„Weissensee“-Autorin über die Serie: „Wir kamen vor dem Hype“

Annette Hess spricht über ihre Faszination für die DDR, erwartbaren Erfolg und warum Geschichten nicht ohne Liebe funktionieren.

Jörg Hartmann alias Falk Kupfer

Jörg Hartmann alias Falk Kupfer Foto: ARD/Julia Terjung

taz.am wochenende: Frau Hess, die dritte Staffel von „Weissensee“ beginnt mit dem 9. November 1989. Wo waren Sie, als die Mauer gefallen ist?

Annette Hess: Ich war 22 Jahre alt und auf dem Geburtstag eines Verwandten in Hamburg. Einige Gäste kamen verspätet und erzählten, dass die Mauer offen ist. Wir konnten das gar nicht glaubten, schalteten den Fernseher ein und drängten uns zu dreißigst um das kleine Gerät.

Sie haben den Mauerfall also quasi verschlafen – genau wie Katja Wiese, die westdeutsche Journalistin, die in der dritten Staffel neu dazukommt?

Genau. Die Figur ist teilweise autobiografisch. Ich bin 1991 nach Berlin gezogen, um dort als Journalistin, hauptsächlich fürs Fernsehen, zu arbeiten. Genau wie Katja Wiese habe ich dann auch einen Ostdeutschen kennengelernt, mit schwieriger Familiengeschichte.

Wurde er die Vorlage für Martin, den ehemaligen Volkspolizisten, der gegen seinen Stasivater und -bruder rebelliert?

Nicht ganz. Ich bin mir auch bis heute nicht sicher, was genau die Geschichte dieses jungen Mannes war. Er sprach nicht über seine Familie, aber er wollte eben keinen Kontakt mehr zu ihr. Ich dachte mir schon, dass die Stasi da eine Rolle spielen muss.

Zu Beginn der ersten Staffel wurde Ihnen vorgeworfen, als Westdeutsche die DDR zu klischeebehaftet darzustellen. Eine berechtigte Kritik?

An solche Äußerungen kann ich mich nicht erinnern. Ich war eher überrascht, dass so wenig Kritik in dieser Richtung kam. Im Gegenteil bekam ich viele Zuschriften, die sagten: „Genau so war es bei uns. Genau so wurde bei uns zu Hause am Tisch geredet.“ Ein ehemaliger Stasioffizier schrieb mir sogar: „Das ist meine Familiengeschichte.“

Die Person: Annette Hess, 48, ist Drehbuchautorin, u.a. von mehreren „Polizei­rufen“, „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ (2007, Arte) und „Die Holzbaronin“ (2012, ZDF). Sie ist verantwortlich für Idee und Konzeption von „Weissensee“.

Die Serie: In „Weissensee“ geht es um die sehr unterschiedlichen Familien Kupfer und Haus­mann. Vater und Sohn von Familie Kupfer sind hohe Stasi­offiziere, die Hausmanns Oppositionelle, dennoch kreuzen sich ihre Wege. ARD zeigt die neue Staffel ab dem 29. September an drei Abenden hintereinander als Doppelfolge.

Haben Sie Kontakt zu ihm aufgenommen?

Ja, wir haben uns ein paar Mal geschrieben: Er war einige Zeit selbst bei der Stasi, sein Vater war ebenso wie Hans Kupfer ein hohes Tier.

Eine andere Kritik an „Weissensee“ war: Wieso muss es beim Thema DDR immer um die Stasi gehen?

Ich meine, dass man die DDR gar nicht ohne die Stasi erzählen kann. Die Unterdrückung ist allgegenwärtig, auch wenn sie nicht explizit thematisiert wird. Nehmen wir ein Beispiel: Man erzählt einen Film über eine Frau, die 1983 in Dessau Brustkrebs bekommt. Als Zuschauer wartet man da die ganze Zeit auf die Stasi, und wenn sie dann nicht vorkommt, denkt man: Aha, dieser Film soll uns zeigen, dass nicht alles in der DDR mit der Stasi zu tun hatte.

Aber es ist ja etwas anderes, ob Stasi mitschwingt, oder ob sie, wie bei „Weissensee“, im Mittelpunkt der Geschichte steht.

Die politische Dimension bringt natürlich Spannung – und davon kann man als Autorin nie genug haben.

Die Produzentin von „Weissensee“, Regina Ziegler, nannte die Serie mal ein „Berlin-Dokument“. Sehen Sie das auch so?

