Wo steht der Frauenfußball?: Trotz Boom nicht einmal halbe Felder
Im deutschen Fußball der Frauen ist durch die Männerprofiabteilungen mehr Geld denn je im Umlauf. An der Basis fehlt es an qualifizierter Ausbildung.

In Zürich, wo der Deutsche Fußball-Bund während der EM provisorisch ein Medienzentrum eingerichtet hat, gerät Vizepräsidentin Sabine Mammitzsch geradezu ins Schwärmen über den 1. FC Union Berlin. Die Alte Försterei im Osten Berlins ist für den deutschen Verband zu einem begehbaren Stück Fantasieland geworden, wenn es um die positiven Entwicklungen des Fußballs der Frauen am Standort Deutschland geht. Der Präsident Dirk Zingler sei ein Visionär, sagt sie. „Da bilden die Männer und die Frauen wirklich einen Verein – und die Fans sagen: ‚Wir sind Unioner.‘“
Der besondere Clou bei Union war vergangene Saison der Umzug der Frauen an die Kultstätte der Männerprofis, wo die Kartennachfrage seit Jahren das Angebot weit übersteigt. Das zusätzliche Angebot, nun Frauenspiele an der Alten Försterei anschauen zu können, wurde sensationell gut angenommen. Aus dem Stand erzielte der Aufsteiger in die Zweite Liga mit einem Schnitt von 7.190 Zuschauerinnen und Zuschauern den Bestwert in Deutschland und den viertbesten Publikumszuspruch in ganz Europa. Auch dank dieser Unterstützung gelang der Durchmarsch in die erste Liga.
Mammitzsch sieht im Gefolge von Union mit Borussia Dortmund, die nach vier Aufstiegen in Folge mittlerweile in der drittklassigen Regionalliga angekommen sind, und dem VfB Stuttgart, der kommende Saison in der zweiten Bundesliga spielt, weitere Hoffnungsträgerinnen am Horizont. Die Professionalisierung der Frauenteams durch die Querfinanzierung der Männerprofiklubs setzt in den letzten Jahren so manches in Bewegung.
Es ist noch nicht lange her, da standen bei den Frauen die Bundesligavereine in großer Abhängigkeit zum Erfolg des Nationalteams. Dieser schien unabdingbar dafür zu sein, für die Klubs bessere Bedingungen zu schaffen. Unterdessen ist wegen der benannten jüngsten Entwicklungen das Bewusstsein beim DFB gewachsen, wie wichtig wiederum die Erstligavereine für die deutsche Auswahl sind. Wie schon 2022 in England hat man die Führungskräfte der Erstligavereine zu dieser EM auf eine Leadership-Reise eingeladen. In diesem lockeren Rahmen soll auch ein Austausch darüber stattfinden, wie die Bundesliga weiter vorangetrieben werden kann.
„Quersubventionierung ist nicht die Zukunft“
Wie sich in dem mittlerweile erweiterten Kreis von vierzehn Klubvertretern wohl die Delegationen aus Jena und Essen gefühlt haben, den beiden verbliebenen reinen Frauenfußballvereinen, die nicht auf Zuwendungen aus den Männerprofiabteilungen spekulieren können? Florian Zeutschler, Manager der SGS Essen, versichert, er habe sich nicht unwohl gefühlt. Es gebe trotz der unterschiedlichen Finanzierungsbedingungen viele gemeinsame Themen.
Und der Frage, ob er aufgrund der vielen nachdrängenden quersubventionierten Klubs nicht Sorge habe, begegnet er gelassen. „Wir kennen unsere Stärke. Wir sind immer noch ein attraktiver Standort für jüngere Spielerinnen. Wir haben keine Angst davor, dass große Vereine nach 50 Jahren den Frauenfußball für sich entdecken.“ Dank des Jahrzehnte andauernden Engagements in Essen würden Sponsoren bei der SGS eher Authenzität sehen als bei manch anderem Klub.
Zeutschler zieht in Zweifel, wie nachhaltig das neu geweckte Interesse am Fußball der Frauen ist. „Quersubventionierung wird nicht die Zukunft der nächsten 10 bis 15 Jahren sein.“ Die Klubs mit Männerprofiabteilung hätten neben einer gesellschaftlichen Verantwortung auch eine geschäftliche. Auf geringem Niveau sei das vielleicht leistbar. Aber wenn die Transfersummen weiter in die Höhe schießen wie zuletzt, könne sich das schnell ändern.
Unabhängig von der Achterbahn der Männer
In Berlin ist die große Bewegung, die in den deutschen Frauenfußball gekommen ist, zu spüren wie nirgendwo sonst. Neben dem 1. FC Union haben sich mit Hertha BSC und Viktoria Berlin zwei weitere Klubs das Ziel gesetzt, in absehbarer Zeit in der 1. Bundesliga Fußball zu spielen. Im EM-Quartier der Fußballzeitschrift 11Freunde diskutieren Vertreterinnen und Vertreter der drei Klubs vor dem Public Viewing der Partie Italien gegen Norwegen in einem Biergarten am Gleisdreieck über die aktuelle Lage.
Viktoria verfolgt als 2022 neu gegründeter Investorinnenklub ein ganz eigenes Modell, mit dem auch auf Unabhängigkeit von der Männerbranche Wert gelegt wird. „Wir sind nicht von der Achterbahn der Männer abhängig“, sagt die sportliche Leiterin Catharina Schimpf, die einst beim Hamburger SV die Frauenabteilung mitaufbauen half. Der Aufstieg in die Zweite Liga ist gerade gelungen. Schimpf sagt: „Wir gehen in die Zweite Liga mit einem Profikader. Das wird uns wie bei Union einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz verschaffen.“ Jetzt könne auch vormittags gearbeitet werden. Mit den Investitionen von Union kann Viktoria aber nicht mithalten. Sowohl Schimpf als auch Sofian Chahed, Leiter des Frauenfußballs bei Hertha BSC, heben die Vorbildrolle von Union hervor.
Aber so selbstverständlich und einfach wie der Weg von Union im Nachhinein aussehe, sei das alles nicht gewesen, betont deren Geschäftsführerin Jennifer Zietz. Sie erinnert sich: „Es ist nicht so, dass alle in die Hände klatschen und sagen: Ja, da ist der Frauenfußball.“ Schließlich hätten die einzelnen Abteilungen des Vereins, etwa beim Ticketing oder Sponsoring, nun die doppelte Arbeit leisten müssen. Sehr viel Arbeit sei es gewesen, professionelle Strukturen zu entwickeln. Und der Prozess ist noch längst nicht abgeschlossen. Im Ausbildungsbereich, erzählt Zietz, fehle es an allen Ecken und Enden. „Manche unserer Nachwuchsteams können nicht mal auf dem halben Platz trainieren.“
Für Sofian Chahed mag sich das anhören wie Klagen auf hohem Niveau. Er betont, dass der Regionalligist Hertha nur „minimal querfinanziert“ durch die Männerabteilung ist. Der Betrag liege im unteren fünfstelligen Bereich. „Wir sind noch ganz weit hinten“, sagt er. Man wolle aber schnell aufholen.
Das Fehlen qualifizierter Trainer
Die Sorgen über die Probleme im Nachwuchsbereich eint alle Klubvertreter. Vor allem in der Trainerausbildung müsse noch viel gemacht werden, erklärt Chahed. Manchmal würden aus Mangel an Alternativen Väter die Teams trainieren. Viktorias Mangerin Schimpf weist darauf hin, dass eine qualitativ bessere Arbeit in der Breite auch Geld kostet. Der Deutsche Fußball-Bund hat jüngst stolz mitgeteilt, dass er im Altersbereich bis 16 Jahre bei den Mädchen den größten Mitgliederzuwachs erfährt. Um 7 Prozent auf knapp 119.000 ist die Zahl der kickenden Mädchen angestiegen. Die Quersubventionierungen aus dem Männerprofibereich fließen indes derzeit vornehmlich in die Spitze des Frauenfußballs.
Und auch dort ist nicht alles Gold, was glänzt. Der Zuschauerboom bei Union etwa, der alle in Deutschlands Frauenfußballblase so sehr schwärmen lässt, soll ab August in der ersten Erstligasaison weiter befeuert werden. Jennifer Zietz sagt: „Wir sehen es bei der Europameisterschaft, die tollen Bilder. Den Schwung müssen wir aufnehmen.“ Das Problem ist nur, dass zur Unzeit ein massiver Rückschlag droht. Die Alte Försterei soll ab dem Sommer 2026 umgebaut werden. Für die Männer ist der Plan, in dieser Zeit im Olympiastadion zu spielen. Für die Frauen hat der 1. FC Union bis heute keinen Plan, auch weil in Berlin die Alternativen an bundesligatauglichen Stadien fehlen.
Neben dem Olympiastadion entspräche derzeit wohl nur das Hertha-Amateurstadion den Lizenzbestimmungen der ersten Frauenliga. Das bietet aber nur 5.400 Zuschauern Platz. Vermutlich würden aber eh nicht viele aus der Union-Anhängerschaft zu Spielen der Frauen den weiten Weg auf das ungeliebte Hertha-Gelände antreten. Die Pressestelle vom 1. FC Union Berlin stellt demonstrative Gelassenheit zur Schau. Man werde sich erst äußern, wenn die Dinge klarer seien, heißt es auf Anfrage. „Bis dahin ist noch genug Zeit, alles in Ruhe vorzubereiten und zu entscheiden, wer wo spielt.“
Wie nachhaltig ist also das Engagement für den Fußball der Frauen? Der 1. FC Union wie viele andere Klubs werden sich künftig noch des Öfteren bekennen müssen.
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