Widerstand nach der US-Wahl: Zusammenrücken!

AktivistInnen versuchen, Strategien gegen Donald Trump zu entwickeln. Als Erste und am stärksten betroffen sind die Papierlosen.

Ein junger Latino ruft etwas auf einer Demonstration gegen den neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump

Nach dem Wahlsieg von Donald Trump protestieren junge Latinos in Phoenix Foto: ap

NEW YORK taz | Es war ein bittersüßer Wahlabend für die 26-jährige Abril Gallardo in Phoenix, Arizona. Einerseits haben die Wähler Sheriff Joe Arpaio nach 23 Jahren aus dem Amt vertrieben – den Mann, der Latinos jagte und der seine Gefangenen in Ketten am Straßenrand arbeiten ließ. Andererseits haben sie Donald Trump ins Weiße Haus geholt, der auf der nationalen und internationalen Bühne dem Vorbild Arpaios folgen will.

Zum Ende des Sheriffs haben Latinos wie Abril Gallardo eine Menge beigetragen. Die Studentin hat zwar selbst kein Wahlrecht, aber sie hat Wähler registriert, Reden gehalten, Texte geschrieben und demonstriert. Jetzt ist dieser Erfolg dadurch überschattet, dass sie schon bald selbst Opfer des kommenden neuen starken Mannes in Washington werden könnte. Denn sie ist eine von rund 800.000 jungen Leuten in den USA, die seit 2012 in den Vorteil der befristeten Aufenthaltsgenehmigungen für die Kinder von papierlosen Einwanderern gekommen sind.

Sie werden „Dreamer“ genannt. Präsident Barack Obama hat ihre neue Situation per Dekret geschaffen. Sein Nachfolger will es streichen. Damit würde Abril Gallardo in dieselbe rechtlose Situation zurückfallen, in der ihre Eltern immer gewesen sind. Mit dem Unterschied, dass die Behörden jetzt alles über die „Dreamer“ wissen – Wohnort, Arbeitsplatz und persönliche Daten.

Donald Trump hat in seinem Wahlkampf versprochen, die Fortschritte der Obama-Jahre zunichtezumachen: von der Gesundheitsreform über die kleinen Fortschritte in der Einwanderungspolitik bis hin zur Klimapolitik. Am entschlossensten klingt er gegenüber den „Illegalen“. Nirgends ist die Zahl der unmittelbaren Betroffenen größer: elf Millionen Menschen, von denen viele seit Jahrzehnten in den USA sind und unter denen die Jüngeren kaum ein Leben anderswo erinnern.

Rassistische Übergriffe

Bei jedem seiner Auftritte im Wahlkampf hat Trump von den kommenden „Deportationen“ und der Mauer gesprochen und dafür immer tosenden Beifall bekommen. In seinem 100-Tage-Programm ist zu lesen, dass er mit der Abschiebung von straffällig gewordenen Einwanderern und mit der Streichung der Rechte für Leute wie Abril Gallardo beginnen will.

Seit dem Morgen nach der Wahl hört Abril Gallardo von Kindern aus Latino-Familien in Arizona, die nicht in die Schule gehen wollen. Sie haben Angst vor Klassenkameraden, die „für Trump“ sind, die sich über sie lustig machen, „weil sie Spanisch reden“. Auf dem Pausenhof rufen sie ihnen zu: „Du gehörst hier nicht hin.“

Abril Gallardo, Aktivistin

„Wir werden stärker werden und unsere Familien gemeinsam verteidigen“

Auch die Erwachsenen sind jetzt verstärkt im Visier ihrer Nachbarn. Eine Freundin von Abril Gallardo, eine „dunkelhäutige Latina“, erlebte das am Tag nach den Wahlen in einem Supermarkt in Scottsdale, einer wohlhabenden, weißen Gemeinde bei Phoenix. Sie wollte ein Getränk kaufen, als mehrere Männer unter roten Schirmmützen mit der Aufschrift „Make America Great Again“ sie anstarrten, ohne ein Wort zu sagen.

Die junge Frau hastete zur Kasse, wo ihr Getränk in eine Tüte geworfen und sie wortlos abgefertigt wurde. Als sie noch im Ausgang war, knallte einer der Schirmmützenmänner die Türe hinter ihr zu. Einen Moment später riss derselbe Mann die Tür für eine weiße Frau auf und grüßte sie freundlich.

Weggehen ist keine Option

„Dies sind angstmachende Zeiten“, sagt Abril Gallardo: „für mich und für meine ganze Community“, wozu sie neben Latinos alle anderen dunkelhäutigen Leute zählt. Erst kürzlich hat sie ein Studienstipendium bekommen, im nächsten Frühjahr wollte sie ihr Examen an der Universität in „Public Policy“ machen. Und sie hat eigentlich geplant, ein Haus zu kaufen.

