Weggefährte Mandelas über Apartheid: „Ich wollte nicht schuldig sein“

Denis Goldberg setzte sich in Südafrika gegen Apartheid ein. Stillhalten im Kampf gegen Rassismus war für ihn keine Option. Nun sorgt ihn die Korruption im ANC.

Zwei Menschen bei einer Passkontrolle

Pässe von schwarzen Bürgern wurden in Südafrika bis 1986 besonders häufig geprüft Foto: imago/United Archives International

taz: Herr Goldberg, warum reisen Sie mit 84 Jahren noch um die Welt?

Denis Goldberg: Ich muss meine Geschichte erzählen – gerade jungen Menschen. Sie wachsen mit einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid anderer Menschen auf. Das finde ich inakzeptabel.

Sie waren der einzige Weiße, der zusammen mit Nelson Mandela zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Wir haben den Rassismus per Gesetz, die Apartheid, besiegt. Aber Rassismus ist überall in der Welt zu finden. In Deutschland erstarkt gerade die AfD, die das Land verändern will. Aber Deutschland hat richtig gehandelt, als es die Geflüchteten aufgenommen hat. Bei einer Bevölkerung von 80 Millionen Menschen sind eine Million Geflüchtete nichts. In Südafrika leben bei einer Bevölkerung von rund 50 Millionen Menschen, fünf Millionen Einwanderer ohne Papiere.

Auch in Südafrika werden Geflüchtete immer wieder Opfer rassistischer Übergriffe.

Ja, weil es schreckliche Armut gibt – ein Erbe der Vergangenheit. Schwarze Menschen haben in unserem modernen Südafrika die gleichen Rechte wie Weiße, aber sie sind arm, weil sie ausgeschlossen wurden. 48 Prozent der schwarzen, jungen Menschen haben keine Jobs. Sie sind deshalb sehr frustriert. Sie sind gut ausgebildet, weil sie frei geboren wurden, zur Schule gehen konnten und viele auch zur Universität, aber sie finden keine Arbeit.

Woran liegt das?

Es liegt an dem Rassismus, der in der Vergangenheit in unsere Gesellschaft gepflanzt wurde. Wenn es zwei Bewerber mit den gleichen Qualifikationen für einen Job gibt und der Arbeitgeber weiß ist, wird er in der Regel den weißen Bewerber einstellen. Die Regierung hingegen stellt vorwiegend schwarze Menschen ein, weil wir die Ungleichheit der Vergangenheit überwinden müssen. Aber das führt dazu, dass sich wiederum junge weiße Menschen fragen, warum sie nicht eingestellt werden.

Der aktuelle Präsident Südafrikas, Jacob Zuma, soll seine private Villa mit Steuergeldern ausgebaut haben. Wie ist es möglich, dass gerade Nelson Mandelas Partei, der ANC, so im Sumpf steckt?

Denis Goldberg, 84, kämpfte gemeinsam mit Nelson Mandela gegen die Apartheid in Südafrika, wurde deshalb zu lebenslanger Haft verurteilt und saß 22 Jahre im Gefängnis. Er gehörte einer militanten Untergrundgruppierung, der Umkhonto we Sizwe, an und ist bis heute Mitglied der Partei African National Congress (ANC). Im Gefängnis schloss der Bauingenieur drei weitere Studiengänge ab. Als Menschenrechtsaktivist reist er seit seiner Freilassung um die Welt. In Hannover war er auf Einladung des Verbands für Entwicklungspolitik Niedersachsen. Seine Lebensgeschichte hat er in dem Buch "A Life for Freedom: The Mission to End Racial Injustice in South Africa" festgehalten. Univ Pr of Kentucky, 2016, 504 Seiten.

Es gibt Menschen im ANC, die sagen, dass sie nicht im Freiheitskampf gelitten haben, um arm zu bleiben. Wir leben in einer Welt des Bling, wo reich zu sein und den Reichtum zu zeigen, ein Maßstab für Erfolg sind. Die Politiker haben Zugang zu Verträgen und Ressourcen und sagen, wir machen nur, was andere machen. Und das ist die Wahrheit. Weiße, englischsprachige Südafrikaner hatten früher als Gruppe ein sehr komfortables Leben. Aber wer bearbeitete das Land, arbeitete in den Fabriken, förderte das Gold? Wer starb unter der Erde? Das waren schwarze Menschen.

Trotzdem: Wie ist es gekommen, dass sich die Korruption so in das neue System gefressen hat?

Es ist schwierig, der Versuchung zu widerstehen. Viele Menschen bleiben standhaft, einige nicht. Und es sind die Korrupten, die reich werden und kontrollieren, mit welchen Bewerbern Posten in der Polizei oder der Staatsanwaltschaft besetzt werden.

Der ANC regiert schon seit 1994. Glauben Sie als Parteimitglied, dass ein Machtwechsel gut für die Demokratie wäre?

Vielleicht wird das so kommen. Als Mitglied der Parteiveteranen bin ich sehr besorgt. Wir hoffen, dass wir junge Menschen davon überzeugen können, neue Anführer zu wählen.

Neue Anführer von der gleichen Partei?

Die Werte und Ziele des ANC sind die richtigen. Was alles erreicht wurde in gerade mal 23 Jahren, ist beachtlich. Aber gleichzeitig wurden die demokratischen Rechte von einem Präsidenten beschädigt, der die Verfassung verletzt.

