Wie China das IOC entmachtet: Eine Diktatur übergeht die andere

Die Rollenverteilung ist neu: Seit Beginn der Spiele diktieren die Chinesen die Regeln, nicht das IOC. Das olympische Gremium spricht von der "Macht der Realitäten".

Beschwichtigende Gesten sind sein Metier: IOC-Präsident Jacques Rogge Bild: dpa

Täglich wird das gleiche Schauspiel aufgeführt. Kritische Journalisten fragen. Wang Wei gibt keine Antwort, jedenfalls keine zufriedenstellende. Er ist der Generalsekretär des chinesischen Organisationskomitees der Spiele, des Bocog. Wang Wei ist mächtig, weil das Bocog mächtig ist. Sie sind die Herren der Spiele, nicht die Funktionäre des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), das durch Medienchefin Giselle Davies auf der täglichen Pressekonferenz vertreten ist. Sie ist eine kleine, zierliche Frau, Tochter eines BBC-Reporters. Sie sitzt am Rand. Wang Wei thront zentral, flankiert von seinem Assistenten Sun Weide, der allzu neugierige Journalisten schon mal angiftet, sie mögen das Mikrofon endlich freigeben, so ginge das nicht mit der ewigen Nachfragerei und dem Ins-Wort-Fallen. "Respektieren Sie unsere Regeln", zischt er.

Genau darum geht es in den Tagen des großen Sports: Seit Beginn der Spiele diktiert das Bocog die Regeln. Alle anderen wurden zu Befehlsempfängern. Auch das IOC, die Weltregierung des Sports. Sie ist nicht der Souverän, die Chinesen waren es und sie sind es - noch zwei Tage.

Diese Rollenverteilung ist neu fürs Olympische Komitee. Denn wo es hinkam, wurde es hofiert. Seine Mitglieder wurden behandelt wie Premiumdiplomaten. Regierungen schafften Steuern ab, um die Herren der Ringe ins Land zu locken, sie machten den Buckel krumm und pinselten Funktionärsbäuche. Das hatte Peking nicht nötig. Mit Dreistigkeit haben sie das IOC enteignet. Und wie reagiert das olympische Gremium darauf? Es spricht wie IOC-Vize Thomas Bach von der "Macht der Realitäten".

Es sei absolut richtig gewesen, die Spiele in Peking auszurichten, "das IOC fühlt sich bestätigt", sagt Bach, der mit kühner Hinterzimmerdiplomatie auf den IOC-Chefsessel strebt. Steht wirklich alles zum Besten? "Wir waren in Gefahr, zum Spielball öffentlicher Erwartungen zu werden", sagt Bach. "Wir müssen deutlicher definieren, was wir wollen und was wir können." Das werden sie künftig wieder tun, in vier Jahren bei den Sommerspielen in London. Da wird das IOC wie gehabt in die Chefrolle schlüpfen. In Peking aber läufts anders. Deswegen ist Deutschlands oberster Sportfunktionär gezwungen, auf hohem Niveau zu lavieren. Besonders spitzfindig wird der ehemalige Fechter, wenn es um die Rolle des IOC in der Tibet- oder Menschenrechtsfrage geht. Bach in einem Fernsehstudio: "Wir sind politisch neutral, aber nicht unpolitisch." Es ist ein rhetorischer Tanz auf dem Schwebebalken der höheren Sportpolitik. Manche fallen vom Gerät wie der deutsche Chef der Mission, Michael Vesper, der Internetzensur in China mit dem Verbot neonazistischer Netzinhalte verglichen hat.

Sprecherin Davies ist viel flexibler als Vesper. Sie hat sich an die scharfen Spitzen der zumeist angelsächsischen Journalisten gewöhnt. "Es ist ihre Aufgabe, kritische Fragen zu stellen", sagt sie, während ihr die Pfeile um die Ohren sausen. Sie habe Verständnis für das Feuerwerk der Kritik. Aber das IOC habe Informationen von Meinungsforschern, "die herausgefunden haben, dass es keinen negativen Einfluss auf das Image des IOC gibt. Es lief gut und es läuft gut." Mit unbewegter Miene fährt sie fort: "Wir haben derzeit keine Kritik." Das IOC sei "sehr glücklich", weil die Spiele organisatorisch toll funktionierten. "Nach China zu gehen war der richtige Weg."

