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Wie Städte Abschottung erzeugen„Der Glaube, dass wir uns verändern können, geht verloren“

Städte gelten als progressiv, doch auch dort gewinnen Rechte Stimmen. Zwei Forschende erklären, warum fehlende Zukunftsvisionen eine Gefahr sind.

AfD-Wahlkampf in Berlin: Trotz Großstadt-feindschaft bearbeiten Rechte Städte politisch Foto: Sebastian Wells/ostkreuz

taz: Herr Mullis, Sie haben einen Vortrag gehalten mit dem Titel „Städte. Ein progressiver Leuchtturm?“ Es gibt die weitverbreitete Annahme, dass rechte Landnahme vor den Städten Halt macht. Ist das so?

Daniel Mullis: Wenn man auf die Landkarten blickt, die nach jeder Wahl erscheinen, dann kann dieser Eindruck entstehen. Dabei differenzieren Wahlergebnisse innerhalb von Städten sehr stark. Wir sehen seit 2017 insbesondere in den peripheren Lagen der Städte einen starken Zuwachs für die AfD. Oft sind das Stadtteile, die von Abstiegserfahrungen, sozialer Exklusion und Entdemokratisierungsprozessen betroffen sind, aber längst nicht nur: Auch in wohlhabenden Stadtteilen mit einer langen konservativen Tradition wird die extreme Rechte gewählt. Wenn man genauer hinschaut, stellt man fest, dass auf allgemeiner Ebene in diesen Stadtteilen die Dynamiken ähnlich denen sind, die wir in ländlichen Gebieten beobachten. In Städten wie Cottbus, Dresden, Hanau oder Gelsenkirchen hat die AfD ganz starke Ergebnisse erzielen können. In NRW beispielsweise waren es die Städte, in denen die AfD in die Stichwahlen kam.

Bild: Peter Jülich
Im Interview: Daniel Mullis

ist assoziierter Forscher am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung (Prif). Aktuell arbeitet er am Thinktank Rechts­extremismus von Campact und verbindet dort Wissenschaft und zivilgesellschaftliche Akteur*innen. 2024 veröffentlichte er „Der Aufstieg der Rechten in Krisenzeiten. Die Regression der Mitte“.

taz: Wenn nicht Stadt oder Land den Unterschied macht, was wären die Faktoren, die stärker in den Blick genommen werden sollten?

Mullis: Was hilft, die Entwicklungen zu analysieren, ist der Begriff der Peripherisierung. Peripherisierung kann räumlich und kollektiv sein, es kann sich aber auch um einen sehr persönlichen Effekt handeln. Wenn zum Beispiel weiße Männer das Gefühl haben, dass sie aus der gesellschaftlichen Zentralität herausgedrängt werden, ist auch das eine Erfahrung der Peripherisierung.

taz: Wie wird denn im neurechten Diskurs auf Stadt geschaut?

Mullis: Zum einen gibt es noch immer eine sehr starke Großstadtfeindschaft. Zu diesem Zweck wird immer wieder das Bild der migrantischen Stadt, der gefährlichen Stadt versucht herzustellen. Auf der anderen Seite sieht man, dass Städte gleichzeitig Orte sind, die sie gezielt für Demonstrationen nutzen und stadtpolitisch bearbeiten. Dazu werden Alltagsprobleme wie die Wohnungsfrage, marode Schulen oder Ausbildungsplatzmangel aufgegriffen. Immer in Verbindung mit dem Schüren von Rassismus.

taz: Im Vortrag haben Sie gesagt: „Regression ist in vielen Städten zu einem Grundrauschen geworden.“ Was meinen Sie damit?

