Abo-Strategie der New York Times: Brottext und Spiele
Hat die „New York Times“ das Rezept gefunden, wie unabhängige Medien überleben können? Schaut man auf die Zahl der Nachahmer, ist die Antwort klar.
Die New York Times (NYT) ist in der Medienwelt etwas Besonderes. Nicht unbedingt wegen ihrer Berichterstattung, sondern weil sie wächst und stetig weitere Abos generiert. Für viele andere Medien klingt das utopisch. Ein Grund für das Wachstum sind die Spiele, die die Zeitung anbietet. 2022 zahlten über eine Million Menschen für Games-Only-Accounts. Bis 2027 will das Medienunternehmen 15 Millionen Spieleabos generieren und sagt, es wäre jetzt schon nahe dran. Ausschlaggebend für diesen Erfolg und die unglaublich wirkende Prognose ist hauptsächlich ein Spiel: Wordle.
Wordle ist kein Actionspiel, keines mit verrückten Grafiken und einer Storyline. Wordle ist einfach nur ein Spiel, bei dem man nach einem Lösungswort sucht. Fünfmal darf man ein Wort eingeben. Falsche Buchstaben werden markiert, ebenso wie Buchstaben, die im Wort vorkommen, aber an einer anderen Stelle. 2022 war Wordle das meistgesuchte Wort auf Google. So einfach, so erfolgreich.
Dabei hat die NYT das Spiel nicht selbst entwickelt, sondern es für einen niedrigen siebenstelligen Betrag vom Entwickler Josh Wardle gekauft, um das eigene Spieleangebot auszubauen. Wardle veröffentlichte das Spiel im Oktober 2021. Schnell spielten es 300.000 Menschen. Im ersten Quartal 2022 lag laut NYT die Spielerzahl bereits im zweistelligen Millionenbereich.
„Unsere Lifestyle-Produkte sind wirklich ein wichtiger Bestandteil unserer Strategie“, sagt Jonathan Knight, Chef der Spieleabteilung bei der NYT, im Jahr 2024, also zwei Jahre nach dem Wordle-Start Die Spiele sollen für Abonnentinnen und damit Geld sorgen, aber auch Nutzer an die eigene Marke binden. „Abonnenten, die sich in einer bestimmten Woche sowohl mit Nachrichten als auch mit Spielen beschäftigen, weisen das stärkste langfristige Abonnentenbindungsprofil aller Abonnenten der Times auf“, so Knight.
Der Bruder das Papstes
Es gibt bei der NYT nicht nur Wordle, sondern verschiedene weitere Spiele, die meist in der ein oder anderen Form schon bekannt waren. Fast alle diese Spiele sind erfolgreich, wie von der NYT veröffentlichte Zahlen zeigen, und haben auf Online-Plattformen wie Reddit eigene Fangruppen, in denen sich Spieler gegenseitig Tipps geben. Bei „Connections“ etwa müssen Spieler 16 Wörter in vier Kategorien einsortieren. Bei „Spelling Bee“ bekommt man sieben Buchstaben und muss so viele Wörter wie möglich erschaffen. Auch hier ist der Hype riesig.
Die besondere Bedeutung von Wordle zeigt sich daran, wie tief die Begeisterung dafür in die verschiedenen Ebenen der Gesellschaft eingedrungen ist. Der Bruder des Papstes erzählt in einem Interview, dass sie bis heute jeden Tag gemeinsam spielen würden. Leo XIV. verpasse keinen Tag. Kamala Harris nannte Wordle einen „Gehirnreiniger“ und auch Camilla, Ehefrau des britischen Königs Charles III., spielt das Wortfindungsspiel.
Die Begeisterung für das Spieleangebot ist zu einer Grundstütze des Medienhauses geworden. 2024 hatte die NYT ingesamt ungefähr 10 Millionen Abonnenten, davon eine Millionen, die das Spieleabo hatten. Eine Strategie ist jedoch, neuen Kunden nicht nur das Spielabo zu verkaufen, sondern Bundle-Abos, die neben Spielen auch den Journalismus und die anderen Extra-Angebote haben, wie Jonathan Knight erklärt: „Wir gewinnen immer mehr neue Abonnenten, die zuvor ein Spiel-Abonnement abgeschlossen haben, und bieten ihnen das „All Access“-Paket an, das unserer Meinung nach ein besseres Angebot ist und ihnen Zugang zu mehr Produkten bietet, mit denen sie sich beschäftigen können.“ Außerdem trägt das Spielangebot zu einem großen Teil zur Bekanntheit bei. Menschen, die sich für Politik und Journalismus interessieren, kennen die New York Times so oder so. Menschen, die das nicht tun, kommen vielleicht zuerst zur NYT für die Spiele und lernen danach erst alles andere kennen.
Nach dem Erfolg der NYT bauten auch andere Medienhäuser ihr Spielangebot aus. In den USA bietet die Zeitschrift <i>Atlantic</i> Spiele an, die intellektueller sind und damit eine andere Zielgruppe ansprechen. Das Besondere ist außerdem der Versuch, eine „ästhetische Erzählkomponente“ einzubauen, sagt Caleb Madison, Leiter der Rubrik „Spiele“ in einem Interview mit <i>The Verge</i>. Die Spiele bekommen ein schöneres Design, haben eine Erzählstruktur und sind nicht wie die Spiele der NYT auf kurze Nutzungen ausgelegt. Bis jetzt ist dieser Versuch von mäßigem Erfolg gekrönt. Auf Reddit finden sich noch keine Fangruppen – und der Bruder des Papsts spricht auch noch nicht davon.
Dürftige Kreativität
Der englische Telegraph schuf schon 2022 „Britain’s biggest weekly puzzles section“ und bot extra dafür ein Spiele-Abo für knapp 5 Pfund an. Ein normales Abo kostet mindestens 20 Pfund im Monat. Auch der Guardian zieht inzwischen nach und bietet in einer eigenen App seine Spiele und Puzzle an.
Auch in Deutschland springen immer mehr Medienhäuser auf diesen Zug auf. Enrique Tarragona, Chief Product Officer Digital der Zeit, sagte in dem Podcast „Subscribe Now“, dass „Spiele-, Podcast- und andere Vertical-Abos keine kleinen `Hobby-Projekte`, sondern essenzieller Teil einer erfolgreichen Subscription-Strategie“ sind.
Der Tagesspiegel sagte auf Nachfrage der taz, dass sie die Erfahrung gemacht haben, dass „kluge Spiele bei unseren Lesern zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit unserem Journalismus führen“. Der Spiegel sagte der taz, dass „stabil über eine Million Unique User pro Monat“ die eigenen Spiele spielen würden. Bei der FAZ sind es nach eigenen Aussagen 100.000 bis 150.000 Unique User, wobei aber auffalle, „dass die Zielgruppe deutlich überwiegend weiblich ist, was gegenüber der Gesamtheit der faz.net-Nutzer ungewöhnlich ist.“
Beim Marketing, aber auch bei der Auswahl der Spiele sagten alle angefragten Medien der taz, dass sich in der nächsten Zeit viel verändern soll. Alle wollen diese Felder ausbauen: Mit Blick auf die dürftige Kreativität der aktuellen Spiele lässt sich sagen: Das ist auch nötig. Sicher, die Medien haben eigene Quizs oder Bilderrätsel, aber viele Spiele sind eingedeutschte Versionen der NYT-Spiele. Der Spiegel nennt Wordle weiterhin Wordle, bei der Zeit heißt das ganze Wortiger. Und die Spellingbee macht sie zur „Buchstabenbiene“.
Auch werden die Spiele nicht so sehr beworben wie in US-Medien. Es gibt keine eigenen Spiele-CEOs, keine Werbung, die dezidiert für die eigenen Spiele ausgespielt wird und auch auf den Websites muss man sich oft bis ans Ende der Seite wühlen, bis man sie findet. Als würde eine große Strategie fehlen. Bei der NYT ist in jedem der Podcasts Werbung für die Spiele geschaltet. In den anderen Lifestyle-Angeboten wie dem Sport-Magazin oder dem Koch-Angebot weisen Querverweise auf die Spiele hin – und auch eine eigene App gibt es.
Auch wenn die NYT keine Zahlen zu der Altersverteilung der Spieler veröffentlicht hat: Liest oder hört man zwischen den Zeilen, will die NYT wohl besonders junge Menschen abholen. Alle Werbungen im Audio-Bereich sind in einem ‚coolen‘ Ton gehalten, meistens mit der direkten Zielgruppenansprache an junge Menschen. Beiträge auf Instagram weisen darauf hin, dass das funktionieren könnte. Besonders junge Menschen berichten, sich ein Abo geholt zu haben, um beispielsweise auch das Archiv von Wordle nutzen zu können. Spiele könnten ein Tor sein, das junge Menschen zum Journalismus bringt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert