Weltbevölkerung wächst: Acht Milliarden Chancen

Dieser Tage leben erstmals acht Milliarden Menschen auf der Erde. Daraus ergeben sich verkürzte, dystopische Ideen. Vier Korrekturen.

Ein Mutter mit ihren neugeborenen in einem Krankenhaus in Kigali, Ruanda

Eine Mutter und ihr Kind im Muhima-Krankenhaus, Ruanda, 2019 Foto: Nichole Sobecki/VII/Redux/laif

Im Jahr 1974, als Leonardo DiCaprio und Penélope Cruz geboren wurden, lebten gerade einmal vier Milliarden Menschen auf dem Planeten. Ab diesem Dienstag sind es wohl doppelt so viele. Uns es werden immer mehr: Glaubt man Prognosen der Vereinten Nationen, könnte die Weltbevölkerung 2080 einen Höchststand von über zehn Milliarden Menschen erreichen.

Wenn die For­sche­r:in­nen vom Berlin Institut das prozentuale Bevölkerungswachstum bis 2050 auf eine Weltkarte übersetzen, färben sie den Norden blau. Alles o. k. also. In den Industrienationen stagniert die Zahl und ist sogar leicht rückläufig, die südliche Hemisphäre ist rot gefärbt. „Das Bevölkerungswachstum ist am höchsten in Ländern mit geringem und mittlerem Einkommen“, schreibt das Institut. Nigeria, Äthiopien und die Demokratische Republik Kongo könnten in der Zukunft zu den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt zählen. Sie sind auf der Karte dunkelrot gefärbt. Dunkelrot, wie Alarm. Alleine diese Verquickung ist hochproblematisch.

Acht Milliarden, das klingt nach Apokalypse, nach einem Hantieren mit ethisch schwierigen Begriffen wie „Überbevölkerung“ und „Bevölkerungsexplosion“, die an bestimmte geografische Bereiche der Erde gekoppelt sind. Auf die nördliche Erdkugel geblickt, geht es eher um das „zu wenig“, die Angst, die Eu­ro­päe­r:in­nen könnten eher aussterben und es gebe zu wenig Ar­bei­te­r:in­nen für unliebsame Arbeit und es würden deswegen Menschen aus anderen Weltregionen dafür kommen. Die Frage, wer künftig für die vielen Älteren sorgt, bleibt ungeklärt und aufgeladen. Die Acht-Milliarden-Marke kommt kaum ohne die Frage aus: Wie viele Menschen kann dieser Planet überhaupt aushalten? Einige Narrative sind längst überholt. Ein paar Annahmen über die acht Milliarden Menschen noch einmal nachgeprüft:

1. Viele Menschen bedeuten nicht viel Armut

Familienplanung – also das Instrument der Entwicklungszusammenarbeit, um die Zahl der Geburten zu senken, etwa durch Überzeugungsarbeit oder Verhütungsmittel – sei der Schlüssel der Armutsbekämpfung, so hat es im Juli Angela Bähr gesagt, stellvertretende Geschäftsführerin der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW). Das bedeutet so viel wie: Weniger Menschen (etwa durch Verhütung) bedeuten mehr Wohlstand. Andersrum wäre es, den Satz umzudrehen: Nicht viele Menschen führen zu viel Armut, sondern: Gibt es in einem Land mehr Wohlstand, sinkt das Bevölkerungswachstum. Untersuchungen zeigen, dass Mädchen, deren Familien Geldtransfers erhalten, länger die Schule besuchen und später schwanger werden.

Weniger Armut bedeutet mehr Bildung, bedeutet weniger Schwangerschaften. Und dass Menschen, die im Alter eine Rente bekommen, weniger auf die Unterstützung ihrer Kinder angewiesen sind. Dort sollte die Bevölkerungspolitik ansetzen: in erster Linie Armut zu bekämpfen und nicht implizit die Verantwortung auf Menschen zu übertragen, die ihre Kranken und Altersversorge selbst oder durch ihren Nachwuchs sicher müssen.

2. Die Welt wird nicht ­überaltern

Die Weltbevölkerung wird jünger – nicht älter, wie manche befürchten. In den meisten Ländern Afrikas südlich der Sahara und in Teilen Asiens werden viele Menschen im erwerbsfähigen Alter sein, so rechnen es die Vereinten Nationen vor. Heißt auch: sie werden das Wirtschaftswachstum in ihren ­jeweiligen Herkunftsorten ankurbeln. In Ländern wie Tunesien, Bangladesch und Brasilien, wo die Kinderzahlen bereits gesunken sind und die Staaten langsamer wachsen, machen junge Menschen im erwerbsfähigen Alter den Großteil der Bevölkerung aus. Künftig werden diese vielen jungen Menschen – so die Annahme – auch die älteren Generationen versorgen können.

Anders sieht es in Europa aus, laut UN-Zahlen der älteste Kontinent. Dort wird der erdachte Generationenvertrag nicht aufgehen.

3. Die Bevölkerungspolitik wird feministisch

Beobachtungen in verschiedenen Teilen der Welt zeigen: Können Frauen und Mädchen zur Schule gehen, anstatt zu Existenzsicherung und Care-Arbeit verdammt zu werden, sinken die Geburtenraten. Das zeigt schon Punkt 1. Doch die Geburtenrate sinkt auch wegen der Stärkung der Rolle von Frauen. In Afrika sankt sie auch dadurch etwa von 4,6 auf 3,8 Kinder. In Tunesien, Marokko und Botswana bringen Frauen im Laufe ihres Lebens heute zwei bis drei Kinder zur Welt – deutlich weniger als noch vor einigen Jahrzehnten.

Dass eine zukunftswürdige Bevölkerungspolitik immer auch eine feministische sein muss, betont auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und tritt an für bessere Bildung für Mädchen, bessere Jobs für Frauen, Zugang zu Familienplanung und finanzielle Sicherheit auch bei Krankheit, Arbeitsplatzverlust oder im Alter.

„All das hilft Frauen, selbst frei über die Zahl der Kinder entscheiden zu können“, schreibt das BMZ in einer Pressemitteilung.

4. Die Klimakatastrophe verschlimmert sich nicht durch die Anzahl von Menschen­

Je mehr Menschen, desto schlimmer die Klimakatastrophe? Dieses Argument ist irreführend. Das Bevölkerungswachstum bis zum Jahr 2050 wird sich vor allem in Ländern abspielen, die allesamt nicht historisch für den Klimawandel verantwortlich sind.

Studien zeichnen ein gegenteiliges Bild: 10 Prozent der Weltbevölkerung sind für 50 Prozent der CO2-Ausstoßes verantwortlich. „Und diese zehn Prozent leben im globalen Norden, also den hochentwickelten, aber keinesfalls überbevölkerten Industrienationen“, so Jan Kreutzberg von der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung. „Wir haben keine Überbevölkerung, sondern einen Überkonsum.“ Migrationsbewegungen und Konflikte um Rohstoffe sind vorhersehbar.

Die Acht-Milliarden-Marke sollte ein Alarmsignal sein. Aber nicht dafür, dass es zu viele Menschen gibt, sondern dafür, wie die knappen Ressourcen in Zukunft gerecht aufgeteilt werden müssen.

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