Mullis: Dabei geht es um die Regression der politischen Mitte, welche wir in Frankfurt a. M. und in Leipzig erforscht haben. Wir haben festgestellt, dass die Erfahrung des demokratischen Verlusts, das Gefühl nicht mehr gehört und repräsentiert zu werden, rassistische Ressentiments, aber auch Abstiegserfahrungen etwas sehr weit geteiltes sind. Neoliberale Vergesellschaftungsformen haben Spuren hinterlassen. Das betrifft längst nicht nur Leute, die die extreme Rechte wählen, es setzt aber einen Prozess in Gang, bei dem sich die Leute anfangen einzuigeln. Sie verschließen sich der Gesellschaft und sind nicht mehr offen für Transformationsprozesse. Was beginnt zu dominieren, ist das Gefühl, etwas bewahren zu müssen. Das bezeichnen wir als regressiven Moment. Die radikale Rechte geht gezielt auf dieses Gefühl und gibt vermeintlich einfache Antworten. Dazu vermittelt die rechtsradikale Ideologie die passende Legitimation für das Gefühl des Einigelns und Abschließens. Mit der AfD gibt es eine vermeintlich demokratische Legitimation für dieses Gefühl.

taz: Alexandra Schauer, Sie haben sich angeschaut, wie Menschen in der Gegenwart Räume beleben. Können Sie an Herrn Mullis Gedanken anknüpfen?

Alexandra Schauer: Städte interessieren mich als Orte gemeinsamen Sprechens und Handelns, an denen über die zukünftige Gestaltung der Gesellschaft – teilweise auch gewaltsam – gestritten wird. Solche Orte haben im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts an Bedeutung verloren. Das sehen wir etwa an der fortschreitenden Privatisierung des städtischen Raums oder daran, wie öffentliche Plätze in halböffentliche Konsumsphären verwandelt werden. Auch ich beobachte das, was Daniel Peripherisierung genannt hat, ich würde aber noch einen Schritt weiter gehen: Der Glaube, dass wir Gesellschaft zum Besseren verändern können, geht verloren. Dort, wo die Idee einer besseren Zukunft für alle an Bedeutung einbüßt, verhärten sich Kämpfe um Selbstbehauptung. Bewahren, Abschotten, Verteidigen treten in den Vordergrund.

Bild: ifs
Im Interview: Alexandra Schauer

ist Soziologin am Institut für Sozialforschung in Frankfurt am Main, wo sie zu destruktiven Krisenverarbeitungen forscht. 2023 erschien ihr Buch „Mensch ohne Welt“. Sie war Mitorganisatorin der Tagung „Gegen/Moderne“ an der Uni Basel.

taz: Was hat die Veränderung von Raum und Öffentlichkeit mit der sogenannten Moderne zu tun?

Schauer: Städte, an denen sehr unterschiedliche Klassen und Schichten aufeinandertreffen, werden erst in der Moderne zum Zentrum des gesellschaftlichen Lebens. Gleichzeitig entsteht mit der Zunahme gesellschaftlicher Austauschbeziehungen die Idee eines globalen Raums. Neu ist zudem das Tempo, mit dem sich das städtische Leben vollzieht. Im Zuge dieser Beschleunigung etabliert sich die Vorstellung einer offenen Zukunft, die durch den Menschen gestaltet werden kann. Die philosophischen Strömungen der Moderne haben dafür den Begriff des „menschengemachten Fortschritts“ geprägt. Und die Öffentlichkeit soll der Ort dieser politischen Zukunftsgestaltung sein.

taz: Was bedeutet der Begriff Gegenmoderne in diesem Zusammenhang?

Schauer: Mit dem Begriff soll angedeutet werden, dass das kulturelle Projekt der Moderne zunehmend als Ganzes infrage gestellt wird. Und das gilt nicht nur für rechte Gegenmobilisierung, sondern zum Teil auch für linke, etwa wenn angesichts des Klimawandels der Begriff des Fortschritts verabschiedet wird.

taz: Was können wir dagegen tun?

Mullis: Wir müssen uns vom Glauben verabschieden, das sei ein zeitlich begrenztes Phänomen. Wir leben in Zeiten mit fundamentalsten Herausforderungen. Die können beängstigend sein und regressive Muster befördern. Genau deshalb wäre es so zentral, gemeinsam als Gesellschaft an konkreten Zukunftsvorstellungen zu arbeiten. Daran scheitern gerade die politischen Parteien in Deutschland. Es braucht eine Vision, wo die Gesellschaft 2030, 2040 und 2050 sein kann. Das Versprechen der CDU, dass wir weiterhin in Einfamilienhäusern leben, Verbrennermotor fahren und unseren Wohlstand so halten können, wird kollabieren. Das Kartenhaus dieser falschen Versprechen wird zusammenbrechen, wer davon profitieren wird, ist zum aktuellen Stand die radikale Rechte. Aber nicht, weil sie so gut argumentieren würde, sondern weil wir als Gesellschaft ihr das Terrain überlassen. Es muss dringend ein Entwurf her, wie das gute Leben für alle aussehen kann.

