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Opferzahlen im Gaza-KriegWie viele Tote gibt es in Gaza?

Wie viele Menschen im Gaza-Krieg gestorben sind, ist umstritten. Studien legen nahe: Selbst die palästinensischen Zahlen sind wohl viel zu niedrig.

Dialyse-Patient im Al-Shifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt am 1. Juli. Mangels Strom werden 350 Patienten sterben, erklärte die Leitung Foto: Jehad Alshrafi/ap

Berlin taz | Täglich veröffentlicht der arabischsprachige Telegram-Kanal des palästinensischen Gesundheitsministeriums im Gazastreifen die aktuellen Opferzahlen „infolge der israelischen Aggression“. Die von ihnen verschickten Angaben, aufgeteilt in die Toten der letzten 24 Stunden und die Gesamtzahl seit dem 7. Oktober, bezifferten die Opfer Stand 12. August auf „61.599 Märtyrer und 154.088 Verletzte“. Seit mehreren Wochen detailliert das Ministerium auch die Zahl der Toten und Verletzten an den von der Gaza Humanitarian Foundation betriebenen „Essensverteilzentren“ – diese betrug Stand 12. August jeweils 1.838 und 13.409.

Das Gesundheitsministerium im Gazastreifen steht seit der Machtübernahme der Hamas im Jahr 2006 politisch unter der Kontrolle der dortigen Regierung, wird jedoch bis heute finanziell und verwaltungstechnisch von der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah unterstützt. Seine führenden Mitarbeiter, zumeist Ärzte, die für den Großteil der medizinischen Einrichtungen im belagerten Küstenstreifen zuständig sind, mussten ihre Büroräume infolge der israelischen Angriffe verlassen und arbeiten nun überwiegend aus dem Al-Shifa-Krankenhaus im Zentrum von Gaza-Stadt.

In unregelmäßigen Abständen veröffentlicht das Ministerium auch namentliche Listen der Toten. Die letzte solche Liste vom 31. Juli umfasste 60.199 Einträge und enthielt neben Geburtsdaten, Geschlecht und den von Israel vergebenen Ausweisnummern auch das genaue Alter am Todestag. Bei den ersten 97 getöteten Säuglingen wurde es in Tagen angegeben, bei den folgenden 877 in Monaten. Erst ab Eintrag 974 sind Namen von Opfern verzeichnet, die ihr erstes Lebensjahr erreicht haben. Insgesamt listen die neuesten Dokumente der Behörde 18.430 Minderjährige, 9.735 Frauen zwischen 18 und 60 Jahre und 4.429 Menschen über 60 auf. Genauere Angaben dazu, wie die Opfer getötet wurden, macht die Behörde nicht.

Israels Regierung und ihre Verbündeten diskreditieren die Angaben der Gaza-Behörden als „Hamas-Angaben“, aber interne israelische Militärdokumente bewerten sie als verlässlich, ebenso die Vereinten Nationen. Eigene Zahlen zu palästinensischen Zivilopfern gibt es von israelischer Seite nicht. Das israelische Militär gab im Januar lediglich an, seit Kriegsbeginn 20.000 Kämpfer der Hamas und anderen bewaffneten Organisationen getötet zu haben. US-amerikanische Nachrichtendienste schätzten die Zahl zum selben Zeitpunkt deutlich niedriger, auf etwa 10.000 bis 15.000. Vor wenigen Tagen erklärte das israelische Militär, seit dem von ihm verursachten Bruch der Waffenruhe im März weitere 2.000 Kämpfer getötet zu haben. Seit Beginn der Bodenoffensive Ende Oktober 2023 wurden außerdem 454 israelische Soldaten in Gaza getötet – davon 46 seit März.

Nicht alle Toten können registriert werden

Eine öffentlich zugängliche Übersicht aller in Gaza registrierten Todesfälle, ob kriegsbedingt oder natürlich, liegt nicht vor. Die besagten Listen des Gesundheitsministeriums erfassen nur Todesfälle durch Gewalteinwirkung, nicht aber die wachsende Zahl von Toten durch Hunger oder vermeidbare Krankheiten, und nehmen auch nur diejenigen Toten auf, die Mitarbeiter des Gesundheitswesens offiziell registriert haben. Diese arbeiten unter immer katastrophaleren Bedingungen und ständigen Angriffen. Auch das Gesundheitsministerium in Ramallah, das mit seinen Mitarbeitern in Gaza im ständigen Kontakt steht, beteiligt sich am Verifizierungsprozess.

Viele Menschen können im Kriegsgebiet gar keine Gesundheitseinrichtung erreichen und ihre Toten damit nicht registrieren lassen. Seit 2024 besteht zwar die Möglichkeit, Tote unter Berufung auf zwei Zeugen online zu melden; diese Meldungen fließen aber keinesfalls automatisch in die Todesliste, und Internetzugang ist im Gaza­streifen keine Selbstverständlichkeit. Auch deshalb weisen die Berichte des Gesundheitsministeriums wiederholt darauf hin, dass noch viele Leichen unter Trümmern oder in unzugänglichen Gebieten liegen. Ihre genaue Zahl bleibt ungewiss.

Einige Studien aus dem vergangenen Jahr haben versucht, diese Dunkelziffer zu erfassen. Im Januar veröffentlichte die renommierte Fachzeitschrift The Lancet eine Peer-Review-Studie von Forschern der London School of Hygiene and Tropical Medicine und der Yale University, die systematisch Nachrufe in sozialen Medien mit behördlichen Daten abglich. Ihr Ergebnis: Die vom Gesundheitsministerium gemeldeten Todeszahlen in den ersten neun Kriegsmonaten erfassen nur etwa 60 Prozent der tatsächlichen Zahl der Opfer durch Gewalteinwirkung.

Gestützt werden diese Ergebnisse durch eine weitere Studie, die Licht auf die stringente Arbeitsmethodik des Gesundheitsministeriums in Gaza wirft. Die unabhängige Londoner Konfliktforschungsorganisation Action on Armed Violence (AOAV) prüfte eine auffällige Veränderung in den amtlichen Opferlisten: In der Namensliste vom März fehlten 3.000 Namen, darunter 1.079 Kinder, die in früheren Listen aufgeführt waren.

