Wenn die Bundeswehr geht: Mein Freund, der Soldat

Fast ein Sechstel der Lütjenburger gehören der Armee an. Der ostholsteinische Ort will seit 50 Jahren die "Garnisonsstadt mit Herz" sein. Nun droht dennoch der Abzug.

Anders als die Lütjenburger könnte der Kammmolch den Abzug der Bundeswehr begrüßen. Bild: Rainer Theuer/ Wikimedia Commons

LÜTJENBURG taz | Unter der Oktobersonne leuchtet die hügelige Landschaft Ostholsteins, Felder und Wälder sehen aus wie geputzt, die Schilder am Straßenrand warnen vor Rehen und Traktoren. Die B 430 nennt sich hier "Deutsche Ferienroute Alpen-Ostsee". Sie führt am Standortübungsplatz Hohensasel vorbei, einem malerischen Gelände, das sich die Panzer mit Kammmolch und Rotbauchunke teilen.

Die B 430 passiert die Kleinstadt Lütjenburg, zurzeit noch Standort des Flugabwehrregiments 6, und schlägt einen Bogen um den Truppenübungsplatz Putlos, dem einzigen Übungsplatz Deutschlands mit Küstenanbindung. Weiter nördlich an der Küste liegt Todendorf, der Schießplatz, wo mit scharfer Munition über die Ostsee geschossen wird. Wenn in Todendorf und Putlos Übungen laufen, ist das dumpfe Grollen und Wummern in Lütjenburg zu hören, und unter der Woche darf kein Segler die kleine Marina zwischen den beiden Übungsplätzen anlaufen.

"Es gab aber nie Probleme, wir haben hier nie Proteste gegen die Bundeswehr gehabt", sagt Stefan Leyk. Der Stadtreferent von Lütjenburg sitzt im Besprechungsraum des schmucken Rathauses und blättert in einer Broschüre, die der Politik die Vorzüge von Lütjenburg, der "Garnisonsstadt mit Herz", erklären soll. Seit 50 Jahren ist die Truppe da, sie ist die größte Arbeitgeberin der Region. Doch im Zuge der Bundeswehrreform ist der Standort bedroht. Es wäre ein Verlust für die Stadt: Fast 2.500 Jobs hängen direkt oder indirekt an der Kaserne, die direkt hinter dem Ortseingangsschild beginnt, ein eigener, umzäunter Stadtteil. Zeitweise waren über Tausend Soldaten hier stationiert, nun sind es etwas 950. Zusammen mit ihren Familien macht das einen bedeutenden Teil der knapp 6.000 Lütjenburger aus. "Sie leben alle gern hier, viele bleiben auch, wenn sie außer Dienst sind", sagt Leyk.

Dafür hat sich die Stadt den Bedürfnissen der Truppe angepasst: Die Kita "Rappelkiste" öffnet rechtzeitig, damit die Soldatinnen ihre Kinder vor Wachbeginn bringen können, so wie "Frau Oberleutnant Müller", die auf dem Titelblatt der Werbebroschüre abgebildet ist und auf den Innenseiten des Heftes im Bäckerladen und beim Spaziergang zu sehen ist, in Uniform natürlich.

Überall willkommen

Die "gewissen Einschränkungen für den Tourismus" durch die Schießübungen werden klaglos hingenommen, und in der Gilde und den Vereinen sind die Soldaten willkommen. "Da sind doch Vertrauenstatbestände entstanden", sagt Leyk, er wiederholt das Wort später, als wäre es ein Pflock, an dem er sich festhalten könnte. 50 Jahre hat Lütjenburg alles für das Militär gemacht, nun wollen die Soldaten gehen - warum nur?

Die kleine Stadt an der Ostsee hat mächtig für sich getrommelt: Auf den Tag genau vor einem Jahr gründete sich ein "Aktionsbündnis" für den Erhalt des Standorts. Geschäftsleute sind dabei, die Leiterin der örtlichen Sparkasse, die nach dem Verlust der Bundeswehr einen "wirtschaftlichen Totalschaden" und einen Zusammenbruch des Immobilienmarktes fürchtet, und Vereinsvorsitzende, die Angst davor haben, dass der Ort verarmt und zum sozialen Brennpunkt wird. Sie haben eine Broschüre geschrieben und an die zuständigen Bundesministerien und Politiker in Bund und Land verteilt. Sogar ein Zitat von Kurt Tucholsky steht darin, nicht "Soldaten sind Mörder", sondern etwas über Freundschaft. "Der Staatssekretär hat auch geschmunzelt", sagt Leyk. Darum ging es ja: Auffallen im Chor der Orte, die alle um ihre Kasernen kämpfen.

Hoffen auf neue Truppen

"Unsere Chancen stehen fifty-fifty", glaubt Leyk. Dabei ist bereits klar, dass die Flugabwehr abziehen wird. Lütjenburg kann also höchstens darauf hoffen, das ein anderer Truppenteil einzieht, von der Luftwaffe vielleicht oder vom Heer. Wie wahrscheinlich das ist, lässt sich angesichts der bundesweiten Konkurrenz schwer sagen, und nur wenige sind so optimistisch wie der Stadtreferent: Im Internet schimpft ein anonymer Schreiber mit Alias-Namen "Betroffener", die Kaserne sei viel zu klein, auf dem Übungsplatz Hohensasel kenne "man spätestens nach der zweiten Übung jede Ecke", betriebswirtschaftliche Gründe sprächen gegen den Standort und die Lobbyarbeit der Gemeinde reiche nicht aus.

Keine Frage ist, dass Schleswig-Holstein Standorte verlieren wird: "Auf die Länder mit den meisten Dienstposten pro Einwohner kommen sicherlich größere Einschnitte zu als auf jene mit weniger Bundeswehr", sagte Verteidigungsminister Thomas de Maizière kürzlich in einem Interview. Wenn er am Mittwoch gegen Lütjenburg entscheidet, "gehen wir auf die Barrikaden", verspricht Leyk. Proteste soll es geben, Aktionen, weitere Überzeugungsarbeit. Sollte es gut laufen, werde stattdessen gefeiert - mit ordentlich viel Getöse.

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