Weniger legen Geld zurück: Sparen muss man können

Bei de Reiche lernt mrs Schpara, bei de Arme lernt mrs Kocha! Das weiß man in Schwaben und neueste Studien beweisen: Es stimmt.

Zwei Männer decken das Dach eines Fertighauses

Schaffa, schaffa, Häusle baua! Foto: Insadco/imago

Schaffa, schaffa, Häusle baua. Fast täglich ergab sich in der süddeutschen Jugend irgendeine Gelegenheit für irgendeinen Klugscheißer, diesen kategorischen Imperativ der Schwaben rauszuhauen.

Du, Marcel, was machsch am Wocheend?!

I muss am Samschdag schaffa.

Ha! Schaffa, schaffa, Häusle baua!

Ohne große philosophische Umschweife stellten Dialoge wie diese klar, worauf es im Leben ankommt: Arbeiten, sparen, Haus bauen, noch mehr arbeiten, noch mehr sparen. Als Kind türkischer Arbeitsmigranten umgab mich der Sparfetisch zusätzlich in seiner anatolischen Version: Wer morgen etwas aufbauen will, muss heute verzichten. Auch wenn diese Sozialisationen es genauso suggerieren: Sparen ist keine Frage des Willens, des Charakters oder des Lebensstils. Sparen ist eine Frage von Verteilung.

Wer kann überhaupt sparen?

Während 2020 noch 70 Prozent der Deutschen regelmäßig Geld zur Seite legen konnten, sind es aktuell nur noch 50 Prozent. Das ist das Ergebnis einer aktuellen repräsentativen Umfrage des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) und des auf Milieustudien spezialisierten Sinus-Instituts. Entscheidend ist die Differenzierung nach Einkommen: Unter Haushalten, die im Monat weniger als 1.500 Euro zur Verfügung haben, kann nur noch jeder fünfte etwas beiseitelegen (35 Prozent in 2020). Bei Haushalten mit Einkommen zwischen 2.000 und 2.500 Euro sind es 52 statt 80 Prozent. Unter Gutverdienern (Einkommen ab 4.000 Euro) hingegen können immer noch 85 (93 Prozent in 2020) sparen. Außerdem gilt: Wer weniger hat, der kann auch weniger sparen. Wem es besser geht, der kann mehr zur Seite legen und hat am Ende noch mehr. So weit, so banal.

Der eigentliche Nachrichtenwert liegt woanders: „Die Krise ist in der Mitte angekommen, in der Sparen lange Zeit zum bürgerlichen Selbstverständnis gehörte“, heißt es in der Pressemitteilung zur Umfrage. Die aktuellen finanziellen Einschränkungen erschütterten das „sichergeglaubte Wohlstandsversprechen“. Die Krise räumt also eine weitere Gewissheit der Mittelschicht ab. Dass der Mythos ‚Wohlstand durch Sparen‘ nur eine Verlängerung des Mythos ‚Wohlstand durch harte Arbeit‘ ist, das wissen die, für die das Versprechen noch nie funktioniert hat. Die Mittelschicht kommt jetzt so langsam notgedrungen darauf. Die weiter oben leben sowieso in einer anderen Welt.

Ob Marcel mittlerweile ein Haus gebaut hat, das weiß ich nicht. Wenn er bisher keines gebaut hat, dann wird es in Zukunft nicht einfacher. Wenn ihn jemand aber danach fragt oder wieder mit dem „Häusle baua“ ankommt, dann kann er immerhin mit einem anderen Sprichwort antworten, das heute viel zeitgemäßer erscheint: Bei de Reiche lernt mrs Schpara, bei de Arme lernt mrs Kocha!

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Kolumnist (Postprolet) und Redakteur im Ressort taz2: Gesellschaft & Medien. Bei der taz seit 2016. Schreibt über Soziales, Randständiges und Abgründiges.

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