"Weltmaschine" LHC endlich in Betrieb: Die Erde dreht sich noch

Kein schwarzes Loch, aber auch kein Ausfall eines Magneten: Der riesige Teilchenbeschleuniger LHC am Cern in der Schweiz hat zum ersten Mal seine beiden Protonen-Strahlen aufeinander geschossen.

Endlich läuft die Anlage: Physiker und Ingenieure heben ihre Gläser auf den LHC. Bild: dpa

BERLIN/GENF taz/ap | Was war das für eine Aufregung, als der weltgrößte Teilchenbeschleuniger LHC am Europäischen Kernforschungszentrums Cern im September vergangenen Jahres in Betrieb ging. Von den Physikern als "Weltmaschine" gefeiert, von den Kritikern verteufelt als Weltuntergangsmaschine, die ein Schwarzes Loch erzeugen und uns alle in den Tod reißen würde.

Doch nach nur 36 Stunden hatte ein Kurzschluss die Helium-Kühlung eines der 15 Meter langen und 35 Tonnen schweren Magneten unterbrochen, eine Tonne Helium trat aus, der Magnet überhitzte und die Anlage musste abgeschaltet werden, bevor sich richtig am Laufen war.

Seit Freitag nun haben die Physiker am Cern ihre 4 Milliarden Euro teuere Maschine Stück für Stück wieder in Betrieb genommen. Weitgehend unregistriert von der Öffentlichkeit schickten sie ihre Strahlen bestehend aus Protonen (der Kern eines Wasserstoffatoms) auf die 27 Kilometer lange Bahn durch ihre Röhre, und beschleunigten sie.

Erst in die eine, dann in die andere Richtung, um sie dann am Montagmittag um 14 Uhr 22 erstmals im Detektor "Alice", einem der vier Hauptmessgeräte der Anlage, erfolgreich zur Kollision zu bringen. Im "Alice"-Kontrollraum brachen die versammelten Physiker und Ingeniere in Jubel aus. "Das war einfach unglaublich", erzählt "Alice"-Sprecher Jürgen Schukraft.

Und das, ohne dass bisher die Welt unterging. Denn bei solchen Kollisionen können theoretisch Schwarze Löcher entstehen. Nicht solche riesigen, die ganze Sternensysteme verschlingen, sondern extrem kleine und kurzlebige. Trotzdem gab es eine Gruppe von Zweiflern, die dem Cern am liebsten den Strom abdrehen würden, weil sie entgegen der Expertise der etablierten Physik annehmen, die Welt könne dadurch untergehen. Allen voran Otto Rösler, der in den Monaten nach Inbetriebnahme offenbar mit dem Schlimmsten rechnet.

Aber zurück zum Cern: Nach einigen Justierarbeiten konnten die Forscher schließlich bis Montagabend in allen vier Messgeräten die Protonenstrahlen erfolgreich kreuzen und auf den Computerschirmen Kollisionen registrieren. "Es ist ein großer Erfolg, dass wir in so kurzer Zeit so weit gekommen sind", erklärte Cern-Chef Rolf Heuer hinterher stolz. "Aber es ist noch immer viel zu tun, bevor wir das eigentlich LHC Forschungsprogramm starten können."

Schon in wenigen Tagen erwarten die Forscher die ersten aussagekräftigen Messungen. Noch kreiseln die Elementarteilchen mit einer Energie von 450 Giga-Elektronenvolt, doch die Forscher wollen die Energie im zweiten Schritt noch mal knapp verdreifachen.

Die Idee so eines Teilchenbeschleunigers ist, die Elementar-Teilchen mit möglichst großer Geschwindigkeit aufeinander zu schießen. Dabei kommt es vor, dass sich die Teilchen komplett in Energie auflösen und diese Energie spontan in neuen Teilchen kondensiert. Je schneller die Teilchen und je höher damit ihre in der Bewegung gespeicherte Energie, desto exotischer sind die dabei enstehenden neuen Teilchen.

Und kollidiert: Die erste Kaskade von Elementarteilchen hinterlässt im Messgerät Alice ihre Spuren. Bild: cern

Die Forscher wollen vor allem dem so genannten "Higgs-Boson" auf die Spur kommen, dem letzten fehlenden Puzzle-Teil im Standardmodell der Elementarteilchenphysik – also der Theorie die erklärt, aus welchen Teilchen die Welt aufgebaut ist. Die Ruhe-Energie des Higgs-Bosons liegt in der Größenordnung von mindestens 100 bis 200 GeV. Zum Vergleich: Ein ruhendes Proton hat eine Energie von knapp 1 Giga-Elektronenvolt (GeV). Mit dem LHC lässt sich nun endlich so viel Energie auf einen Punkt konzentrieren, dass die Entdeckung des Higgs-Bosons realistisch erscheint.

Durch die Bestätigung oder teilweise Widerlegung des Standardmodells erhoffen sich die Forscher Aufschlüsse über die Entstehung des Universums, über Antimaterie und den Ursprung der Materie selbst. Der Nachweis des Higgs-Teilchens könnte aber noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen.

Der Large Hadron Collider (LHC) wird vorerst auch nur mit gedrosselter Energie betrieben. Erst im nächsten Jahr sollen die Protonen mit 3.500 Giga-Elektronenvolt zirkulieren – mit der 3,5 Mal so starken Energie wie die der Teilchen im bislang größte Teilchenbeschleuniger Fermilab bei Chicago. In der letzten Stufe des Experiments sollen gar 7.000 Giga-Elektronenvolt erreicht werden.

An dem Bau und Betrieb der vier Milliarden Euro teuren Anlage bei Genf sind 20 europäische Staaten beteiligt, darunter auch Deutschland. Die Reparaturen und die zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen, um einen erneuten Ausfall des Kühlsystems zu verhindern, kosteten seither rund 27 Millionen Euro.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.