Windelfetisch bei Erwachsenen: Das Kind im Manne

Sie suchen Nähe und Geborgenheit, nuckeln an Fläschchen und lassen sich wickeln – die sogenannten Adult Baby Diaper Lovers.

Das Bedürfnis, sich wie ein Baby bemuttern zu lassen und dabei sexuelle Erregung zu verspüren, heißt im Fachjargon „Autonepiophilie“. Bild: kallejipp / photocase.de

Eines Abends lagen Walter und Julia* im Bett. Ihre Beziehung war damals etwa ein Jahr alt. Julia war an jenem Abend gerade dabei einzuschlafen, Walter aber wirkte unruhig, blieb wach. Schließlich stellte er stammelnd seine Frage: „Wie fändest du es, wenn ich jetzt eine Windel tragen würde?“ Julia lachte verunsichert. Walter erzählte ihr von früher. Von seiner Neigung, die er lange nur für sich ausgelebt hatte, von seinen Fahrten in die weit abgelegene Apotheke, wo er sich zum ersten Mal Inkontinenzwindeln gekauft hatte. „Da wusste ich, dass er das ernst meint. Scheiße!“, sagt Julia heute.

Walter Schmidt ist ein muskulöser Zweimetermann um die dreißig. Zumindest meistens. Mehrmals pro Woche wird er zu Baby Lulu. Lulu ist weiblich, zwischen zwei und fünf Jahre alt und Walters zweites Ich. Baby Lulu braucht Hilfe und Liebe, manchmal auch eine Standpauke und kleine Bestrafungen. Am Ende will Baby Lulu mit ihrer Mama Sex haben. Walter weiß, dass seine Neigung nicht gerade üblich ist. Aber er hat mit seiner Ehefrau einen Weg gefunden, den äußerlich erwachsenen Mann mit dem bedürftigen Kind zu vereinbaren.

„Wenn er nur von Fesseln gesprochen hätte, hätte ich gewusst, worum es geht“, sagt Julia. Aber Windeln an Erwachsenen kannte sie nur bei alten Menschen. Heute gehört die Windel zu ihrem Mann, genau wie der Riesenschnuller, das Prinzessinnenkleid und das Gitterbett, ein hölzerner Käfig im Dachgeschoss. „Wäre er an dem Abend seines Geständnisses direkt mit Babystrampler und dicker Pampers erschienen, hätte ich ihm ein schönes Leben gewünscht“, sagt Julia. Nach und nach aber hat sie sich mit der Vorliebe ihres Partners arrangiert.

Diana Lüchem, Beziehungs- und Sexualtherapeutin aus München, kennt Julia und Walter nicht, aber ähnliche Fälle. Wer in einer Beziehung plötzlich mit einer Paraphilie, also einer „Neigung zum Andersartigen“, konfrontiert wird, reagiere meist schockiert, sagt sie. Dann aber unterscheiden sich die Reaktionen fundamental.

Die einen trennen sich, andere entscheiden sich zwar für die Beziehung, aber gegen den Fetisch. In diesem Fall werde das Problem meistens ausgelagert, die Männer gehen zu Prostituierten, sagt die Therapeutin. Das gehe selten gut, Eifersucht sei die Folge. „Der beste Weg ist, die Neigung anzunehmen, sich zu arrangieren“, rät sie. „Das Zusammenleben kann dann durchaus harmonisch werden.“ Schließlich könne der Partner ohne Paraphilie selbst den Reiz an der Andersartigkeit entdecken. Mehr noch: Ein Sexleben, das sich nur an den gemeinsamen Vorlieben orientiere, anstatt an den Unterschieden, führe ohnehin oft zu Lustlosigkeit.

Windelfetisch ist Gegenteil von Pädophilie

Dem Vorwurf der Pädophilie widerspricht die Therapeutin eindeutig: Walters Windelfetisch habe nichts mit der sexuellen Lust Erwachsener auf Kinder gemein, sagt sie. Übergriffige Pädophile möchten Gewalt über Kinder haben. Windelfetischisten hingegen wollten nicht bestimmen, sondern unterlegen sein. Sie wollten jede Kontrolle abgeben. „Das ist das genaue Gegenteil“, erklärt Lüchem.

Walter und Julia sind mittlerweile seit acht Jahren zusammen, 2013 haben sie geheiratet. „Der Windelfetisch ist ein Stück des Lebenspuzzles. Eine Neigung. So wie Fußballspielen“, meint Walter. Warum er den Fetisch hat und warum er ausgerechnet Baby Lulu sein möchte, weiß er nicht. „Mit 13 oder 14 begann das, einen Schlüsselmoment gab es nicht.“ Das Interesse kam und ging wellenförmig, manchmal war es auch über längere Zeit nicht präsent.

Heute ist Walter gelegentlich online mit anderen „Adult Babies“ in Kontakt. Im größten deutschen Windelbaby-Forum tauschen sich über 10.000 Mitglieder aus, in vielen Großstädten werden regelmäßig private Stammtische und Feiern veranstaltet. Onlineversandhäuser wie ab-versand.de bieten bedruckte Windeln, Strampler und Bodys in Übergrößen an. Es gibt Blogs, Windelhotels und Prostituierte, die eine Nacht für Babys mit Vollverpflegung für über 1.000 Euro anbieten.