Als diese Streichung bekannt wurde, stellten einige Medien sie als angeblichen Beweis für einen früheren Verfälschungsversuch der zivilen Opferzahlen durch die Hamas dar. AOAV arbeitete indessen mit mehreren Forschern aus Gaza zusammen und stellte fest: Die 3.000 Namen waren zumeist per Online-Meldung auf die Liste gelangt und wurden gestrichen, als sie den Verifizierungsrichtlinien der Behörde nicht genügten. Bei der Überprüfung der aus der Liste entfernten Kinder ließ sich dennoch der Tod von 60 Prozent mit hoher Sicherheit bestätigen, bei weiteren 21 Prozent galt er als wahrscheinlich. Nur in 3 Prozent der Fälle fanden sich Duplikate oder fehlerhafte Angaben, die einem tatsächlichen Todesfall eindeutig widersprachen.

Viele Menschen sterben aus anderen Gründen als Gewalt

Die neueste Studie, die am 19. Juni von einem internationalen Forscherteam der Universitäten Royal Holloway, Princeton, Stanford, dem Osloer Friedensforschungsinstitut und dem Palestinian Center for Policy and Survey Research veröffentlicht wurde, bestätigt die Erkenntnisse der vorherigen Untersuchungen mit einer anderen Methodik: Mehrere Teams befragten Anfang des Jahres repräsentativ ausgewählte 2.000 Haushalte im Gazastreifen zu Todesfällen. Auch hier zeigte sich eine Untererfassung durch das Gesundheitsministerium: Auf sechs verifizierte Kriegsopfer kamen vier nicht erfasste. In der Aufschlüsselung nach Alter und Geschlecht weisen die offiziell erfassten und nicht erfassten Todesfälle kaum Unterschiede auf: Ältere Menschen, Frauen und Kinder – Bevölkerungsgruppen, die in der Regel nicht an den Kampfhandlungen teilnehmen – stellen weiterhin die Mehrheit der registrierten wie auch der nicht registrierten Todesopfer.

Die Studie erfasst erstmals auch die Zahl der Menschen, die nicht durch Waffengewalt starben. Unstrittig ist, dass die weitreichende Zerstörung der Krankenhäuser und der Mangel an Medikamenten, Nahrungsmitteln und sauberem Wasser im Gaza-Streifen zu einem deutlichen Anstieg der Todesfälle geführt haben. Gezählt hat sie bisher aber niemand.

Bemerkenswerterweise kommt die Studie zu einer relativ niedrigen Zahl von 8.540 Todesfälle im Rahmen der Übersterblichkeit bis Januar 2025. Dies erklärte der Forschungsleiter Michael Spagat gegenüber Ha’aretz damit, dass es dem UN-Hilfswerk UNRWA und anderen Hilfsorganisationen vor dem 7. Oktober 2023 und eine Zeit lang auch danach noch möglich war, die Menschen effektiv zu ernähren und zu versorgen. Dies sei heute nicht mehr der Fall. Die israelische Regierung blockiert seit Monaten weitgehend die Lieferung von Lebensmitteln und Medikamenten in den Gazastreifen – sogar Babynahrung wird wiederholt konfisziert.

Seit einem halben Jahr, wie Spagat im gleichen Interview betont, beobachte man deutlich, wie die Bevölkerung Gazas „zunehmend ihre Fähigkeit verliert, sich vor überhöhter Sterblichkeit zu schützen“. Seit dem Erscheinen des Ha’aretz-Artikels Ende Juni haben die Meldungen über akute Hungersnot und tödliche Krankheiten im gesamten Gazastreifen weiter zugenommen.

Wahrscheinlich weit über 100.000 Tote

Was ergibt sich aus all dem für die Frage, wie viele Menschen insgesamt infolge des Krieges im Gazastreifen gestorben sind? Wendet man die ermittelten Werte zur Untererfassung direkter Kriegstoter auf die aktuellen Zahlen der Gesundheitsbehörde an, ergibt sich, dass in Gaza bereits über 100.000 Menschen unmittelbar durch Gewalt ums Leben gekommen sein dürften. Nimmt man zusätzlich die ermittelte Übersterblichkeit hinzu, steigt die Zahl auf rund 115.000 – die Auswirkungen der derzeitigen akuten Hungersnot und die damit mutmaßlich gestiegene Zahl der „indirekten“ Kriegsopfer ist da noch gar nicht mitgezählt.

Die Bezeichnung „indirekte Kriegstote“ ist in diesem Fall jedoch irreführend. Wie zahlreiche Aussagen hochrangiger Politiker in Israel belegen, wird die Aushungerungspolitik und die Zerstörung der gesamten Lebensgrundlagen offenbar mit dem Ziel betrieben, den Gazastreifen von Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen zu entvölkern.

In einem von zwei ehemaligen israelischen Generälen verfassten Gutachten des regierungsnahen Thinktanks Jerusalem Institute for Strategy and Security, das die „freiwillige Ausreise“ der palästinensischen Bevölkerung propagiert, wird außerdem die Zahl der Palästinenser*innen, die den Gazastreifen seit Oktober 2023 bereits verlassen haben sollen, auf 200.000 geschätzt – oft sind es Verletzte oder Doppelstaatler und deren Angehörige. Zusammengerechnet würde das heißen, dass bis zu 15 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung von 2,3 Millionen Menschen bereits tot oder weg ist.

Die absichtliche Schaffung von Bedingungen, die eine Bevölkerung ganz oder teilweise zerstören, stellt nach dem humanitären Völkerrecht und der UN-Völkermordkonvention ein Verbrechen dar. Wie zuletzt die israelischen Menschenrechtsorganisationen B’Tselem und Physicians for Human Rights in ihren jeweiligen Berichten feststellten, zeigen die aktuellen Daten aus Gaza, dass die Welt bereits daran gescheitert ist, auch diesen Genozid zu verhindern.

Mitarbeit: Lisa Schneider

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65 Kommentare

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  • Die einzige Frage, die mich interessiert: Wie viele israelische Geiseln sind noch in Gaza? Sonst nichts!