Schauer: In Berlin gab es eine große Zustimmung für die Kampagne zur Vergesellschaftung von Wohnraum, wobei selbst unter CDU-Wählern die Zustimmung zwischen 30 und 40 Prozent lag. Umgesetzt wurde dies nicht, vielmehr wurde auch die Mietpreisbremse rückgängig gemacht. Zugleich wäre dem Rückbau von Infrastruktur in ländlichen und deindustrialisierten Regionen entgegenzuarbeiten. Durch die Beseitigung seiner materiellen Triebkräfte würde einerseits dem Gefühl des Abgehängtseins entgegengetreten und es würden Orte für gesellschaftliche Begegnungen und Aushandlungsprozesse geschaffen.

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12 Kommentare

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  • Wenn das Gefühl besagt, dass früher alles besser war, dass die Heimat sich nicht mehr nach Heimat anfühlt, dass die Zukunft schlecht aussieht, dass Toleranz mit Ignoranz verwechselt wird, Idiologie die klare Benennung von Problemen verhindert, dass heutige Politker den Problemen nicht mehr gewachsen sind und Armu stetig einwandert, wie soll da ein Entwurf geschaffen werden, wie "das gute Leben für alle aussehen soll"?

    Das klingt für mich nach "niemand hat vor eine Mauer zu errichten", "die Rente ist sicher" und "wir schaffen das".

    • @DiMa:

      Ich verstehe Sie gerade noch nicht.



      Sie kritisieren oder preisen zu Beginn das Zurückgewandt-Reaktionäre-Gefühlige? Verallgemeinern zu "heutige Politiker", behaupten, dass Einwanderung nicht Wohlstand schaffe, sondern Armut.



      Wie soll da ein gutes Leben entstehen? Gute Frage, aber eine Idee hätte ich.

  • Die Zukunftsvision heißt also weniger Eigenheime, Autos und Wohlstand allgemein? Das wird in einer Demokratie niemals mehrheitsfähig sein. Die Gesellschaft ist inzwischen sowieso so divers, dass es so etwas wie eine gemeinsame Vision gar nicht mehr geben kann. Es gibt da einfach zu viele konträre Interessenlagen und solidarisch ist das Letzte was so eine Gesellschaft jemals sein wird.

    • @Šarru-kīnu:

      Bezüglich Eigenheime, Auto und Wohlstand könnte man ja einfach mal die TAZ-Chefredaktion fragen (gerne auch als anonyme Umfrage): Wieviele der Befragten haben denn ein Eigenheim? Wieviele ein Auto? Wieviele können von sich sagen, dass einen gewissen "Wohlstand" vorweisen können, zum Beispiel im Vergleich zum 0815-Redakteur oder freien Fotograf? Und wären diese bereit darauf zu verzichten? Spoiler: Wahrscheinlich nicht. Dann frage ich mich doch, wie man solche Forderungen der Durchschnittsbevölkerung verkaufen will. Und bitte: Nicht als Kritik an der TAZ-Redaktion verstehen! Auch ich habe Eigenheim, Auto und einen gewissen Wohlstand (den würde ich einfach mal so definieren, dass man mehrfach im Jahr in den Urlaub fährt, sein Eigenheim abzahlt und trotzdem beim einkaufen nicht auf die Preise achten muss). Würde ich darauf verzichten? Nein! Würde ich diese Privilegien meiner Tochter verweigern? Nein. Aber wer Bock drauf hat: Immer gerne...

      • @MarsiFuckinMoto:

        Ist das verallgemeinerbar, was Sie beschreiben?



        Sind die Privilegien begründbar?



        Und falls nicht, was folgern Sie daraus?

