Wohnen im Alter: Die Vietnamesen und ihre deutschen Kinder

Vu Quoc Nam plant ein Wohnprojekt für seine alt werdenden Landsleute in Berlin. Viele wollen lieber zurück. Doch was, wenn das Geld fehlt? Und die Kinder nicht mitwollen?

Zuhause: Die Kinder kennen nur Deutschland, die Eltern sehnen sich nach Vietnam. Bild: dpa

Die Motivation ist weg. Le Thi Dung rackert sich gemeinsam mit ihrem Ehemann jeden Tag in ihrem Blumenladen ab. Das Ziel der heute 50-Jährigen war lange klar: Als Rentnerin wollte sie zurückkehren nach Vietnam. Dort achtet man alte Menschen. Doch dann kam die Diagnose des Arztes: Dung ist Diabetikerin. Sie muss regelmäßig Insulin spritzen. In Vietnam müsste sie das Medikament selbst bezahlen, und das ist zu teuer. Irgendwo im Hinterkopf weiß die Frau: Sie wird ihr Alter in Deutschland verbringen müssen. Aber sie verdrängt den Gedanken.

Vu Quoc Nam von der Vereinigung der Vietnamesen, die die ehemaligen DDR-Vertragsarbeiter vertritt, geht das Problem offensiv an. Gemeinsam mit dem Gesundheitsmanager Eberhard Reeck und Berlins einstiger Gesundheitssenatorin Beate Hübner (CDU) will sein Verein ein Projekt für altersgerechtes Wohnen für Vietnamesen in Berlin aufbauen. "Das hat keine Eile", sagt Reeck. "Aber in zehn Jahren wird der Bedarf massiv steigen."

In Behörden und in der Firma Vitanas hat er Unterstützer gefunden. Vitanas will ausgebildete Altenpfleger aus Vietnam holen und sie in Deutschland nachschulen. Bis es so weit ist, bleibt die schwierigste Aufgabe: Das Projekt muss in die vietnamesische Community kommuniziert werden. Die Zielgruppe muss sich einbringen und sagen, wie sie sich ihr Leben im Alter vorstellt. Soll es ein Altenheim sein oder ein Mehrgenerationenhaus? Wollen Vietnamesen unter sich bleiben oder sich mit einem ähnlichen Projekt von koreanischen Zuwanderern zusammenschließen? Wer finanziert das Ganze, wo doch die meisten keine Rente bekommen?

"Noch gehen die meisten meiner Landsleute davon aus, ihr Alter in Vietnam zu verleben", weiß Vu Quoc Nam. So war ihr Lebensentwurf auch vorgegeben: Die DDR wollte die Vertragsarbeiter nur für jeweils fünf Jahre haben. Auch nach dem Mauerfall durfte kein Vietnamese damit rechnen, langfristig willkommen zu sein. Die Innenministerkonferenz gestand ihnen erst 1997 ein Dauerbleiberecht zu. Rund ein Jahrzehnt mussten die Vietnamesen also davon ausgehen, nach Südostasien zurückzukehren, ob sie wollten oder nicht.

Danach haben sie ihre Lebenspläne ausgerichtet. Die Blumenhändlerin Dung ist ein typischer Fall. Seit 20 Jahren legt die Vietnamesin jeden Cent zur Seite. Vor 15 Jahren hat die Familie in ihrem Heimatland billig ein Grundstück erworben und dann dort durch ihre Neffen ein Haus bauen lassen. Die wohnen bisher auch darin. Das Haus war als ihre Altersvorsorge gedacht. Und für die Zukunft ihrer Söhne.

Die sollten in Deutschland ihr Studium erfolgreich abschließen, dann die Eltern nach Vietnam begleiten und für sie sorgen. Eine Rentenversicherung in Deutschland hat Dung nie abgeschlossen. Als selbstständige Gewerbetreibende ist sie dazu nicht verpflichtet. Wozu auch? In Vietnam würden Dung und ihr Mann im Mittelpunkt einer Großfamilie aus mehreren Generationen stehen. Dort zählt das Wort der Alten und man lässt sie nicht wie in Deutschland in Altenheimen verkümmern.

So wie Dung haben viele für ihr Alter Grundstücke im Heimatland gekauft oder auch an der vietnamesischen Börse spekuliert. Und sie investieren in die Bildung ihrer Kinder und halten sie zum Lernen an. Denn gemäß dem Bild der vietnamesischen Großfamilie sollen die Kinder im Alter für die Eltern sorgen.

