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Wegen Schmierereien gegen MerzRechtswidrige Hausdurchsuchung bei SPD-Nachwuchspolitikerin

Ein Gericht hat nach Schmierereien gegen Merz die Wohnung einer SPD-Politikerin durchsuchen lassen. Die Direktorin des Gerichts ist Merz’ Ehefrau.

Rechtswidrige Hausdurchsuchung bei einer Juso-Politikerin wegen Anti-Merz-Graffitis in Menden Foto: Carsten Linnhoff/picture alliance

Düsseldorf afp/ots/taz | Bei einer SPD-Nachwuchspolitikerin aus Menden im Sauerland hat es nach WDR-Recherchen eine rechtswidrige Hausdurchsuchung gegeben. Ermittelt wurde wegen Farbschmierereien, mit denen CDU-Chef Merz im Januar im Wahlkampf beleidigt worden war. Pikant: Erlaubt hatte die Hausdurchsuchung das Gericht, dessen Direktorin Charlotte Merz, die Ehefrau des heutigen Bundeskanzlers, ist.

Wie das WDR-Magazin Westpol am Sonntag berichtete, beschlagnahmten Beamte Anfang April in Menden bei der damals 17-jährigen Juso-Ortsvorsitzenden Nela Kruschinski ihren Laptop, ihr Handy sowie mehrere Notizbücher. Kruschinski habe damals kurz vor ihrem Abitur gestanden.

Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hatte wegen des Verdachts ermittelt, sie könne für mehrere Graffiti im Ort verantwortlich sein: Farbschmierereien, mit denen ein paar Wochen vorher im Bundestagswahlkampf der damalige Kanzlerkandidat Friedrich Merz und die CDU attackiert worden waren.

„Merz aufs Maul“ und „Antifa in die Offensive“ stand etwa an der Schützenhalle in Menden-Huingsen, als am 26. Januar 2025 Merz dort in Begleitung seiner Ehefrau Charlotte auftrat. In der Nacht davor waren die Parolen an die Wand gesprüht worden. Nela Kruschinski bestreitet die Tat.

Durchsuchung ohne stichhaltigen Verdacht

Tatsächlich ist der Durchsuchungsbeschluss gegen sie inzwischen vom Landgericht Arnsberg, der nächsthöheren Instanz, als rechtswidrig bewertet worden. Die Entscheidung liegt dem WDR-Magazin Westpol vor. Die Recherchen zeigen: Es hat gegen Nela Kruschinski keinen einzigen stichhaltigen Verdacht gegeben.

Der Durchsuchungsbeschluss stützte sich demnach auf zwei Hinweise: die vage Aussage einer Zeugin, sie hatte zwei jüngere Personen nachts in der Nähe der Schützenhalle gesehen, eine Frau und einen Mann. Erkannt hatte sie beide nicht. Eine Aussage, die das Landgericht Arnsberg als „ersichtlich nicht geeignet“ bewertet hat.

Der zweite Hinweis ging anonym bei der Polizei in Hagen ein: Ein Zettel, auf dem dazu aufgefordert wird, zwei Personen „ins Visier“ zu nehmen, nämlich Nela Kruschinksi und ihren Bekannten. Weitere Informationen lieferte der Zettel nicht. Von wem er kam, ist bis heute nicht bekannt.

Auch der Strafrechtsprofessor Till Zimmermann von der Universität Düsseldorf beurteilt diese Hinweise als substanzlos: „Wenn ich das sehe als ein Richter, muss ich zu dem Schluss kommen, wir haben es hier gar nicht mit einer Verdächtigen zu tun.“ Ein anonymer Hinweis in solcher Form könne eine „reine Denunziation“ gewesen sein. Das müssten Polizei und Staatsanwaltschaft berücksichtigen.

Warum der Ermittlungsrichter am Amtsgericht Arnsberg den Durchsuchungsbeschluss trotzdem unterschrieb, bleibt offen. Es handelt sich nach Westpol-Informationen um einen Richter auf Probe, der noch nicht fest einem Gericht zugeordnet ist.

„Totalversagen der Staatsanwaltschaft“

Pikant: Die Direktorin des Amtsgerichts ist die Ehefrau des Bundeskanzlers und CDU-Chefs, Charlotte Merz. Sie bestreitet auf Westpol-Anfrage, in dem Fall Einfluss genommen oder etwas von dem Durchsuchungsbeschluss gewusst zu haben. Bewerten dürfe sie den rechtswidrigen Beschluss auch nicht: „Die Verfahrensführung und die Entscheidungsfindung sind vom Kernbereich richterlicher Unabhängigkeit umfasst.“ Inhaltlich überprüfen müsse das das nächsthöhere Gericht.

„Ich bin jetzt seit fast 30 Jahren anwaltlich tätig. So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt Thomas Kutschaty dem WDR. Der SPD-Landtagsabgeordnete und frühere NRW-Justizminister vertritt Nela Kruschinski als Verteidiger. Kutschaty hatte Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegt, erst am Amtsgericht Arnsberg, das die Durchsuchung genehmigt hatte. Danach mit Erfolg eine Instanz höher beim Landgericht.

Was Kutschaty auch empört, ist die Art, wie der Beschluss zustande gekommen ist. Laut Gesetz muss die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Hausdurchsuchung stellen. Doch laut WDR-Informationen fehlt ein solcher Antrag in den Akten. Die Polizei Hagen hatte die Durchsuchung bei Gericht lediglich „angeregt“ und dazugeschrieben, die Staatsanwaltschaft schließe sich dem an.

Der Ermittlungsrichter soll gegenüber dem höheren Gericht später eingeräumt haben, dass er gar keinen Kontakt zur Staatsanwaltschaft hatte. Das alles bewertet das Landgericht als „rechtsstaatlich bedenklich“.

Auf WDR-Anfrage rechtfertigt die Staatsanwaltschaft das Vorgehen. Dass der Antrag durch die Polizei übermittelt wird, sei zulässig, etwa wenn es eilig sei. So könne „ein möglicherweise zeitraubender Aktentransport vermieden“ werden. Eile ist in diesem Fall allerdings offensichtlich nicht geboten gewesen: Zwischen der Unterzeichnung des Durchsuchungsbeschlusses und der Vollstreckung lag ein ganzer Monat.

Nela Kruschinskis Anwalt Kutschaty spricht von einem „Totalversagen der Staatsanwaltschaft“. Hätte sie die Hinweise sorgfältig geprüft, hätte ein rechtswidriger Eingriff verhindert werden können.

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