      • @MarsiFuckinMoto:

        Vielleicht wäre es ein besserer erster Schritt, sich zu fragen: Muss das berechtigte Bedürfnis nach angemessenem Wohnraum über Eigentum geregelt werden? Was wären Alternativen, die sicherstellen, dass jede(r) sein Leben lang ein Dach über dem Kopf hat, ohne Angst vor einer Kündigung und unendlichen Mietpreissteigerungen haben zu müssen?



        Gleiches gilt für Mobilität.



        Und schon ist man raus aus einer Debatte, in der man sich gegenseitig vorhält, andere in die Pflicht nehmen zu wollen für den gesellschaftlichen Fortschritt.

        • @Libuzzi:

          "Muss das berechtigte Bedürfnis nach angemessenem Wohnraum über Eigentum geregelt werden?"



          "Gleiches gilt für Mobilität."

          Es gab mal eine Clique, die hat das seinerzeit für die Gesellschaft geregelt. Die wohnte in der netten, gated Community Wandlitz, im Einfamilienhaus selbstverständlich.



          Aber es ist wohl offensichtlich so, dass ein nicht unwesentlicher Teil unserer Gesellschaft das gerne wieder mindestens so ähnlich hätte. Iss ja auch einfacher und bequemer, wenn andere entscheiden und machen, als z.B. selbst Verantwortung zu übernehmen!

        • @Libuzzi:

          Eigentum hat gegenüber Mietverhältnissen weit mehr Vorteile als nur den Schutz vor Obdachlosigkeit oder Mieterhöhungen.

          • @Tom Tailor:

            Wenn das doch bloß die Leute endlich einsehen und sich statt des Netflix-Abo mal Wohneigentum zulegen würden!

  • Neoliberalismus lässt sich mit Realitäts-Checks abschütteln, als weißer Mann 'aus gutem Hause' lässt es sich freuen, dass das Spiel des Lebens vielleicht mal auch ein anderes Level als "supereasy" hat.



    Und gegenseitige Solidarität und das Anpacken lässt sich in Gemeinden, aber auch in Städten ausprobieren und ausbauen.



    Mahmani (seine Siegesrede sei empfohlen) zeigt in der Superstadt New York, dass auch die Vielen zumindest eine gemeinsame Stimme haben können, so schwer das Umsetzen dann auch werden wird.



    Nutzen wir unsere politischen Muskeln für die Gemeinschaft und gegen die Lobbyisten der Wenigen, mit den Gemeinden fängt's an.

    • @Janix:

      So sympathisch ich Mahmani auch finden mag, die "Umsetzung" ist nicht schwer, sie ist reine Utopie (für viele seiner Vorhaben hat er beispielsweise überhaupt keine rechtlichen Befugnisse, von der Finanzierbarkeit rede ich da gar nicht). Das wird den Demokraten mittelfristig sogar vermutlich eher schaden, denn Trump und die Republikaner werden New York als Beispiel für unerfüllte Wahlversprechen nutzen (und ja, NATÜRLICH ist Trump nonstop am lügen usw., aber das muss ja keine Blaupause für die Demokraten werden).

      .

      Und was heißt eigentlich "wir" gegen "die Wenigen"? Für wen wird hier gesprochen? Die angebliche linke Mehrheit im Land? Die sehe ich nicht, von Wahlergebnissen ganz zu schweigen. Dieses "Wir gegen die Lobbyisten" wirkt für mich wie die Selbstbestätigung auf vielen linken Demos oder Aktionstagen: Eine reine Selbstbestätigung der eigenen Meinung in der selbstgewählten Bubble. Sobald es dann aber zur Umsetzung kommen soll (siehe diverse Abstimmungen in Berlin), wird entweder nicht mal das Quorum erreicht, oder es kommt keine (gewollte) Mehrheit zustande. Für mich ist das Wunschdenken, nichts weiter...

      • @MarsiFuckinMoto:

        Nö, die Vielen sind die 95 % die von einer Steueränderung profitieren würden, was auch immer sie wählten oder wählen werden.



        Von einer, wie sie SPD, Linke oder Grüne in der Tat im Bundestagswahlkampf propagierten. In öffentlich zugänglichen Rechnern nachzuprüfen.