Die Serie ist ganz klar dort verortet. Bei der Konzeption der dritten Staffel habe ich schon öfter gedacht: Jetzt müsste die Geschichte eigentlich nach Leipzig gehen, aber wir wollten in Berlin bleiben und dort die Wendezeit konzentriert wie unter einem Brennglas zeigen.

Die Staffel beginnt mit dem Mauerfall und endet mit der Erstürmung der Stasizentrale am 15. Januar 1990. Wieso haben Sie sich für so einen kleinen Zeitraum entschieden?

Weil in diesen Wochen so unheimlich viel passiert ist. Es geht viel um die runden Tische, die ich sehr spannend finde: Da saßen sich plötzlich Täter und Opfer gegenüber, das hätte auch eskalieren können. Die Suche nach dem dritten Weg fand ich sehr prägnant, sie wird immer wieder gestört von der Vergangenheit – und von Einflüssen Westdeutschlands. Diese Nuancen zu erzählen: Auseinandersetzungen über die politische Zukunft, die Entlarvung von Bürgerrechtlern als ehemalige IMs, das hat mich gereizt.

Was ist Ihnen wichtiger, der persönliche Konflikt oder der historisch akkurate Rahmen?

Auf jeden Fall der persönliche Konflikt: die Szenen am Esstisch, im Schlafzimmer. Natürlich ist es berührend, wenn am Ende der Schlagbaum an der Bornholmer Straße aufgeht und die Menschen durchlaufen. Aber es ist auch ein schöner Höhepunkt, wenn Hans Kupfer, Stasihauptmann und Vater, sich entscheidet, seine Frau doch nicht zu verlassen.

Knapp 5 Millionen Menschen haben die ersten beiden Staffeln gesehen. Hat Sie der Erfolg überrascht?

Nö.

Warum nicht? Das Thema Mauerfall ist schließlich sehr präsent im Fernsehen.

Als wir mit der ersten Staffel kamen, gab es gerade eine Flaute an Mauergeschichten. Aber der Erfolg hat mich auch deshalb nicht überrascht, weil ich die Serie ja vorab gesehen hatte. Ich wusste, wie großartig Regie, Schauspieler und Crew zusammengearbeitet hatten. Dazu kam, dass die betreuende Redakteurin vom MDR, Jana Brandt, uns den populären Sendeplatz am Dienstagabend freigeboxt hat. Wäre die Serie am Freitagabend nach dem Hauptfilm gezeigt worden, hätte sie bestimmt nicht so viele Zuschauer gehabt.

Glauben Sie, dass der generelle Hype um Serien auch zum Erfolg beigetragen hat?

Unser Vorteil war, dass wir mit der ersten Staffel schon fertig waren, als der Hype um die internationalen Serien entbrannte. So wurde „Weissensee“ immer als seltenes Beispiel einer gelungenen Serie genannt. Jetzt schwimmen wir natürlich mit auf der Wahnsinnswelle.

Aber Sie sind ja nicht die einzige deutsche Autorin mit einer guten Serienidee.

Nein, aber die Zeit war reif für einen Stoff wie „Weissensee“ – und die Art und Weise, wie die Serie erzählt wird, kommt bei vielen Zuschauern an. Es ist kein Zufall, dass „Weissensee“ mit einer schönen Liebesgeschichte beginnt. Wir machen uns die konventionellen Sehgewohnheiten zunutze, um relevante Inhalte zu erzählen.

Man könnte auch sagen: Damit spülen Sie die Geschichte weich.

Das empfinde ich nicht so. Es ist mein Anspruch, lebendige Figuren zu schreiben, bei denen man eben nicht immer weiß, wie sie sich im nächsten Moment verhalten: Da wird der Gute plötzlich feige oder lügt, und der Böse entpuppt sich als selbstloser Kämpfer für seine Familie.

Die erste Staffel haben Sie allein geschrieben, ab der zweiten hat Friedemann Fromm Bücher beigesteuert. Wieso?

Aus Zeitgründen, ich habe es einfach nicht geschafft, alle sechs Bücher zu schreiben. Aber ich habe für alle Staffeln die Konzeption geschrieben.

Wie geht es weiter mit „Weissensee“?

Die vierte Staffel ist in Arbeit, ich werde dann aber nicht mehr dabei sein. Für mich ist die Geschichte mit dem Fall der Mauer abgeschlossen.

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