Wehrdienstdebattte im Bundestag: Pistorius zeigt sich gesprächsbereit
SPD und Union verkünden im Bundestag, nochmal miteinander reden zu wollen. Grüne kritisieren, dass niemand wisse, wie es weitergeht. Linke bezweifeln Bedarf.

afp/dpa/taz | Im Koalitionsstreit um seine Wehrdienst-Pläne hat sich Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gesprächsbereit gezeigt. Über mögliche Änderungen könne nun im parlamentarischen Verfahren diskutiert werden, sagte Pistorius bei der ersten Lesung seines Gesetzesentwurfs im Bundestag. Er bekräftigte dabei, dass er ab 2027 die Musterung ganzer Jahrgänge für nötig hält: „Wir müssen wissen, wer unser Land im Spannungs- und Verteidigungsfall mit welchen Qualifikationen verteidigen kann.“
Am Dienstag war ein im Parlament ausgehandelter Kompromissvorschlag zu Änderungen an dem Gesetzentwurf in letzter Minute gestoppt worden. Pistorius hatte in der SPD-Fraktion dazu „erhebliche Bedenken“ geäußert. Dem Minister zufolge war ein Hauptgrund für seinen Widerstand die fehlende flächendeckende Musterung, die nach seinen Plänen ab Mitte 2027 kommen soll.
Die Diskussion der vergangenen Tage habe gezeigt, dass es unterschiedliche Vorstellungen bei der Wehrdienst-Frage gebe, sagte Pistorius. Er sei „offen dafür“, darüber im parlamentarischen Verfahren zu sprechen. Der SPD-Minister begrüßte ausdrücklich die Diskussion der vergangenen Tage: „Alles weniger als eine leidenschaftliche, offene, auch hitzige Debatte über eine solche Frage wäre für mich eine Enttäuschung gewesen“, sagte er.
Die Bundeswehr benötigt bis 2035 nach Nato-Vorgaben rund 80.000 zusätzliche Soldaten und deutlich mehr aktive Reservisten. Pistorius will dafür ab dem kommenden Jahr einen neuen freiwilligen Wehrdienst schaffen. Im ersten Jahr ist die Teilnahme an der Musterung noch freiwillig, ab Juli 2027 würde sie für alle 18-Jährigen verpflichtend. Der Gesetzentwurf sieht auch vor, zu einer Wehrpflicht umzuschwenken, wenn sich nicht genügend Freiwillige melden, nennt dafür aber keine konkreten Zielvorgaben.
Der Union reicht dies aber nicht aus. Sie fordert feste Rekrutierungsziele und einen Automatismus, um zur Wehrpflicht zurückzukehren, sollten diese Ziele nicht erreicht werden.
Röttgen: Gleiche Chance, gleiches Risiko
Unionsfraktionsvize Norbert Röttgen (CDU), der an der Erarbeitung des Los-Vorschlags beteiligt war, verteidigte diesen. Wenn es die militärische Aufgabe sei, aus einem Jahrgang mit mehreren 100.000 Männern für den militärisch notwendigen Bedarf einige 10.000 zu ermitteln, stelle sich die Frage der Wehrgerechtigkeit, die der Bundestag beantworten müsse. Diese Frage sei im Gesetzentwurf bisher nicht beantwortet. „Nach dem Zufallsverfahren trifft jeden Mann die gleiche Chance, das gleiche Risiko“, sagte er. In dieser Gleichheit liege die Fairness. Man sei aber offen für andere Vorschläge, betonte auch Röttgen.
Die SPD-Verteidigungspolitikerin Siemtje Möller, die ebenfalls an den Alternativvorschlägen zu Pistorius' Gesetzentwurf beteiligt war, sagte, man werde eine für alle Seiten tragfähige Lösung finden.
Opposition spricht von Schlamassel
Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sprach von einem Schlamassel. „Keiner weiß, wie es jetzt weitergeht“, sagte sie.
Die Linken-Abgeordnete Desiree Becker kritisierte die Bundesregierung: „Sie schüren Angst und Unsicherheit bei den jungen Menschen.“ Sie stellte in Zweifel, dass die Bundeswehr wirklich 80.000 zusätzliche Soldaten brauche.
Die AfD kritisierte die Pläne ebenfalls. Die Partei ist allerdings selbst gerade unentschieden: Sie ist laut ihrem Grundsatzprogramm eigentlich für eine Wiedereinsetzung der Wehrpflicht, fordert das aber aktuell nicht offensiv ein, da es vor allem in den eigenen ostdeutschen Landesverbänden Widerstand dagegen gibt.
Merz wiederholt sich
Bundeskanzler Friedrich Merz wiederholte am Morgen in einer Regierungserklärung im Bundestag, man wolle die Bundeswehr zur „stärksten konventionellen Armee in der Europäischen Union machen“ und fügte hinzu: „Uns leitet dabei ein klarer Grundsatz: Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.“
Die strittigen Fragen im Gesetzentwurf sollen nun im üblichen parlamentarischen Verfahren geklärt werden. Wie bei jedem Gesetzgebungsverfahren sind Expertenanhörungen und weitere Ausschussberatungen geplant, bis der Bundestag am Ende über einen voraussichtlich geänderten Gesetzentwurf abstimmt. Anschließend ist noch der Bundesrat am Zug. Erklärtes Ziel ist weiterhin, dass das Wehrdienstgesetz zum 1. Januar in Kraft tritt.
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