh alles recherchierbar!

Diese zentrale Frage stellt sich in der heutigen Wissensgesellschaft generell - warum muss man noch geschichtliche Zahlen auswendig lernen? Braucht man die Bruchrechnung noch? Ich glaube, wenn man all dies sinn- und anwendungsfrei einpaukt, ist man in Zukunft zum Scheitern verurteilt. Hier kann das iPad ins Spiel kommen - zum Beispiel, um Fakten im Zusammenhang darzustellen und zu vernetzen. Außerdem gibt es gerade im Bereich der gezielten und qualitativen Recherche viele Einsatzmöglichkeiten - hier liegt auch in Zukunft der Arbeitsschwerpunkt des Lehrers. Er ist dazu da, Anleitung und Unterstützung bei der Recherche zu geben und Diskussions- und Urteilsfähigkeit der Schüler herauszuarbeiten.

Welche Kompetenzen fördert das iPad?

Einiges hatte ich schon erwähnt: Selbständiges Arbeiten, individuelles Lernen, Teamarbeit und Kollaboration. Dazu kommen noch ein paar spezifische Medienkompetenzen wie Präsentation, versierter Umgang mit Office-Tools. Mir ist vielleicht am wichtigsten, dass die Schüler konstruktivistisches Vorgehen erfahren, dass das Lernziel nicht im Mittelpunkt steht, sondern der Arbeitsprozess.

Leidet die Kompetenz, sich der Handschrift als Kulturtechnik zu bedienen, nicht noch zusätzlich unter dem iPad-Einsatz?

Wie hat der Technikphilosoph Gunter Dueck gesagt: "Heute ist das Internet erfunden (und der Leitmedienwechsel hat stattgefunden), nehmen wir es hin, es führt zur notwendigen Krise und dann zu einer anderen Welt." Trotzdem stellt sich die Frage, welche Bedeutung die Handschrift in Zukunft noch haben wird. Oder meißelt heute noch jemand seine Notizen in Stein?

Neue Technologien im Unterricht - das bedeutet, dass man didaktische und methodische Modelle überdenken muss. Wie integriert ihr diese Reflexionsprozesse in die engen Zeitkorridore der LehrerInnen?

Der Einsatz der Medien im Unterricht kann auch zur Entlastung des einsetzenden Kollegen beitragen. Denn die Schüler arbeiten selbständiger, und der Kollege gewinnt dadurch Zeit im Unterricht, um individueller auf einzelne Schüler einzugehen.

Gab es ein Erlebnis im Unterricht, das dich beim Einsatz von Tablet-PCs besonders erschüttert hat?

Nein, da muss ich leider passen - alles problemlos verlaufen, ohne Erschütterungen.

Was war bisher deine schönste Erfahrung?

Oh, es gab viele positive Erfahrungen: Konzentriert und produktiv arbeitende Klassen, die vorher im Unterricht immer nur abgelenkt, laut und unproduktiv waren. Erstaunliche Ergebnisse bei der Musikproduktion, gerade was das selbständige Arbeiten und das kreative Vorgehen der Schüler betrifft. Am schönsten war für mich die fünfte Klasse, die in der letzten Doppelstunde am Nachmittag um 15.15 Uhr einfach nicht nach Hause gehen, sondern weiterarbeiten wollte. Dem habe ich allerdings nach zehn Minuten Verlängerung einen Riegel vorgeschoben.

Zum Schluss ein Blick nach vorn: Wie sieht der Unterricht in zehn Jahren aus?

In der Schule werden alle ihre eigenen Instrumente im Unterricht nutzen, egal ob Smartphone, Tablet oder Textbook, um damit auf die Informationen und das Wissen der Menschheit zugreifen zu können und dieses Wissen um eigenes, bedeutsames Wissen bereichern. Der Lehrer wird zum Lerncoach. Er wird auf seinem Weg vom Wissensvermittler hin zum Berater eine motivierende, anleitende, organisierende und das Lernergebnis bündelnde Rolle einnehmen. Sein spezialisiertes Wissen ist dann nicht mehr so bedeutend - es geht um andere Dinge. Um Konzepte, um gemeinsames Lernen und Partizipation.

Interview: herrlarbig.de

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