Wehrdienst: Nur Verlierer in dieser Lotterie
SPD, Union und das Verteidigungsministerium zerstreiten sich über die Ausgestaltung des neuen Wehrdienstes. Dabei schien eine Lösung zum Greifen nah.

„Ja, die Absage einer Pressekonferenz, da kann man darüber diskutierten, ob das gut ist oder nicht“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Dirk Wiese, am Mittwoch. „Ich bin, was das angeht, entspannt.“ Weniger lässig sah das die versammelte Hauptstadtpresse, die am Vorabend extra eingeladen wurde, weil die Regierungsfraktionen eine Einigung bei dem neuen Wehrdienst angekündigt hatten.
Stattdessen fanden die Journalist:innen vor: einen Sitzungssaal im Bundestag ohne Gastgeber. Fernsehsender konnten live nur berichteten, wie die Pressekonferenz zwanzig Minuten nach ihrem anvisierten Beginn abgesagt wurde. Die Einigung war wieder hinfällig.
Bei der Auseinandersetzung geht es im Kern um eine gesellschaftlich zentrale Frage: Unter welchen Bedingungen sollen und können junge Menschen für einen Dienst bei der Bundeswehr verpflichtet werden? Über diesen Punkt hatten sich Unterhändler:inen aus Union und SPD in der vergangenen Woche den Kopf zerbrochen, um am Ende eine etwas eigentümliche Lösung zu präsentieren: Künftig solle „mittels eines Zufallsverfahrens bestimmt“ werden, „wer zur verpflichtenden Musterung erscheinen muss“.
So steht es in einer Presseerklärung, die für den Dienstagabend bereits vorbereitet war, dann jedoch nie versendet wurde. Dort heißt es auch: Sollten sich nicht genügend Freiwillige finden, könnten „durch ein Zufallsverfahren ausgewählte Männer für den Wehrdienst verpflichtet werden“.
Wie das praktisch aussehen sollte? Unklar. Auch insgesamt sind diese Überlegungen nun erst einmal vertagt. Es war wohl Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius, der letztlich eine Einigung der Regierungskoalition durchkreuzte.
Koalition bemüht sich um Normalität
„Wir hatten eine kontroverse Diskussion in der Bundestagsfraktion“, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wiese. Er bemüht sich die Vorgänge als normale Arbeitsweise in der Koalition darzustellen. „Dass man auch vor ersten Lesung zwischen den Fraktionen Eignungskorridore auslotet, ist nichts Ungewöhnliches.“ Das Wichtigste sei nun, dass an diesem Donnerstag die erste Lesung stattfinde.
In Pistorius‘ Gesetzentwurf, den das Bundeskabinett im August beschlossen hatte und um den es jetzt erst mal im Bundestag geht, ist die Rede davon, dass ab Juli 2027 alle 18-jährigen Männer eines Jahrgangs zur Musterung geladen werden sollen. Sein Ziel lautet dabei: Möglichst viele junge Menschen erst mal bei der Bundeswehr zu erfassen, unabhängig davon, ob sie einen Dienst an der Waffe leisten möchten oder nicht. Denn damit würden zunächst einmal die – nicht wenigen – Untauglichen aussortiert. Außerdem gilt, was häufig unerwähnt bleibt: Eine Kriegsdienstverweigerung kann nur einreichen, wer bereits gemustert wurde.
Schon direkt nach der Einigung im Kabinett hatte die Union Bedenken an dem Gesetzentwurf angemeldet. Mit Bundeskanzler Friedrich Merz und Außenminister Johann Wadephul machten gleich zwei hochrangige CDU-Politiker klar, dass ihnen der Vorschläge aus dem Verteidigungsministerium eigentlich nicht weit genug gingen und dass sie sich stärkere Pflichtelemente wünschen. Sie bezweifelten, dass sich über den von Pistorius vorgeschlagenen Pfad genug junge Menschen für einen Dienst finden lassen.
Der Vorschlag des Verteidigungsministers sieht im Kern vor, dass ein freiwilliger Dienst über einen Sold von 2.300 Euro attraktiver werden soll. Zudem sollen von 1. Januar an alle 18-jährigen Männer ab Jahrgang 2008 dazu gezwungen werden, in einem Brief zu beantworten, ob sie Interesse an der Bundeswehr haben – wer ja sagt, soll dann einen sechsmonatigen Dienst ableisten können.
Entscheident für SPD ist weiter die Freiwilligkeit
Das Gesetzgebungsverfahren zum neuen Wehrdienst wirft handwerkliche Fragen auf, die kein gutes Licht auf die Arbeitsweise in der Regierungskoalition werfen. Unionspolitiker forderten eine Nachschärfung, noch bevor es im Bundestag offiziell zur Beratung eingebracht wurde. So entspann sich eine Grundsatzdebatte über die Wehrpflicht, die sowohl auf Seiten der Union als auch bei der SPD nicht mehr einzuholen war.
Dabei haben sich alle Beteiligten gegenseitig düpiert: Der Verteidigungsminister, weil sein Gesetzentwurf von den eigenen Kabinettskollegen zum Abschuss freigegeben wurde. Und Union und SPD, weil sie tagelang um eine Einigung rangen, die sie dann erst ankündigten und dann wieder zurücknehmen mussten.
Entscheidend für sie sei weiterhin das Element der Freiwilligkeit, betont die SPD-Fraktion. Man wolle „einen modernen und gerechten Wehrdienst schaffen, der zur Realität unserer Sicherheitslage passt und auf Freiwilligkeit setzt“, sagte ein Sprecher der Fraktion. Man arbeite eng mit dem Verteidigungsministerium an der Weiterentwicklung des Entwurfs.
„Das ist richtiges Kasperletheater“, kommentierte Linken-Vorsitzende Jan van Aken das Gerangel von Schwarz-Rot. „Alle wissen, dass diese Regierung die Wehrpflicht will, die SPD will es nur anders nennen, um nicht gleich so viele Wahlversprechen auf einmal zu brechen“, sagte van Aken der taz. Als er von dem Losverfahren gehört habe, habe er sofort gedacht, das sei doch wie Russisch Roulette. Am Ende gehe es darum, „wer zieht in den Krieg, wer muss sterben“. Er finde aber, dass niemand dazu gezwungen werden darf. „Ich bin grundsätzlich gegen Zwangsdienste und damit auch grundsätzlich gegen jede Wehrpflicht“, so der Linken-Chef.
Auf der Seite der Grünen sorgt das Vorgehen der Regierungsfraktionen ebenfalls für Irritationen. „Ein Losverfahren würde es für uns einfach machen, das Gesetz abzulehnen“, sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der Partei, Sara Nanni der taz. „Wir brauchen diejenigen, die Lust haben auf einen Dienst bei der Bundeswehr.“ Bei einem Losverfahren stellten sich zahlreiche Fragen, die sich nicht auflösten. „Das alles ist alles kontraproduktiv, gerade wenn man das Vertrauen von jungen Menschen in die Bundeswehr stärken will“, sagte sie.
Gemeinsam für freie Presse
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert