Wiederaufbau in Japan: Schutthalden neben Ruinen

In den zerstörten Gebieten Japans geht es bei der Beseitigung der Folgen der Katastrophe schleppend voran. Vor allem junge Menschen könnten die Region verlassen.

Die Stadt Rikuzentakata zwei Wochen nach dem Tsunami am 11. März. Bild: reuters

RIKUZENTAKATA/MINAMISANRIKU taz | Im provisorischen Rathaus von Rikuzentakata empfängt Taro Yoshida, der Vizeleiter des Wiederaufbaubüros der 24.000-Einwohner-Stadt an Japans Nordostküste, die Besucher mit einem Stadtplan. Darin sind die am 11. März vom Tsunami zerstörten Gebiete orange markiert.

"Die ganze Innenstadt wurde zerstört", sagt der Beamte. "Als die Welle kam, war sie 14 Meter hoch." Getroffen wurde auch das Rathaus der Hafenstadt rund 400 Kilometer nördlich von Tokio. Mit 2.190 Toten und Vermissten hatte Rikuzentakata mit die höchsten Verluste. Das barackenartige Behelfsrathaus steht auf einem Hügel am Stadtrand.

"Wir müssen die Menschen überzeugen, zu bleiben und die Stadt wieder aufzubauen", sagt er. Das sei schwierig. "Wo sollen wir die Grenze ziehen, wo wir bauen und wo nicht?", fragt Yoshida. Rikuzentakata wähnte sich sicher. "Wir hatten eine 5,50 Meter hohe Schutzmauer, die war nutzlos. Jetzt wollen wir einen 15-Meter-Wall haben. Aber unsere Präfektur Iwate will nur 12,50 Meter zahlen", sagt er.

Die Welle vom 11. März war ein Jahrtausendereignis, so das Argument. "Unser Aufbaukonzept war im August fertig. Jetzt sind wir in der Phase der Bürgeranhörungen", sagt Yoshida. Die Verwaltung wolle neue Wohnhäuser in höher gelegenen Gebieten bauen. Straßen sollten auch als Deiche dienen. "Arbeitsplätze sind der Schlüssel für unsere Zukunft. Wir wollen Call Center und Agrarfabriken ansiedeln", erklärt Yoshida.

Gut sieben Monate nach Erdbeben, Tsunami und Atom-GAU hat Bundespräsident Christian Wulff am Dienstag den Wiederaufbau in Japans Unglücksregion gelobt. "Ich habe großen Respekt vor der gigantischen Aufbauleistung", sagte Wulff am Dienstag in der Stadt Iwaki.

Rund um die Atomruine von Fukushima gebe es aber "noch viele ungeklärte Fragen". Zugleich nannte er den Zusammenhalt der Japaner nach der Katastrophe beeindruckend. Nach dem Gespräch in einem Behelfswohnlager machte sich Wulff im Küstenort Toyomi auch ein Bild von den verheerenden Zerstörungen durch den Tsunami.

Bisher lebte die Stadt von Tourismus und Austernfischerei. Viele Bewohner wollen ihren alten Ort wieder. Doch Experten wollen die Katastrophe als Chance für den überfälligen Strukturwandel nutzen.

Inzwischen ist die zerstörte Stadt aufgeräumt. Riesige Halden aus Holz, Schutt, Metall und Autowracks bilden neben Ruinen der wenigen gebliebenen Häuser die einzigen Erhebungen. Die Innenstadt ist eine große Brache - mit asphaltierten Straßen. Weil die Schleuse am Meer nicht zeitig geschlossen werden konnte, drang die tödliche Welle kilometerweit den Fluss hinauf und zerstörte auch Gebiete, von denen aus das Meer nicht zu sehen ist.

"Das Schlimmste ist die Enge"

Laut einer Umfrage leben von 3.842 Haushalten 2.184 in provisorischen Unterkünften und 1.658 außerhalb der Stadt. "14,4 Prozent möchten dort wohnen, wo sie vor der Katastrophe lebten. 52,9 möchten in höhere Gebiete der Stadt ziehen, 4 Prozent wollen weg. 28 Prozent sind unentschlossen", sagt Yoshida.

Yuko Murakami will bleiben. Sie sitzt vor ihrem Bungalow aus Fertigteilen, der auf einem Schulgelände steht. "Wir sind seit Juni hier", sagt die 35-Jährige. In der Präfektur Iwate, wo der Tsunami 54.429 Menschen obdachlos machte, gibt es schon seit September keine Notunterkünfte in Turnhallen mehr.

Murakamis Bungalow hat sogar eine Klimaanlage. Doch sie sagt: "Das Schlimmste ist die Enge. Im Sommer war es so feucht, das alles schimmelte. Im Winter wird es sehr kalt werden. Zwei Winter hier drin ertragen wir nicht."

Ihr Mann ist bei der Feuerwehr. Er hatte am 11. März die Bevölkerung gewarnt, bis auch die Feuerwache weggespült wurde. Er konnte sich retten. Murakami selbst erlebte das Beben auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums. Sofort fuhr sie mit dem Auto und ihren zwei Kindern zum nächsten Berg, während in der Stadt die Welle ihr Haus zerstörte. Jetzt will sie ein neues bauen. Doch wo und wovon, weiß sie noch nicht.

Behörden sorgen für Frust

"Ich bin frustriert von der Langsamkeit der Behörden", sagt der Geschäftsmann Masafumi Yamauchi aus Minamisanriku, einige Dutzend Kilometer südlich. Dabei soll noch im Oktober Japans dritter Nachtragshaushalt für den Wiederaufbau beschlossen werden.

Yamauchi hat einen Markt in Zelten initiiert, um für Geschäftsleute Normalität zu schaffen. "Es war für uns Geschäftsleute wichtig, unseren Willen zu demonstrieren", sagt er. Zum Glück gebe es in Minamisanriku keine Radioaktivität aus dem rund 200 Kilometer entfernten Fukushima.

Yamauchi hatte drei Firmen. "Ich habe alles verloren, und die Bank gibt keinen Kredit mehr." Erst seit er nicht mehr in einer Turnhalle wohne, finde er Ruhe, um über sein Leben nachzudenken. "Früher lebte unsere Stadt von Fischerei und Meeresfrüchtezucht. Erst wenn das wieder läuft, geht es aufwärts."

Schon vor der Katastrophe litt Japans Nordosten an Überalterung. Rikuzentakatas Wiederaufbauplaner Yoshida fürchtet, dass vor allem junge Menschen wegziehen, wenn nicht bald etwas Grundsätzliches passiert.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.