    • @Peter Wenzel:

      Vielen Dank, dass Sie genau das aussprechen, was viele in den Kommentaren tatsächlich denken: Palästinenser sind weniger wert als Israelis. Es spielt keine Rolle, wie viele Verbrechen der IDF ans Licht kommen – solange es die „Richtigen“ trifft: Araber und Muslime.

      Abgesehen davon ein sehr guter Artikel, der genau das wiedergibt, was Medien außerhalb Deutschlands schon seit langer Zeit berichten. Zum Glück hat sich der Diskurs hier inzwischen in eine etwas bessere Richtung entwickelt als noch vor wenigen Monaten.

      • @Jonah Mengel:

        Er spricht doch gar nicht aus, Palästinenser seien weniger wert.

        Er sagt deutlich, sie interessieren ihn nicht.

        Deshalb muss da kein Wertranking drin sein.

        Was Sie alles hineininterpretieren, gibt der Kommentar nicht her.

        • @rero:

          Oha, biased Interpretationen.

          Ich muss ja gelegentlich nur noch grinsen, wenn ich all.diese Versuch, alles, aber auch alles umzudeuten, lese.

          'Mich interessiert nur..., sonst nichts'.

          Aber sei's drum, wie stellen uns mal vor, jemand sagt (zB im den Kommentaren zu dem aktuellen E-Auto Artikel hier in der taz : 'Mich interessieren nur Diesel-Autos, sonst nichts'.



          Kommt ihnen das - Losgelöst vom Gaza-Konflikt, damit sie das vielleicht klarer sehen können - zumindest ein wenig wie ein Werteranking vor (Spoiler: nicht komplett vergleichbar, es geht ja um des Deutschen liebstes Kind, das Auto, nicht um palestinensische oder israelische Menschen)?

        • @rero:

          Dazu muss man aber schon ziemlich um die Ecke denken 😉

    • @Peter Wenzel:

      Danke, dass Sie uns Einblick in Ihr Denken geben.

    • @Peter Wenzel:

      angesichts der tatsache, dass diese zahlen bekannt sind, ist das in diesem zusammenhang wirklich ein gruseliger kommentar. was für eine menschenverachtung. da hat jemand offensichtlich komplett die ethisch-moralische orientierung verloren.

    • @Peter Wenzel:

      Der Genozid an den Menschen in Gaza wird die Geiseln nicht zurückbringen.



      By the way. Wie hoch darf den die Zahl der toten Menschen in Gaza werden um ihre Satisfaktion zu stillen?

      • @Tom Lehner:

        Jemandem, der sagt, ihn interessiere nur, wieviele israelische Geiseln noch in Gaza seien, mit Rachegefühlen und Aufrechnung der Opferzahlen zu kommen, ist nicht logisch.

        Er sagt doch gerade, dass ihn exakt das nicht interessiert.

        • @rero:

          Nun ja, zumindest Gleichgültigkeit gegenüber den vielen Toten und Verletzten ist wohl direkt aus dem Geschriebenen abzuleiten. Vieles Übleres als Subtext wäre wahrscheinlich, ist jedoch nicht belegbar.

  • Weiß nicht- in diesem Krieg bin ich bei Bildern und Zahlen sowieso extrem skeptisch. In diesem Krieg gab es von Anfang an ständig Maximalaussagen, wie die, dass die IDF die moralischte Armee der Welt sei, oder dass die Hamas die Befreiung der Palästinenser möchte. Und wenig überraschend: Natürlich ist die IDF nicht die moralisch hochrangige Armee, sondern steht nun zurecht unter Verdacht, Kriegsverbrechen begangen zu haben und zu begehen. Sie ist aber keine Terrororganisation, sie führt aus, was Netanyahu und seine rechtsextremen Minister fordern, die den Krieg aus ideologischen Gründen nicht beenden wollen (und Netanyahu auch wegen seines politischen Überlebens). Das begreifen in Israel immer mehr Leute, deshalb protestieren inzwischen auch Armeeangehörige gegen den Krieg. Die Hamas wiederum hat nie im Interesse der palästinensischen Bevölkerung in Gaza gehandelt, sondern ist eine islamistische Terrorgruppe. Wer das vorher nicht begriffen hat, müsste doch inzwischen sehen, dass die lieber ihre Spielchen spielen und um ihr politisches Überleben kämpfen, als für die Menschen in Gaza etwas zu tun.

    • @Karla Columna:

      Glauben Sie denn, dass die Hamas ein Teil der Lösung sein kann? Ich denke nicht, sondern ich bin überzeugt, dass das Verschwinden und damit die Vertreibung der Hamas Vorrausetzung für einen nachhaltigen Frieden ist. Die Hamas tut ja bei jeder sich bietenden Gelegenheit kund, dass sie an einem Frieden mit Israel nicht interessiert ist.

      • @Katharina Reichenhall:

        Während Israel beteuert, an einem Frieden mit den Palästinenser interessiert zu sein?

      • @Katharina Reichenhall:

        Wie ich schon sagte: die Hamas ist eine islamistische Terrororganisation. Ich kann nicht nachvollziehen , warum von propalästinensischer Seite zum Teil Sympathien oder Verständnis für die Hamas geäußert wurden und immer noch werden.



        Allerdings haben ja selbst Teile der israelischen Armeeführung gesagt, dass die Hamas im Prinzip in Gaza inzwischen militärisch geschwächt bis besiegt ist, was wiederum die Frage aufwirft, welches Ziel Netanyahu verfolgt, indem er den Krieg einfach nur weiterführt. (Die Frage ist eher rhetorisch)

      • @Katharina Reichenhall:

        Israel steht doch vor einer schrecklichen Alternative: es will die Hamas auslöschen, muss aber mit ihr verhandeln, um die verbliebenen Geiseln frei zu bekommen - diesbezüglich steht Netanyahu unter hohem Druck der israelischen Öffentlichkeit.



        Ansonsten müsste er den Geiselangehörigen offen ins Gesicht sagen, dass die Geiselbefreiung für die Regierung nicht (mehr) die höchste Priorität habe. Israelische Generäle warnen davor, in Gaza weiter vorzurücken, weil damit der sichere Tod der überlebenden Geiseln riskiert würde und sie das Territorium ohnehin nicht für militärisch kontrollierbar halten.



        Und die Hamas weiß das alles natürlich auch.



        Wir hierzulande können das israelische Dilemma nicht auflösen, aber wir können zweierlei tun:



        1. diplomatischen Druck auf Israel ausüben, den Krieg in Gaza zu beenden bzw. entsprechenden Druck auf unsere Außenpolitik. Sonntagsreden und Waffenstopp sind hier nicht ausreichend, Deutschland muss sich den internationalen und europäischen Initiativen zur Anerkennung Palästinas anschließen.



        2. als innerlinker Appell: endlich damit aufhören, die Hamas noch als antikoloniale Befreiungsbewegung hochzustilisieren.

        • @Abdurchdiemitte:

          1. gibt es, 2. gibt es nicht.

          Und nun?

          • @rero:

            Widersprechen Sie eigentlich nur um des Widersprechens willen?



            Den ersten Punkt hätte ich nicht angeführt, wenn ich der Meinung wäre, die deutschen diplomatischen Bemühungen gegenüber Israel wären ausreichend - das sind sie nicht (auch wenn ich anerkenne, dass die Bundesregierung hier erste Schritte unternommen hat).



            Den wichtigen diplomatischen Schritte anderer (verbündeter westlicher) Staaten wie Frankreich und GB ist Deutschland eben NICHT gefolgt und das kritisiere ich.



            Man kann darüber streiten, ob die Anerkennung Palästinas als Staat zum jetzigen Zeitpunkt zielführend ist, aber die Bundesregierung zieht an DIESEM Punkt eben nicht mit, sondern vertritt hier einseitig die israelischen Interessen. Sie behaupten nun aber genau das Gegenteil.



            Zu Punkt 2: irre ich mich oder gehören Sie nicht zu den Foristen, die hier in der taz stets die Gefahr eines israelbezogenen, linken Antisemitismus hervorheben? Und den gibt es jetzt plötzlich nicht? ich bin mehr als irritiert.

    • @Karla Columna:

      Nicht falsch, ich bezweifel aber, dass die Hamas um ihr Überleben kämpft. Solange Völker unterdrückt werden, wird es immer genug geben, die den Widerstand übertreiben und zu Terroristen werden.

      • @TV:

        "Solange Völker unterdrückt werden, wird es immer genug geben, die den Widerstand übertreiben und zu Terroristen werden."



        Einerseits das, ja. Allerdings gibt es auch immer genug, die aus anderen Gründen Terroristen werden. Religion zum Beispiel, oder Rassismus. Da braucht es gar keine Unterdrückung.

      • @TV:

        Das hört sich wie eine Rechtfertigung an, Terror hat allerdings nie zu Frieden geführt. Die Intifada hat zb jegliche Friedensbemühungen untergraben und Netanyahu groß gemacht.

        • @Karla Columna:

          Meinen Sie die 1. oder die 2. Intifada? Vor der 1. Intifada war Israel noch nicht einmal bereit, mit den Palästinensern zu reden.

      • @TV:

        Oder die Hamas kommt unter anderem Namen zurück.

        Ich stimme zu.

        Keine Ahnung ob es "legalen" Wiederstand gibt, da wird wohl die Seite welche vom Wiederstand angegriffen wird NEIN sagen l, die andere Seite jedoch JA.

        Da Palästina nicht wirklich als "Staat" angesehen wird macht es das Ganze gleich noch mal schwieriger.

        • @Keine Sonne:

          Was mich im Kontext des Nahostkonfliktes umtreibt: es muss doch Kriterien geben, die Widerstand (auch bewaffneten) vom Terrorismus unterscheiden.



          Wie ist es z.B. mit einer Situation, in der eine ganze Region (WJL) unter Kriegsrecht steht, von den Besatzern (IDF, Siedler) eine unbarmherzige Willkürherrschaft ausgeübt wird und die palästinensische Bevölkerung Schritt für Schritt ihrer Rechte und ihres Landes beraubt wird?



          Und über Jahrzehnte null Bereitschaft, den Konflikt politisch (d.h. einvernehmlich, auf friedlichem Wege) zu lösen?

          • @Abdurchdiemitte:

            Ich glaube das durch die deutsche Geschichte es leider nachgewiesen das dies nicht so einfach ist.

            Was für die eine Seite Terror ist könnte für die andere Seite 'bewaffneter' Wiederstand sein.



            Nicht so einfach.

            Natürlich könnte man sagen das angreifen von s.g. 'weichen Zielen' gehört oder sollte man als Terror ansehen, nur... naja.



            Sie haben es ja schon angesprochen: WJL

            Es ist eine Willkürherrschaft mit allen verbundenen Konsequenzen.



            Und ja dazu gehört auch Terror der von Seiten der Siedler unter den Augen der "moralischten Armee der Welt" nicht nur stattfindet sondern diese teilweise noch mit macht

            Was Ihre letzten Anmerkung angeht:



            BEIDE Seiten bräuchten jemanden an der Spitze welche nicht nur reden schwingt sondern richtig handelt.

            Für die Palästinenser würde es heißen: Nein zu angriffen auf Israel. Wer es doch macht wird vor Gericht gestellt, verurteilt und bleibt dann auch dür angemesse Zeit im Gefängnis



            Für Israel würde es bedeuten:



            Nein zu den Siedlungen und nein zu den Übergriffen seitens Armee/Siedler



            Wer es doch macht wird vor Gericht gestellt, wird verurteilt und landet für eine angemessene Zeit im Gefängnis.

            Ohne "Begnadigung" für beide Seiten

            • @Keine Sonne:

              Auf israelischer Seite sehe ich auf breiter Flur keine politische Kraft, die der Ausdehnung des Siedlungsbaus in den Westbanks Einhalt gebieten könnte - und das Problem fing nicht erst mit Netanyahu an.



              Bis auf einige wenige Friedensaktivisten herrscht in der ansonsten streitbaren israelischen Zivilgesellschaft in dieser Frage eine eigentümliche Passivität vor, die von den Siedlernationalisten nur als Zustimmung zu ihrer Agenda gedeutet werden kann.