Traditionen schwinden

Doch in Deutschland steht die Großfamilie auf wackeligen Füßen. Dungs älterer Sohn, der noch in Vietnam geboren wurde und den sie nach der Wende nach Deutschland holen konnte, hat sein Studium geschmissen. Mit einem deutschen Hochschulabschluss wäre er in Südostasien ein gemachter Mann gewesen. Die Firmen hätten sich um ihn gerissen. Ohne Unizeugnis kann er in Vietnam nicht für einen angemessenen Lebensstandard sorgen. Derzeit macht er sich im elterlichen Laden nützlich. Der jüngere Sohn hat gerade das Abitur gemacht, mit sehr guten Noten. Aber, so die Mutter: "Dieser Sohn ist schwierig. Er benimmt sich wie ein Deutscher, achtet die Eltern nicht und will nicht in Vietnam leben."

Wenn Dung den Gedanken an ihr Alter in Deutschland zulässt, muss sie sich an den Kopf fassen und gestikuliert mit den Armen. "Mir gefällt nicht, wie man in Deutschland mit alten Menschen umgeht. In Vietnam wächst das Ansehen eines Menschen mit dem Alter. Hier gibt man Kindern so viele Rechte und Alten gar keine."

Für Vietnamesen um die fünfzig wie Dung und Nam war es selbstverständlich, für die Eltern daheim zu sorgen. Vor 15 Jahren reichten dafür noch 50 Mark pro Monat aus. Mittlerweile steigen auch in Vietnam die Kosten. Mindestens 200 Euro braucht man dort heute zum Leben, in Großstädten deutlich mehr. Tendenz steigend. Damit scheidet der Plan aus, ohne die Kinder nach Vietnam zurückzukehren und sie von Deutschland aus für die Eltern sorgen zu lassen. Das wäre zu teuer. Deshalb wollen viele nun gemeinsam mit den Kindern zurück. Die würden diesen Lebensentwurf finanzieren. Und die Eltern würden sich im Gegenzug bei der Betreuung der Enkel nützlich machen.

Studien zufolge beenden rund zwei Drittel aller vietnamesischen Schüler die Schule mit Abitur. Die Eltern drängen sie zu Studienrichtungen, die in Vietnam gebraucht werden, etwa Wirtschaftsfächer, Informatik, Medizin und Pharmazie. Doch viele der hier geborenen Jugendlichen zerbrechen an der Erwartung ihrer Eltern, mit ihnen gemeinsam nach Studienende nach Vietnam zurückzukehren.

Vu Quoc Nam gehört zu den wenigen, die den Gedanken aussprechen, ohne Angst dabei zu bekommen: "Wir müssen realistisch sein. Die Familiensituation ist nicht mehr wie in Vietnam. Unsere Kinder sind Deutsche." Eine Erkenntnis, die nicht nur Vietnamesen betrifft, weiß Nam: "Unser Verein hat sich mit der Türkischen Gemeinde getroffen und erfahren, dass die Türken ursprünglich auch im Alter in die Türkei zurückkehren wollten. Aber die allermeisten sind geblieben", erzählt Nam und fragt: "Warum sollen die Vietnamesen anders sein?"

Er kennt auch die wenigen Landsleute in Berlin, die schon das Rentenalter erreicht haben. Noch kann er sie an einer Hand aufzählen. "Sie sind hier geblieben." Das müsse nicht repräsentativ sein, gesteht der Mann mit den langen ergrauten Haaren ein. Denn alle diese Leute sind Dolmetscher und können sich darum problemlos hier verständigen. Allerdings erzählt Nam auch von Bekannten, die lange vor Erreichen des Rentenalters nach Vietnam zurückgehen. Manche seiner Bekannten waren schon einmal zurückgekehrt. "Und nach einem oder zwei Jahren waren sie wieder hier", hat Nam beobachtet. Oder sie sind - wenn das deutsche Recht eine Rückkehr nicht gestattet - im Verband der Großfamilie in ein Drittland gewandert. Nach Kanada etwa oder Australien.

Alles spricht für ein Projekt für altersgerechtes Wohnen in Berlin. Auch wenn sich die Zielgruppe noch skeptisch zeigt. Die nächste Generation hat Vu Quoc Nam auf seiner Seite. Ngoc, der frisch gebackene Abiturient und 19-jährige Sohn von Dung, würde sich freuen, wenn so das Projekt gelingt. Wenn seine Eltern ihre Zukunft in Deutschland annehmen, sagt er, "dann hören sie vielleicht endlich auf, mir vorzuschreiben, was ich studieren und wen ich heiraten soll."

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