Wikipedia wird 25 Jahre alt: Danke, liebe Schwarmintelligenz
Wikipedia feiert bald sein 25-jähriges Bestehen. In Zeiten von KI und Fake News zeigt die Enzyklopädie: Wissen ohne Menschen bleibt verletzlich und unvollständig.
I n einem Internet voller KI-Müll, Timelines, auf denen nur Doomscrolling geht, Fake News und Polarisierung ist Wikipedia ziemlich einzigartig – und das seit beinahe 25 Jahren. Im Januar feiert die Internet-Enzyklopädie Geburtstag, mit einer Idee, die utopisch ist: Jede*r soll Zugang zu dem Wissen haben, über das die Menschheit verfügt.
Die Wissenssammlung ist ein riesiges kollaboratives Unterfangen, gestaltet von Tausenden Freiwilligen: Seit ihrer Gründung 2001 ist Wikipedia rasant gewachsen. Von 25.000 Artikeln in der englischsprachigen Wikipedia 2002 zu mehr als 7 Millionen heute. Die deutschsprachige Wikipedia war die erste, die der englischen folgte und hat mittlerweile über 3 Millionen Einträge. Es gibt die Enzyklopädie in über 51 Sprachen, in 19 davon mit mehr als einer Million Artikeln.
Wikipedia hat verändert, wie wir Zugang zu Wissen finden. Nachschlagewerke, die zuvor die Bücherregale belegten, wurden abgelöst, denn Wikipedia war einfach schneller, leichter – und kostenlos. Die Welt, die sich durch die Online-Enzyklopädie eröffnet, ist riesengroß: In den untereinander verlinkten Artikeln kann man versinken, eintauchen, in Dinge, von denen man nicht mal vermuten konnte, dass man darüber nichts weiß.
Der Schwarm Wissender
All das beruht auf der Freiwilligkeit und Kooperation der Autor*innen. Während sich an vielen Stellen im Internet extreme Positionen durchsetzen, sind die Diskussionen auf Wikipedia meist vergleichsweise höflich, konstruktiv, sind die Autor*innen um Neutralität bemüht. So entstehen Artikel, die ziemlich zuverlässig informieren, mit Quellenangaben, geprüft von einem ganzen Schwarm Wissender.
Die Plattform demokratisiert also das Wissen im Netz, denn das ist der Grundgedanke: Jede*r kann hier mitmachen. Zumindest theoretisch, denn es sind vor allem einige Wenige, die den Großteil der Artikel schreiben und neue Autor*innen manchmal misstrauisch beäugen. Zwischen einigen Ehrenamtlichen gibt es lebenslange Freund*innenschaften – und einige von ihnen treffen sich jährlich auf Konferenzen, um darüber zu diskutieren, wie das Projekt geschützt werden kann.
Denn nicht alle sind Fans von Wikipedia: Es gibt immer wieder Versuche, die Neutralität anzugreifen, durch Fakten gesichertes Wissen umzuschreiben oder umzudeuten. Während der Coronapandemie versuchten zum Beispiel Imfgegner*innen ihre Ansichten unterzubringen. Immer wieder versuchen auch Rechte, Artikel zu verfälschen. Verhindern kann das die Gemeinschaft der Freiwilligen, die Änderungen prüft und eingreift, sich zu verteidigen weiß. Auch Elon Musk schimpft über „Wokipedia“, die Plattform sei zu links und unehrlich, auch weil sie ihr Spendengeld unter anderem für die Förderung von Diversität und Inklusion ausgibt.
Quellen verändern sich
Diversität ist für Wikipedia aber essenziell, sagte Gründer Jimmy Wales kürzlich im Guardian. Schließlich will es eine Enzyklopädie für wirklich jede Person auf der Welt sein, die Autor*innenschaft ist jedoch nicht so vielfältig wie das Wissen, das vorliegen würde, wenn tatsächlich alle beitragen würden. Vor allem Männer schreiben für die Wikipedia – und das wirkt sich auf ihren Inhalt aus. Deshalb will die Plattform die Autor*innenschaft erweitern.
Wird die Wikipedia-Utopie weitere 25 Jahre leben, um noch größer und reifer zu werden, etwas diverser, vielleicht noch ein bisschen wehrhafter? Zurzeit verändert sich wieder der Weg, über den Menschen Zugang zu Wissen suchen. Die bevorzugte Quelle ist kein Menschenschwarm mehr, der miteinander diskutiert, ob Informationen stimmen: Immer mehr von uns richten ihre Fragen über die Welt an eine künstliche Intelligenz. Suchmaschinen spucken KI-generierte Antworten ganz oben aus. Wikipedia verliert menschliche Besucher*innen, die Klickzahlen sind seit der Einführung von ChatGPT 2022 um 8 Prozent zurückgegangen.
Doch die KI nutzt das, was Menschen auf Wikipedia erarbeitet haben, als Quelle für ihre Antworten. Was da steht, wie viel menschliche Sorgfalt und Wissen eingeflossen sind, bleibt also entscheidend.
Damit die Wissenssammlung lebendig und zuverlässig bleibt, braucht es also weiterhin Menschen.
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