Stattdessen sieht sie nun die kommenden vier Jahre als eine Zeit von „Dunkelheit und Ungewissheit“. Und weiß nicht, ob sie irgendeines ihrer Projekte noch realisieren kann. Aber weggehen ist keine Option für sie: „Mein Leben ist hier. Meine Familie und meine Freunde und meine Zukunft sind hier.“

Abril Gallardo war als „Dreamer“ zwar nicht stimmberechtigt – ihre Stimme erhebt sie trotzdem Foto: privat

Der künftige Präsident hat beide Kammern des Kongresses, die überwiegende Mehrheit der Regierungen der Bundesstaaten und bald auch die Mehrheit im Obersten Gericht hinter sich. Aber Abril Gallardo sagt: „Ich habe keine Angst.“ Sie ist überzeugt, dass sie und ihre Landsleute bereit sind, sich „gegenseitig zu schützen und zu helfen“.

Sie nimmt diese Gewissheit aus der Summe der Erfahrungen von Latinos in Arizona: „Wir haben 23 Jahre Arpaio überlebt, wir haben Abschiebebusse in unseren Wohnvierteln gehabt, in denen unsere Nachbarn deportiert wurden, wir haben ein rassistisches Gesetz nach dem anderen erlebt und manche davon zu Fall gebracht, und wir kennen unsere Rechte.“

Sich den Rücken stärken

Abril Gallardo ist seit Jahren in Immigrantengruppen aktiv. In der kommenden Woche wird sie an einem ersten Treffen aller Gruppen von Arizona nach der Wahl teilnehmen. „Dieser Moment wird viele Leute zusammenbringen“, glaubt sie, „wir werden stärker werden und unsere Familien gemeinsam verteidigen.“

In diesen Tagen denken viele daran, enger zusammenzurücken. Bei Hunderten von Demonstrationen gegen Trump, die seit Mittwoch im ganzen Land stattgefunden haben, versichern sich Linke, dass sie einander den Rücken stärken werden. Und gemeinsam vorgehen wollen.

In New York klingt der populärste Klimaschützer des Landes wie ein Echo auf die junge Latina aus Arizona. Am Donnerstag Abend hält Bill McKibben eine Vorlesung vor der Universität „New School“ über das Schicksal der Erde. Mit belegter Stimme spricht er von den kommenden harten Jahren.

Schönwetter bei Trump

Er sagt offen, dass seine Bewegung, die es geschafft hat, Präsident Obama zu einer aktiven Klimapolitik zu drängen, jetzt mit dem Rücken zur Wand steht. „In den nächsten Jahren werden wir keine gesetzgeberischen Fortschritte machen“, prognostiziert er.

Abschied von Amerika. Unsere Autorin hat die Präsidentschaft Obamas als Korrespondentin begleitet. Jetzt war sie dabei, als sein Nachfolger gewählt wurde. Was sich im Land verändert hat und wie es nun weitergeht, lesen Sie in der taz.am wochenende vom 12./13. November 2016. Außerdem: Der ARD-„Tatort“ erlebt seine 1.000 Aufführung. Warum ist er so erfolgreich? Und: Wenn der Feminismus „cool“ wird. Unterwegs mit drei Expertinnen. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Trump bezeichnet den Klimawandel als „chinesische Erfindung“ und redet über das Wetter, „das sich eben manchmal ändert“. Er hat angekündigt, dass er das Pariser Klimaabkommen vom vergangenen Jahr, das mehr als 190 Länder angenommen haben, kündigen und dass er sämtliche Verpflichtungen, die sich daraus für die USA ergeben, streichen will.

Er will die Umweltbehörde EPA weitgehend abschaffen und er hat in der Person von Myron Ebell ein Sprachrohr der Ölbranche in seine Übergangsregierung geholt und klargemacht, dass in Zukunft Öl, Gas-Fracking und Kohlebergbau freie Bahn haben. Klimaaktivisten nennt Trump einen „Haufen von Leuten, die ein Thema entdeckt haben, mit dem sie viel Geld machen“.

Zeit für zivilen Ungehorsam

Klimaschützer Bill McKibben, der in den zurückliegenden Jahren Hunderttausende überzeugt hat, gegen eine Pipeline und für eine internationale Klimapolitik auf die Straße zu gehen, appelliert an Obama, in seinen verbleibenden 70 Tagen zumindest noch ein paar Zeichen zu setzen. Unter anderem soll der Präsident Initiative gegen die „Dakota Access Pipeline“ in North Dakota ergreifen. „Symbolisch ist das wichtig“, sagt Bill McKibben – auch wenn Trump das wieder streichen könne.

McKibben sieht die Zukunft in der „Bewegungsbildung“. Seinen Zuhörern in der New School sagt er: „Wir müssen weitermachen. Mit tiefer Leidenschaft, aber auf unsicherem politischem Grund.“ Für die Schlachten der kommenden Jahre will er die bewährten Methoden der Bewegung ausbauen: gewaltfreien Widerstand, zivilen Ungehorsam und die „Eroberung des Zeitgeists und der Herzen“.

Bevor Trump damit beginnt, die Klimapolitik zu zerstören, wird er die papierlosen Einwanderer ins Visier nehmen, ist auch McKibben überzeugt. In New York sagt er: „Ich hoffe, dass wir alle da sein werden, wenn sie kommen, um die Papierlosen abzuholen.“ Das wird der erste Moment für gewaltfreie Aktionen.

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