Wieviel Trainig brauchen Fußballprofis?: Unbedingt einsatzbereit

Während manche Kicker wie der Neuwolfsburger Gustavo spielerisch zur Form finden, üben sich andere einen Wolf. Und scheitern trotzdem.

In Wolfsburg gut angekommen: Luiz Gustavo Bild: dpa

Die Mehrheit seiner Kollegen muss sich veräppelt vorkommen. Zwei Monate lang haben sich die Profis des VfL Wolfsburg auf die Saison vorbereitet. Während zwei minutiös geplanten Trainingslagern sind sie gescheucht und geschult worden. Luiz Gustavo aber, ihre nachträglich verpflichtete Verstärkung, benötigte eine einzige Übungseinheit, um zu verstehen, was seinem neuen Team guttut.

„Ich weiß, was ich tun muss“, sagt der defensive Mittelfeldspieler, der auf Anhieb einen Stammplatz bekam. Warum müssen die meisten Fußballprofis bis zum Erbrechen rennen und alles mühsam einstudieren? Und warum kann einer wie Gustavo zu einem neuen Klub wechseln, ein einziges Mal mittrainieren und sofort glänzen? „Ich bin ein einfacher Typ und kenne meine Aufgaben“, mein Gustavo.

Der erste Auftritt eines Mannes, der für rund 20 Millionen Euro vom FC Bayern München zu den Wolfsburgern gewechselt ist, hat Gustavo als Musterschüler enttarnt und wirft unangenehme Fragen auf. Was haben die Profis von Schalke 04 und des Hamburger SV, die nach zwei Spieltagen frei von jeder Harmonie agieren, den Sommer über eigentlich geübt?

„Wir haben Probleme bei Standardsituationen. Wir machen individuelle Fehler. Das ist fahrlässig und alles andere als gut“, gesteht Horst Heldt, der als Manager Mühe hat, die Schalker Misere schlüssig zu erklären. Zwei teure Trainingslager in Donaueschingen und Klagenfurt waren gebucht worden, damit Chefcoach Jens Keller die wichtigsten Automatismen in die Köpfe seiner Spieler bekommt.

Felipe Santana, für rund fünf Millionen von Borussia Dortmund zu Schalke gewechselt, kann dabei nicht besonders gut aufgepasst haben. Der Brasilianer wirkte bei seinem Debüt, als er dem VfL Wolfsburg mit Fehlern und Hektik den Weg zu einem 4:0-Triumph ebnete, wie ein Fremdkörper.

Abwehrkette versteht kein Deutsch

Im millionenschwer bezahlten Fußball, das nehmen die großzügigen Sponsoren an, wird pedantisch und mit enormer Akribie für den Ruhm gearbeitet. Tatsächlich gibt es immer wieder Konstellationen, die in jeder solide geführten mittelständischen Firma sofort zur Einberufung eines Krisenstabes führen würden.

Hannover 96 etwa hat voller Stolz mit dem Brasilianer Marcelo einen weiteren Innenverteidiger eingekauft. Der Neuzugang vom PSV Eindhoven ist enorm selbstbewusst und durchaus intelligent. Aber als Marcelo und sein neues Team zuletzt von Gladbach 3:0 geschlagen und vorgeführt worden sind, gab es elementare Mängel.

Der Brasilianer Marcelo bildete mit dem Japaner Hiroki Sakai, dem Senegalesen Salif Sané und dem Belgier Sebastien Pocognoli eine Multikulti-Abwehr voller Lücken. Was immer es zwischen diesen Herren zu besprechen gab, Worte halfen nicht. „Wir hatten eine Viererkette, in der keiner ein Wort Deutsch gesprochen hat“, sagte Leon Andreasen, der Däne im Team von Hannover 96, mit kritischem Unterton.

Ein gewisses taktisches Grundwissen

Der moderne Profi von heute muss Erstaunliches leisten. Von ihm wird erwartet, dass er zwischen Abwehr- und Mittelfeldpressing unterscheiden kann, die Vorzüge der Neuneinhalber-Position kennt und am besten noch die Muttersprachen seiner Kollegen aus aller Welt beherrscht. Für Karrieretypen wie Max Kruse, einen der aufstrebenden deutschen Berufskicker, ist das selbstverständlich. Das Lob dafür, dass er bei seinem erfolgreichen Heimdebüt in Mönchengladbach (ein Tor, zwei Vorlagen) wie ein langjähriger Borusse aufgetrumpft hat, versteht der Neuzugang nur bedingt.

„Wir hatten doch zwei Monate Zeit“, sagte der für fünf Millionen Euro verpflichtete Angreifer. Viele Worte braucht Kruse auf dem Platz nicht. Seine Laufwege sind eine Mischung aus Routine sowie Intuition und der Beleg dafür, dass Spieler einer gewissen Güte in einem guten Team keine lange Anlaufzeit und keine Trainingseinheiten in Serie benötigen.

Eintracht Braunschweig kann sich keine millionenschweren Neuzugänge der Güteklasse eines Gustavo oder Kruse leisten. Der Aufsteiger holt deshalb nur Spieler, in deren Kopf genügend Platz für Flexibilität bleibt. „Wir wechseln das Spielsystem sehr häufig und haben an den ersten beiden Spieltagen unterschiedliche Varianten gespielt. Deshalb müssen unsere Spieler ein gewisses taktisches Grundwissen mitbringen. Und wir achten bei der Auswahl von Neuzugängen darauf, ob das vorhanden ist“, verrät Eintracht-Trainer Torsten Lieberknecht.

Unter seiner Regie wird fleißig getüftelt. Beim Niedersachsenrivalen VfL Wolfsburg dagegen tritt Neuzugang Gustavo den Beweis an, dass viel Gerenne im Training zwar lobenswert, aber eben auch ein Hinweis auf fehlende individuelle Klasse ist. „Gute Fußballer brauchen nicht viel Training. Sie wissen instinktiv, was sie machen müssen“, sagt Wolfsburgs Trainer Dieter Hecking. Deshalb kosten richtig gute Fußballer viel. Wolfsburg hat für Gustavos Ablösesumme mehr Geld überwiesen, als in Braunschweig für den gesamten Kader ausgegeben wird.

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