              Ich habe natürlich so meine Vermutungen, warum das so ist, jedoch müssten wir dann in eine Diskussion über eine Kritik des Zionismus als Staatsideologie einsteigen - eigentlich unvermeidbar, um die Ursachen für das Scheitern bisheriger Friedenslösungen zu analysieren.



              Ja, und dann das Drama auf palästinensischer Seite mit einer korrupten, handlungsunfähigen PA unter (dem scheintoten) Abbas und der islamistisch-terroristischen Hamas. Wo sind hier die Akteure, die - wie einst Arafat - die Autorität und politische Reputation haben, einen Verhandlungsprozess wieder anzustoßen?

  • Ein großes Problem ist doch, die Hamas-Terroristen von den "zivilen" Toten zu unterscheiden. Die Terroristen agieren als zivile Kämpfer unter Zivilisten, von denen viele - selbst wenn sie nicht kämpfen - diese ideologisch und logistisch unterstützen.

    Am Ende würde dieser Krieg sofort enden wenn die Hamas aufegebn würde. Wenn Israel sich zurückzieht gibt es in spätestens 10 Jahren den nächsten Krieg, den die Hamas beginnt. Wer Frieden will muss die Hamas und den Gaza-Streifewn entwaffnen und enthamszifieren.

    • @Franz Tom:

      Ideologische Unterstützung macht einen nicht zum legitimen Ziel.

    • @Franz Tom:

      Nur Hamas weg und schon herrscht Friede, ist schon reichlich naiv. Der Konflikt hat eine lange Geschichte. Es war auch Netanjahu der die Hamas lange gewähren ließ, in der Hoffnung die Autonomiebehörde zu schwächen und Palästinenser politisch zu spalten. Die nächste Generation palästinensischer Kämpfer wird nach dem Genozid mit Sicherheit kommen. Für einen dauerhaften Frieden muss sich auch Israel ändern.

      • @Andreas J:

        Es war aber auch Netanjahu, der bis zum 6.10. dachte, er habe einen modus vivendi mit der Hamas gefunden.

      • @Andreas J:

        "Für einen dauerhaften Frieden muss sich auch Israel ändern." Tja, als Israel linksliberal regiert wurde und Verständigung über einen palästinensischen Staat nahe war, folgte die nächste Intifada. Der Rest ist bekannt

        • @Axotono:

          Die "nächste" Intifada begann auf palästinensischer Seite mit Demonstrationen und auf israelischer mit tödlichen Schüssen und mit Pogromen gegen israelische Araber. Und Sharon war der letzte, der Verständigung suchte.

    • @Franz Tom:

      Vergesslich kann man sein, das kenne ich. Insofern noch der Hinweis, dass israelische Minister den Landraub von Gaza und Weistjordanland fordern und beschwören. Seit vielen Monaten. Die Kapitulation der Hamas würde daran nichts ändern, das haben diese Minister deutlich gemacht.



      Kinder sind sicher keine Terroristen, die sich als Zivilisten tarnen. Es sind einfach Kinder und durch Israels Waffen sind über zehntausend gestorben.

    • @Franz Tom:

      "Am Ende würde dieser Krieg sofort enden wenn die Hamas aufegebn würde. "

      Welche Belege haben Sie für ihre Behauptung?

      "Wenn Israel sich zurückzieht gibt es in spätestens 10 Jahren den nächsten Krieg, den die Hamas beginnt"

      Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass das Töten von Zivilisten neue Terroristen hervorbringt. Was würden Sie tun, wenn Angreifer Mitglieder ihrer Familie, u.a. Frauen und Kinder ermorden?



      Die Frage nach dem "Nachwuchs" der Terroristen ist längst geklärt. Und der nächste Konflikt wird spätestens dann stattfinden, wenn diese das ausreichende Alter haben.

      • @Kaboom:

        Entschuldigung, aber das entspricht einem überaus simplen Menschenbild, das die Palästinenser mal wieder nicht ernst nimmt. Klar, die müssen ja zu Terroristen werden, keine Wahl

      • @Kaboom:

        Damit haben Sie das Argument dafür geliefert, dass Israel nie wieder eine islamistische Regierung in Gaza dulden darf und diese auch nicht international anerkannt werden sollte.

        Israel ist 2005 komplett aus Gaza abgezogen, mitsamt Räumung aller Siedlungen und militärischen Einrichtungen. Als Reaktion erhielt die Hamas bei Wahlen die absolute Mehrheit mit dem Versprechen, Israel auszulöschen. Darauf folgte eine Hamas-Diktatur mit abertausenden Raketenangriffen auf Israel und Anschlägen bis hin zum 7.Oktober, dem größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust.

        • @_Mephisto_:

          "dass Israel nie wieder eine islamistische Regierung in Gaza dulden darf"

          Seit Jahrzehnten ist der Ansatz Israels zur Problemlösung derselbe. Hat man ein Problem: Bomben drauf. Und das Ergebnis ist auch dasselbe. Und wie sagte Albert Einstein noch so treffend:

          "Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten"

          Aber eines der Ziele der Rechtsradikalen in Israel ist die Errichtung eines Groß-Israel. Ohne Palästinenser. Und das wird durchgezogen. DESHALB wird es in der Region keinen Frieden geben. Irgendwelche Terroranschläge sind für diese Leute nur Mittel zum Zweck.

          So gesehen befürworten die meisten Leute - auch im Westen - zwar das Existenzrecht Israels, aber das Existenzrecht der Palästinenser ist ziemlich umstritten, scheint mir.

      • @Kaboom:

        Unglückerweise haben Sie es gut beschrieben.

        Mit dieser Art der Kriegsführung schaft man nur weiteren Hass.

      • @Kaboom:

        Welche Belege haben Sie das es nicht so ist? Die Palistinänser haben am 07. Oktober massenhaft Frauen und Kinder getötet und den Krieg damit begonnen. Jetzt aber jammern wenn er verloren geht. Erinnert mich an die früheren Flüchtlinge und Rechten aus dem Sudetenland, die auch gerne die polnischen Gebiete zurück wollen und keinen Zusammenhang mit dem angefangenen Krieg sehen wollen.

