Wettbewerb der Berlinale 2016: Die Welt ist immer noch die gleiche

„L’avenir“ von Mia Hansen-Løve zeigt Isabelle Huppert als desillusionierte Philosophielehrerin an der Schwelle zu einem neuen Leben.

Die Philosophielehrerin unterwegs mit ihrem radikalsten Schüler.

Isabelle Huppert und Roman Kolinka in „L‘avenir“. Foto: Mia Hansen-Løve/Berlinale

Die Philosophielehrerin Nathalie (Isabelle Huppert) wird an der Schwelle zum Alter von ihrem Mann verlassen, der eine andere hat. Als er auszieht, nimmt er ihre Levinas-Bände mit. Die Schüler streiken gegen Sarkozys Reformpolitik; sie, die einstige Kommunistin, will von Streik, Protest und Reform wenig wissen.

Der Verlag, für den sie Lehrbücher schreibt, will jüngere Autorinnen und weniger Frankfurter Schule. Nathalies Mutter (grandios wie immer: Edith Scob) ist depressiv, stürzt, stirbt, da hat Nathalie noch die dicke, alte, schwarze Katze Pandora am Hals.

Die Kinder sind aus dem Haus, Nathalie ist so allein, wie sie frei ist; da ist ihr Exschüler Fabien, so radikal, wie sie einmal war. Er zieht mit Freunden in ein Bauernhaus im Vercors. Nathalie fährt da hin, die jungen Leute diskutieren über Anarchismus 2.0, Copyright und die Frage, wie revolutionär man zu sein hat.

Das ist bei aller Sympathie nicht mehr Nathalies Welt, wenn auch nicht so fremd, wie ihr schon lange ihr Mann war, Karl-Kraus-Leser, Kantianer und nie Kommunist. „Ich habe mich geändert“, erklärt Nathalie einer Frau, die ihre Tochter sein könnte. „Aber die Welt ist noch immer die gleiche“, antwortet diese, „nur schlimmer.“

21. 2., 12 Uhr, Friedrichstadtpalast

Die französische Regisseurin Mia Hansen-Løve ist 35. Es ist interessant, dass sie ihre eigene Generation über eine Figur perspektiviert, die ihre Mutter sein könnte. Was sie auf diese Weise gewinnt, ist eine schöne und überzeugende und sich sehr fair anfühlende Äquidistanz, zur jüngeren wie zur älteren Generation.

Eine frühreife Könnerin war sie schon lange; ziemlich großartig ist es nun, wie souverän sie in “L’avenir“ das Tempo variiert, die Klischees weniger meidet als mit genauen Beobachtungen zum Leben erweckt; wie sie immer genau da schneidet und springt, wo das Nötige gesagt und gezeigt ist.

Scheu vor Melos und Wahrheit von Songs zur rechten Zeit hat sie sowieso nicht. Dies alles im Rahmen einer Kunst, die um die eigenen Mittel wenig Aufhebens macht. Und so ist “L’avenir“ eine sehr französische, angenehm subtile und leichte Tragikomödie in gebildeten Schichten.

Mit den großen Gedanken und den großen Gefühlen und den großen (ein bisschen allegorischen) Katzen dieser nicht sehr großen Welt kennt Mia Hansen-Løve sich so gut aus, wie man sich nur auskennen kann. Es ist schön, dass der Titel die Zukunft verspricht. Was das heißen kann, lässt der Film angenehm offen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.