Warum ist jemand, der schon vor seiner Amtseinführung in beinahe 800 Fällen wegen Korruption beschuldigt wurde, Präsident geworden?

Denken Sie an die große Zahl von Nazis, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch in hohen Positionen waren. Wie war das möglich? Es ist einfach, dazusitzen und über die armen Afrikaner zu urteilen.

Trotzdem hatte gerade der ANC hohe Ideale, wollte Mandelas Regenbogennation fortsetzen.

Wir haben eine sehr demokratische Verfassung mit unabhängigen Gerichten und Medien. Heute ist die Forderung nach einer Veränderung lautstark zu hören. Die Menschen demonstrieren. Das ist das Wesen von demokratischem Leben. Ich kann im Fernsehen sagen: „Präsident, du bist korrupt. Geh!“ Während der Apartheid wäre ich sofort ins Gefängnis gesteckt worden.

Haben Sie je daran gedacht, aus Protest aus dem ANC auszutreten?

In der jüngsten Vergangenheit habe ich darüber nachgedacht, ob ich bei den nächsten Wahlen für den ANC stimme oder nicht. Ich habe mich noch nicht entschieden.

Warum haben Sie selbst angefangen, gegen die Apartheid zu kämpfen? Sie gehörten eigentlich zu den Profiteuren.

Weil Apartheid falsch ist. Und ich war nicht der einzige Weiße, der so gedacht hat. Es waren Hunderte Weiße in Kirchen oder Gewerkschaften organisiert. Meine Eltern waren Kommunisten. Mir wurde beigebracht, Menschen zu respektieren. Meine Helden aus dem Zweiten Weltkrieg waren die Partisanen, die hinter den feindlichen Linien gekämpft haben. Und auch in Nazideutschland gab es Widerstand, Menschen, die ihr Leben für Freiheit riskiert haben. Weil Freiheit wichtiger ist. Ich wusste, dass auch ich das tun würde, sollte es nötig sein. Nur stillzuhalten, ist nicht genug. Du bist immer noch ein Teil davon, schuldig. Ich wollte nicht schuldig sein.

Wie haben Sie sich radikalisiert?

Ich war kein öffentlicher Redner, sondern der Typ, der die Dinge organisiert hat. Ich habe die Plakate gemacht, die andere auf Demonstrationen gehalten haben. Nach dem Massaker von Sharpeville, bei dem 69 Menschen starben, die gegen diskriminierende Passgesetze demonstriert haben, gab es einen Aufruf, eine eigene Untergrundarmee zu gründen. Meine Genossen sagten, du bist ein Ingenieur. Du weißt, wie man Brücken und Gebäude baut. Weißt du auch, wie man sie in die Luft sprengt? Ich sagte Ja.

Wie wurden Sie gefasst?

Wir wissen es bis heute nicht, ob es amerikanische Geheimdienste waren, die uns verraten haben, oder unsere eigene Unvorsichtigkeit. Als wir geschnappt wurden, habe ich gerade versucht herauszufinden, wie man Landminen baut. Als ich inhaftiert wurde, durfte ich 90 Tage mit niemandem außer der Polizei Kontakt haben. Und da war immer die Angst, dass sie dich hängen oder zu Tode foltern.

Waren Sie im Gefängnis als weißer Aktivist isoliert?

In den 22 Jahren saß ich im Gefängnis in Pretoria, nicht wie die anderen aus dem Verfahren in Robben Island. Drei von meinen Kameraden aus vorherigen Verfahren waren schon dort. Während der Zeit, in der ich saß, kamen noch über 40 Aktivisten dazu. Am Ende kennst du dich sehr genau. Jedes Husten, jeden Wind aus welchem Ende des Körpers auch immer. Es war nicht leicht für uns, weil weiße politische Aktivisten als Verräter an der weißen Rasse gesehen wurden.

Was haben Sie gemacht, als Sie entlassen wurden?

Ich bin noch am selben Tag aus Südafrika geflohen, nach Israel.

Warum wurden Sie vor Mandela entlassen?

Ich weiß es nicht. Ich war der Erste aus unserer Gruppe, der entlassen wurde, und habe es akzeptiert, 22 Jahre waren genug. Ich denke, sie haben mich entlassen, weil ich weiß bin und das Apartheidregime danach behaupten konnte, ich hätte meine Bewegung verraten. Es gab einige Genossen, die das auch gedacht haben. Aber als ich weiterkämpfen wollte, war klar, Denis ist einer von uns. So wurde ich ein Sprecher der ANC und reiste um die Welt.

Und nach dem Ende der Apartheid?

Da konnte ich nach Hause zurückkehren. In die Politik wollte ich nicht. Ich habe nicht für die Freiheit gekämpft, damit ich persönliche Macht erlange. Stattdessen habe ich eine Stiftung gegründet, Community Heart. Wir haben drei Millionen Bücher für Kinder organisiert und Instrumente besorgt. Es ist wichtig für die Kinder aus den schwarzen Townships, ihre Talente zu entdecken.

Überall auf der Welt werden fremdenfeindliche Parteien stärker. Was können wir von der Bewegung in Südafrika lernen?

Um unsere demokratischen Rechte zu verteidigen, müssen alle Menschen zusammenkommen, Einzelpersonen reichen nicht. Wer den Rassismus nicht bekämpft, ist schuld an dem Leid. Ich hätte als weißer, erfolgreicher Ingenieur ein komfortables, ja luxuriöses Leben führen können. Aber ich hätte so nicht mit mir leben können.

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