        • @Franz Tom:

          In meiner Welt belegt derjenige, der eine Behauptung aufstellt, diese. In dem Fall also SIE.

        • @Franz Tom:

          Ich verstehe einerseits Ihre Assoziationen. Andererseits wären Ihre Gedanken reichhaltiger, wenn Sie bedenken würden, dass das so genannte Sudetenland nicht polnisch war - und die Menschen dort auch nie NSDAP wählten. In den heute polnischen Gebieten gab es bis 1932 übrigens eine SPD-geführte Regierung (wiewohl die NSDAP m.W. stärkste Partei war).



          Alles nicht so einfach. Auch die Denkweise "Wer anfängt, darf vertrieben werden" finde ich überdenkenswert.

        • @Franz Tom:

          Du meine Güte, wollen Sie jetzt ernsthaft alles was davor Vorgefallen ist aufzählen lassen?

          Die Hamas ist nicht unschuldig bei weitem nicht.



          Die Israelische Regierung auch nicht.

          Siehe WJL. Suchen Sie mal Artikel über Übergriffe welche sich VOR den 07.10 ereignet haben.



          Oder über Fabriken welche zerstört wurde mit der Behauptung das dort Waffen wären nur das dann "herausgefunden" wurde ah ne da waren keine wir meinten eigentlich eine andere Fabrik.

          Nein die Hamas ist mir so sympathisch wie eine Mücke/Spinne.

          Sie blenden aber hervorragend aus das beide Seiten mit und gegen einander eine grausame Geschichte haben welche nicht am 07.10 begann.

          Massaker wurden von beiden Seiten verübt und leider zeigt sich keine der beiden Seiten bereit etwas VERNÜNFTIGES dagegen zu machen.

          Am besten jede Seite bestraft seine Leute.



          Jedoch sehen wir von beiden Seiten nur folgendes:

          Begnadigungen und Lobpreisungen.

          Da kann einem nur noch übel werden.

  • Schlussendlich bemisst sich die Schwere der Verluste nicht allein an der Zahl der Toten und die Einordnung der Handlungen und Unterlassungen ganz sicher auch an den Kontexten zu Verlautbarungen der Intentionen bzw den Indizien zu ihrer Ausführung.



    Dennoch bleibt hier ein Umstand besonders erschreckend: Die Zahl der getöteten Kinder, Frauen und hilflosen alten Menschen.



    Für die "selbsternannt moralischste aller Armeen" ein Desaster.



    Über den Stand der internen Ermittlungen zu Kriegsverbrechen wäre eine Information sicher hilfreich für die Einordnung.



    Bei deutschlandfunk.de April 2025:



    "Kritik an der israelischen Armee – von außen und von innen



    In Israel gilt die Armee als Schule der Nation. Ihr Anspruch ist, die „moralischste Armee der Welt“ zu sein. Andererseits werden ihr Kriegsverbrechen vorgeworfen. Immer mehr Reservisten protestieren öffentlich und verweigern den Dienst."

    • @Martin Rees:

      'Schlussendlich bemisst sich die Schwere der Verluste nicht allein an der Zahl der Toten und die Einordnung der Handlungen und Unterlassungen ganz sicher auch an den Kontexten zu Verlautbarungen der Intentionen bzw den Indizien zu ihrer Ausführung.'

      Richtig; dazu passt folgende Recherche: www.972mag.com/lav...israeli-army-gaza/

  • Wäre nicht passiert, wenn die Palästinenser vor dem 7.10.23 überlegt hätten.



    Was ist mit den 20 Geiseln eigentlich? Warum interessiert die keiner mehr hier?

    • @Paul Heinrich:

      ein solcher kommentar erfüllt in meinen augen den tatbestand faschistischer propaganda und legitimiert mit seiner kollektivschuld-behauptung kriegsverbrechen und völkermord. wenn seinem verfasser das leben der israelischen geiseln tatsächlich etwas bedeuten würde, dann würde er sich zumindest die frage stellen, ob die fortschreitende ausweitung des krieges seitens der netanjahu-regierung, deren unversehrtheit überhaupt zum ziel hat.

    • @Paul Heinrich:

      Jetzt werden "Die Palestinänser" in ihrer Gesamtheit schon ganz selbstverständlich mit den Terroristen der Hamas gleichgesetzt. Mehr als 2 Mio Menschen, die einfach mal hätten nachdenken sollen, dann wären sie jetzt nicht zu Zehntausenden Opfer einer völlig entfesselten Kriegsführung. Zehntausende Tote Zivilisten, darunter ein Großteil Minderjähriger, knapp 2 Mio Menschen auf der Flucht innerhalb eines Gebietes dem sie nicht entfliehen können, denen überlebenswichtige Güter vorenthalten werden und die laut rechtsextremen Ministern der Regierung Netanjahu vertrieben werden sollen. Und weil die Debatte schon so dermaßen weit unten angekommen ist, sitzen die Leute hier im gemütlichen Sessel und erklären zivile Opfer pauschal zu Tätern, die halt selbst schuld sind und Kriegsverbrechen werden zu gerechtfertigter Konsequenz. Das ist alles moaralisch mitlerweile auf dem selben menschenverachtenden Level angekommen, wie die feiernden Hamas Anhänger nach d dem 7. Oktober.

      • @Deep South:

        Eine Gleichsetzung aller Palästinenser mit der Hamas mag inkorrekt sein, aber Tatsache ist, dass eine deutliche Mehrheit ihre Taten unterstützt. Schon 2006 haben die Gaza-Bewohner mehrheitlich islamistische Parteien gewählt, die die Auslöschung aller Juden zum Ziel haben. Dazu befürworten 3 von 4 Palästinensern in Umfragen die Massaker des 7. Oktobers, wie man beim Palästinensischen Zentrum für Umfrageforschung lesen kann.