Es war ein beschwerlicher Pfad, der vom IOC beschritten wurde. Denn der Fackellauf nach Peking war ein einziges PR-Desaster. In Peking kam es aber noch dicker. Am Ort der Spiele wurde das IOC in Fragen der Pressefreiheit überrumpelt. Das Bocog hatte freien Zugang zum Internet zugesichert. Journalisten sollten sich frei bewegen dürfen, auch die chinesischen. Doch chinakritische Seiten blieben gesperrt. Anfangs waren sogar Inhalte westlicher Publikationen betroffen, zum Beispiel die der Deutschen Welle. Chinesische Reporter mussten noch größere Restriktionen erdulden als die Kollegen aus den USA oder Frankreich. Nach einem Bericht des Sydney Morning Herald haben sie einen Maulkorb verpasst bekommen: Ein internes Papier verpflichte sie zu patriotischer Stimmungsmache. Wang Wei dazu: "So ein Papier gibt es nicht."

Als die Internet-Filter etwas durchlässiger wurden, ließ das IOC, das blitzartig von der Rolle des Genarrten in die des Dummdreisten schlüpfte, verbreiten, die Journalisten hätten doch alles, was sie wollten. Sie könnten ungehindert über den Sport berichten - und das sei ja wohl ihre vorzügliche Aufgabe. Im Originaltext der IOC-Presseerklärung heißt es: "Der Zugang (zum Internet) wurde vom Bocog immer zugesichert, und die chinesischen Behörden und das IOC sind erfreut zu sehen, dass die Zusicherungen eingehalten werden." Ein unglaublicher Kommentar, der von der Kollaboration der IOC-Bosse mit den chinesischen Zensoren zeugt.

Als ein Olympiaberichterstatter auf dem Tiananmen-Platz im Zentrum Pekings verhaftet wurde, obwohl er die offizielle Akkreditierung um den Hals trug, intervenierte das IOC halbherzig: Es missbillige "jeden Versuch, einen Journalisten zu behindern, der offenbar im Einklang mit den Regeln und Vorschriften seinen Job machen will", verkündete Davies. Und dann, man glaubt es kaum, forderte das kleine Fräulein das große Bocog heraus: "Wir wollen so etwas nicht noch einmal sehen." Wang Wei lächelte. Die Brisanz des Falls war ihm freilich bewusst: Betroffen war der britische Fernsehjournalist John Ray (ITV News). Er war in der Vorwoche festgenommen und erst nach ein paar Stunden freigelassen worden. Er sei "körperlich" bedroht worden, sagte er.

Ray war immerhin in Peking zugegen, andere kamen gar nicht erst so weit, zum Beispiel der amerikanische Eisschnellläufer Joey Cheek, Sprecher des "Teams Darfur". Die Initiative von Athleten setzt sich für eine Befriedung des vom Bürgerkrieg verheerten Landstrichs im Süden Sudans ein. Ihm wurde das Visum verweigert. "Obwohl ich immer positiv von den olympischen Idealen gesprochen habe, niemals zum Boykott der Spiele aufgerufen oder Athleten dazu angestiftet habe, IOC-Regeln zu brechen, wurde mir das Visum verweigert", sagte der Wintersportler frustriert. Das IOC wollte sich für Cheek nicht einsetzen, weil er nicht für die Spiele akkreditiert gewesen ist. Dabei ist Cheek Olympiasieger, also auf ewig Teil der olympischen Familie.

So wie Cheek erging es auch einem US-Journalisten tibetischer Herkunft. Hier wurde Davies immerhin tätig. Seit Tagen wolle das IOC wissen, warum er nicht nach China einreisen dürfe, obwohl er eine IOC-Akkreditierung erhalten hat, so Davies. Wang Weis Truppe hielt das IOC aber hin, wie so oft. "Wir haben keine Antwort", musste Davies einräumen. Das klingt hilflos und kleinlaut. Das IOC wird, nachdem es zum Abschluss von den "besten Spielen aller Zeiten" gesprochen haben wird, ziemlich froh sein über ein Ende der Enteignung durchs Bocog. Am Sonntag werden die IOC-Bosse die fünf Ringe zurückbekommen. Auch Giselle Davies wird darüber sehr froh sein.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.