Fast immer Männer

Im Gegensatz zu anderen Menschen mit extremen Neigungen stehen die wenigsten „Adult Babys“ öffentlich zu ihrer Vorliebe. Menschen mit Windelfetisch sind fast immer Männer, eine schlüssige Erklärung dafür hat die Psychologie nicht. Manche reizt nur das Tragen der Windeln, sie nennen sich „Diaper Lovers“. Das andere Extrem sind Männer, deren Windelfetisch wie ein Sadomasospiel in rosafarbenem Plüsch aussieht. Sie lassen sich schlagen, einsperren, erniedrigen und tragen dabei Babykleidung in XXL.

Vor einem halben Jahr hat Walter das Bett für Lulu gekauft. Unterm Dach steht es, passgenau zwischen dem Kaminrohr und der holzvertäfelten Dachschräge. Massive Buche, zwei Meter zehn auf einen Meter, umschlossen von einem Gitterkäfig. Eingangstür und Deckel sind mit Schlössern versehen. Es ist eine Sonderanfertigung, der Schreiner habe auch schon ein übergroßes Schaukelpferd für einen ranghohen Politiker gebaut, erzählt Walter. Julia wusste zunächst nichts von dem Bett. Walter zeigte es ihr, als es schon montiert war.

Sie bekam es mit der Angst zu tun: Lulus rosafarbenen Body, den Strampler mit Katzenaufdruck – all das ließ sich im Schrank einsperren, halbwegs verstecken. Aber mit so einem Bett funktionierte das nicht. Sie verhüllten es mit einer Decke, der riesige Kasten blieb dennoch unübersehbar.

Das perfekte Kinderzimmer

Unter dem Bettkasten sind Schienen angebracht, dort lassen sich notfalls die Bestandteile des Gitterkäfigs unterbringen. Das Babybett kann Walter so mit wenigen Handgriffen zum Gästebett umbauen. Vielleicht könnte eines Tages auch der eigene Nachwuchs darin schlafen, hofft Walter: „Der Raum unter dem Dach ist das perfekte Kinderzimmer.“ Früher hat die Tochter der Vormieter dort ihre Pyjama-Parties gefeiert.

Das Bett ist das Symbol für die Andersartigkeit der beiden – seiner Andersartigkeit. Ein Fetisch bildet sich immer individuell heraus. Frühkindliche Prägung, ein einschneidendes Erlebnis in Verbindung mit dem jeweiligen Fetischobjekt, psychische Veranlagung – die Ursachen sind so unterschiedlich wie die Fetische selbst. Walters Fetisch heißt im Fachjargon „Autonepiophilie“: Das Bedürfnis, sich wie ein Baby wickeln und bemuttern zu lassen und dabei sexuelle Erregung zu verspüren.

Walter hat eigentlich nichts von einem kleinen Mädchen im Rüschenrock. Er ist ein Macher. Er steht nicht still, spricht viel von Zeitmanagement und Sicherheit, die zierliche Julia folgt seinen Entscheidungen. Sie schmeißt den Haushalt und jobbt in einer Anwaltskanzlei. Manchmal bereut sie, nie studiert zu haben. Walter ist gerade mit seinem Studium fertig, trägt bereits Verantwortung im Beruf. Am liebsten macht er Sport. Er fährt Fahrrad, läuft und schwimmt – ein Leistungssportler.

Einer, der sonst alles unter Kontrolle hat

Wenn die beiden in den Urlaub fahren, suchen sie ihre Ziele danach aus, wo der nächste Wettkampf stattfindet. Sport, Urlaub und Windeln sind sein Ausgleich zum Alltag. Einer, der sonst alles unter Kontrolle hat, gibt sie mithilfe seines Fetisches ab.

Im Eingang der gemeinsamen Wohnung steht ein Paar Hausschuhe. Darauf steht „Don’t tell me what to do“ – Sag mir nicht, was ich zu tun habe. „Das ist Walters Lebensmotto“, sagt Julia und grinst ihn breit an. Julia und Walter leben in einem Dorf irgendwo in Deutschland. Das Dachbodenzimmer halten sie unter dem Vorwand verschlossen, es sei nur eine unaufgeräumte Rumpelkammer.

Manchmal, an kalten Sonntagen, leiht Julia sich den Plüschschlafsack ihres Mannes und macht es sich in dem Gitterbett vor dem Fernseher gemütlich. Wenn die beiden gewöhnlichen Sex haben, kommt auch sie auf ihre Kosten. Dann sagt sie ihm, was sie sich wünscht und braucht. Ihre Freunde beneiden sie sogar um ihr gesundes Liebesleben, wie sie sagt.

Wie weit Julia für Walter und Baby Lulu gehen würde, ist noch unentschieden: „Ich kann mir auf jeden Fall noch nicht vorstellen, Walter irgendwann mal in rosa Mädchensachen durch die Stadt zu führen. Das geht mir zu weit.“ Sie hält kurz inne. „Obwohl“, sagt sie dann, „irgendwann kriegt er mich bestimmt auch noch mal dazu.“ Sie grinst in seine Richtung, er schweigt.

Julia liebt Walter, würde Lulu aber auch nicht vermissen: „Wenn es morgen vorbei wäre, fände ich das auch nicht schlimm“, sagt sie. „Wer weiß, vielleicht hört es ja auch irgendwann auf“, entgegnet er. Womöglich in zwei Jahren, wenn „der finanzielle Background stimmt“. Wenn sie Kinder bekommen.

*Alle Namen von der Redaktion geändert

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