        Was die Vorenthaltung überlebenswichtiger Güter betrifft, so haben deutsche Sicherheitskreise übrigens eingeräumt, dass Hilfslieferungen zu 50 bis 100 Prozent von der Hamas abgefangen und der Zivilbevölkerung vorenthalten werden.



        www.n-tv.de/politi...ticle25941644.html

  • In Bezug auf die "indirekten Kriegstoten" lohnt auch ein Blick auf die Strategie der IDF. Herausgearbeitet vom Lieber Institut der Militärakademie Westpoint in den USA. Die "Reflections on RUSI’s Tactical Lessons from IDF Operations in Gaza" stützen sich auf einen Report des britischen Think Thanks RUSI, welcher im Text als PDF verlinkt ist. Der RUSI Report beschäftigt sich mit Überlegungen für den Kampf in städtischen Umgebungen mit einer beträchtlichen Zahl vertriebener Zivilisten und entsprechenden Maßnahmen.

    Während der Westpoint Beitrag vornehmlich die Rechtsfragen eines derartigen Kampfes beinhaltet, geht der RUSI Report auch auf die Strategie der Lebensmittelverteilung, Feststellung der Opferzahlen und militärische Operationen in humanitären Einrichtungen ein.

    Sowohl RUSI als Lieber betreiben reine Analysen aus einer neutralen Perspektive und nehmen daher auch keine Stellung zu den ethischen oder politischen Debatten rund um die Operationen. Aber jeder kann sich nach Lektüre selbst ein Bild zwischen Anspruch und Wirklichkeit machen.

    Westpoint Articles of War



    lieber.westpoint.e...rations-gaza-2023/

  • Eines verstehe ich nicht: wenn von israelischer Seite die Todeszahlen der palästinensischen Gesundheitsbehörde für Gaza als zu hochgegriffen diskreditiert werden, warum werden dann keine eigenen validen Zahlen veröffentlicht. Das wäre doch vonnöten, um der Hamas-Propaganda entgegenzuwirken.



    Nach der Recherche Yossi Bartals dürfte die tatsächliche Todesrate - wegen der an Hunger, Krankheiten und nicht gemeldeten/erfassten, in Kriegsfolge Verstorbenen - noch weitaus höher liegen als die von der palästinensischen Gesundheitsbehörde erfasste.



    Unter Trümmern begrabene, nicht in Listen erfasste Leichname, darunter auch die von Kindern, zeigen die hässliche Fratze des Krieges … und lassen auch die IDF als eine der beiden Kriegsparteien in keinem guten Licht erscheinen.



    Wenn sich aufgrund solcher Zahlen und Bilder die Proteste gegen Nstanyahu in Israel zu einer echten Antikriegs-Bewegung ausweiten würden, dürften nicht nur die Tage Netanyahus (als Regierungschef) gezählt sein … auch mit dem Heldenimage der IDF wäre es dann möglicherweise vorbei.

    • @Abdurchdiemitte:

      "Eines verstehe ich nicht: wenn von israelischer Seite die Todeszahlen der palästinensischen Gesundheitsbehörde für Gaza als zu hochgegriffen diskreditiert werden, warum werden dann keine eigenen validen Zahlen veröffentlicht."

      Eigene Zahlen könnten einer Überprüfung ausgesetzt werden. Da ist es viel einfacher, zu behaupten, die Zahlen der anderen Seite sind falsch. Besonders weil die Hamas nicht viel Vertrauen genießt.

  • Vollkommene Gewissheit wird es (leider) nie geben; hoffe aber, dass es möglichst bald, unabhängig sowohl von der israelischen Regierung als auch der palestinensischen Verwaltung, neutrale Zahlen dazu geben wird (genau so wie grds unabhängige Berichterstatter).

    Ich befürchte aber, dass die Zahlen und Schätzungen, die es gibt (Gesundheitsbehörde Gaza, Lancet usw), nicht weit von der Wahrheit entfernt sind. Umsomehr ärgert es mich aber, dass diese Zahlen - auch in diesem Forum hier - kontinuierlich in Abrede gestellt werden, praktisch seit Beginn des Krieges. Ich versuche wirklich, in diesem Krieg möglichst neutral zu sein, aber wenn ich die Apologeten und Kleinredner höre (Hamas Zahlen, An allem ist 7/10 schuld, Geiseln frei, dann Friede, Freude, Eierkuchen), geht mir wirklich der Hut hoch.

    • @EffeJoSiebenZwo:

      "Ich versuche wirklich, in diesem Krieg möglichst neutral zu sein, aber wenn ich die Apologeten und Kleinredner höre (Hamas Zahlen, An allem ist 7/10 schuld, Geiseln frei, dann Friede, Freude, Eierkuchen), geht mir wirklich der Hut hoch."

      Das, was nach Ihrem "aber" kommt, zeigt, dass der erste Teil Ihres Satzes nicht ernstgemeint ist.



      Warum geht Ihnen bei der Aufzählung von Fakten "der Hut hoch"?



      Glauben Sie wirklich, es hätte diesen Krieg gegeben, hätte es 7/10 nicht gegeben?



      Und Friede Freude Eierkuchen erwartet auch niemand. Aber würde die Hamas endlich die Geiseln freilassen, würde sie der israelischen Regierung die Rechtfertigung für den Krieg nehmen.

      Aber selbst wenn die Geiseln irgendwann heimkommen und selbst wenn dieser Krieg irgendwann enden sollte, sehe ich keine dauerhafte Friedenschance. Und das liegt primär an der Haltung der Hamas, die ja davon überzeugt ist, 7/10 sei ein Erfolg, den es zu wiederholen gilt. Die Aktionen vieler, auch westlicher Regierungen geben ihnen da leider recht.

      • @Katharina Reichenhall:

        'Das, was nach Ihrem "aber" kommt, zeigt, dass der erste Teil Ihres Satzes nicht ernstgemeint ist.

        Warum geht Ihnen bei der Aufzählung von Fakten "der Hut hoch"?'

        Wie können Sie es sich anmaßen, über meine Haltung urteilen zu wollen?

        Im übrigen bestätigt das, was Sie da schreiben, genau in das von mir genannte Muster: wo sind denn Fakten? Alles was wir haben, sind Meldungen der einen oder anderen Seite. Also im besten Fall Anhaltspunkte, keine Fakten (auch im Zeitalter des Postfaktischen).

        'Glauben Sie wirklich, es hätte diesen Krieg gegeben, hätte es 7/10 nicht gegeben?'

        Nein, es ist klar, dass Israel sich wehren würde, und es hat auch alles Recht zu dieser Verteidigung. Das galt mE ca 6-12 Monate, danach war praktisch alles nicht mehr proportional, vieles vorher schon nicht. Ihre Frage ist somit manipulativ, wie so oft.

        'Aber würde die Hamas endlich... Rechtfertigung für den Krieg nehmen.' Das ist richtig, aber auch bis dahin - also jetzt - ist das unterschiedslose Vorgehen der IDF nicht zu rechtfertigen. Und selbst wenn die Geiseln freigelassen sind, gibt es ja noch die Riviera-Pläne, deren Umsetzung unverholen propagiert wird.

      • @Katharina Reichenhall:

        "Aber würde die Hamas endlich die Geiseln freilassen, würde sie der israelischen Regierung die Rechtfertigung für den Krieg nehmen."

        Nein. Israel hat unter Netanjahu mehrfach betont, dass eine Freilassung der Geiseln NICHT zum Frieden führt.

        Darüber hinaus wird die Absicht Gaza und Westjordanland in ein Großisrael zu integrieren in der israelischen Regierung täglich verlautbart. Mit Unterstützung der westlichen Regierungen findet hier also Landraub und Völkermord statt.

        Aber klar, "Fakt" ist natürlich: An allem Schuld sind nur die Terroristen der Hamas.

        • @Schleicher:

          Die Hamas hat schon lange angeboten, die Geiseln freizulassen, wenn Israel bereit ist, den Krieg zu beenden. Alle Verhandlungen sind daran gescheitert, dass Israel dazu nicht bereit ist.

      • @Katharina Reichenhall:

        " Aber würde die Hamas endlich die Geiseln freilassen, würde sie der israelischen Regierung die Rechtfertigung für den Krieg nehmen"

        Wenn die Geiseln frei wären, würde die nächste Begründung (die schon mehrfach genannt wurde) der rechtsradikalen israelischen Regierung sein, dass Hamas nun erst recht vollständig ausgeschaltet werden müsse.

        Dieser Krieg wird genau dann enden, wenn die USA Israel nicht mehr vorbehaltlos unterstützen, und nicht einen Tag vorher.

  • Die Faktenlage ist klar -- wir sehen in Gaza einen Völkermord.

    Daraus müssen klare Konsequenzen gezogen werden.

    Genauer das hätte schon sofort passieren müssen als sich abzeichnete das die Gefahr einens Völkermordes besteht.

    • @Jörg Heinrich:

      Wenn das ein Völkermord wäre mit 60000 Toten nach 22 Monaten und der Militärmacht Israels dann ist die Welt aktuell aber voll mit Völkermorden. Zumal der Gazakrieg in einem dicht besiedelten Raum stattfindet und die Hamas nie mit Uniformen kämpft- was immer zu zivilen Opfern führt.

      • @Paul Heinrich:

        Genozid ist keine Frage der Opferzahlen, sondern der Absicht. allerdings: Todeszahlen in dieser Höhe in direkter Folge von Kriegshandlungen einer Partei gibt es derzeit nirgendwo sonst auf der Welt. Ich bin immer wieder entsetzt, wie viele Menschen es gibt, die das hierzulande noch rechtfertigen.

      • @Paul Heinrich:

        Soso. Nennen Sie mal ein paar.

        • @Kaboom:

          Neben der Ukraine, Sudan, dem äthiopischen Bürgerkrieg und Myanmar hat auch der mexikanische Drogenkrieg Opferzahlen ähnlichen oder weit größeren Ausmaßes in den letzten 3 Jahren zu bieten als der Nahostkonflikt.

      • @Paul Heinrich:

        Es ist wirklich beachtlich, wie hier alle zu Experten zum Thema Völkermord werden. Die die sich auskennen - auch Israelis - die geben Interviews und schreiben Beiträge. Sollte man nicht besser damit arbeiten?

        Hier bei ihnen läuft das so: Sie führen selbst ein Kriterium ein - so und so viel Tote in so und so einer Zeit - und bestreiten auf Grundlage dieses Kriteriums den Vorwurf eines Genozids. Aber ihr Kriterium hat damit, was einen Genozid auszeichnet, nur wenig zu tun; da geht es um weitaus mehr. Ihr Kriterium ist auch überhaupt nicht maßgeblich. Srebrenica oder der 7.10.2023 haben auch relativ wenige Tote ergeben, aber für beide lässt sich das Thema Genozid bestätigen bzw. ernsthaft diskutieren.

        Ihr Beitrag aber ist daneben. Wenn sie wenigstens in die Paragraphen schauen und die Kriterien darlegen würden und dann argumentieren und zu einem gegenteiligen Schluss kommen würde, könnte das anders sein. Haben sie aber nicht. Stattdessen ein Strohmannargument mit einem unmaßgeblichem Kriterium.

        Und das steht dann hier einfach. Weil jetzt jeder zum Thema Genozid einfach eine Meinung haben und äußern soll? Sind wir nun so weit liebe TAZ?

        • @JK83:

          Genozid ist einfach nur zum Kampfbegriff geworden, hat keinerlei Inhalt mehr

          • @Axotono:

            Wenn Sie einen "Krieg" führen, bei dem die Opfer einer Seite der Bevölkerungspyramide entsprechen sind Sie auf einem sehr guten Weg den Begriff mit einigem Inhalt zu füllen. Durchaus auffällig ist auch der Vergleich mit früheren israelischen Militäroperationen, als die "moralischste Armee der Welt" noch einen Rest Moral hatte.



            www.ohchr.org/site...ate-Report-OPT.pdf

  • Wenn ich die Angaben im Artikel mit der aktuellen Nabelschau über die innenpolitische Bedeutung der Entscheidung betr. Waffenlieferungen an Israel in ein Verhältnis setze ... - ist der bestehende Hunger k/ein Problem, das in der Vordergrund gehört? Die Aushungerung läuft auch schon ohne die angekündigte "Ausweitung der Kampfmassnahmen" in Gaza.