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Wohnungslosigkeit in Hamburg„Der Dringlichkeitsschein bietet keine Sicherheit“

In Hamburgs öffentlichen Unterbringungen leben tausdende Menschen, die eigentlich Anspruch auf eine Wohnung haben. Das ergab eine Anfrage der Linken.

Alle brauchen erstmal ein Dach über dem Kopf: Demo für bezahlbare Mieten in Hamburg 2024 Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Die gute Nachricht vorweg. Hamburg hat sein Modellprojekt „Housing First“ verstetigt. Das gab Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer (SPD) am Freitag im Sozialausschuss bekannt. Ab sofort kann jeder Träger der Wohlfahrtspflege einen Vertrag mit der Stadt abschließen und dann Langzeitobdachlosen eine Wohnung besorgen und sie eine Weile begleiten – die Kosten trägt die Stadt. In einem Modellprojekt war dies zuvor bei 39 obdachlosen Menschen geglückt.

Doch das Problem der Wohnungslosigkeit hat Hamburg längst nicht im Griff: Darauf macht die Fraktion Die Linke in einem Antrag aufmerksam, der am Mittwoch in der Bürgerschaft debattiert wird. Rund 32.400 Menschen leben laut Bundesstatistikamt in der Stadt ohne eigene Wohnung. Das ist im Verhältnis zur Bevölkerung der Großstadt eine vergleichsweise hohe Quote. Nach Auskunft des rot-grünen Senats auf eine Anfrage der Linken lebten Ende Dezember 2024 sogar 41.521 Menschen in „öffentlich-rechtlicher Unterbringung“, statt im eigenen Zuhause. Darunter waren 3.989 Wohnungslose und 26.580 Zuwanderer mit Anspruch auf eine Wohnung.

Für diese Menschen sieht das Gesetz einen Dringlichkeitsschein vor. Die Stadt hat für diese Fälle ein Kontingent von Wohnungen mit „Wohnungsamtsbindung“ (WA-Bindung). Darüber gibt es Verträge mit der städtischen Saga und weiteren Wohngenossenschaften. Das Problem: Zum Jahresende galten 16.148 Haushalte als dringend berechtigt. Doch es wurden nur 2.404 mit einer Wohnung versorgt, also etwa jeder sechste. „Der Dringlichkeitsschein bietet überhaupt keine Sicherheit mehr“, kritisiert daher die Linke-Sozialpolitikerin Olga Fritzsche. „Doch, wer so einen Schein hat, hat Anspruch auf eine Wohnung. Ohne wenn und Aber.“

1.500 Dringlichkeitswohnungen gingen verloren

Was auch durch die Anfrage heraus kam: Die Zahl der Dringlichkeitswohnungen insgesamt schrumpfte von 2024 auf 2025 um rund 1.500 Wohnungen, von 26.032 auf 24.485. Das ist nun Anlass für die Linke gewesen, ihren Antrag zu stellen. Sie fordert, dass allein die städtische Saga künftig jährlich mindestens 3.000 vordringlich wohnungssuchende Haushalte mit einer Wohnung versorgt. Die Verträge zwischen der Stadt und ihrer Wohnungsfirma seien entsprechend anzupassen. Zur Zeit hält die Saga nur 2.100 WA-Wohnungen vor und die Genossenschaften 250.

Auf eine Wohnung nach Housing-First-Prinzip haben Menschen Anspruch, die länger obdachlos sind und gemäß Paragraf 67 des Sozialgesetzbuch XII aus eigener Kraft nicht fähig sind, ihre Lage zu ändern. Die Träger müssen Wohnungen für sie auf dem Markt besorgen. Die Stadt bietet laut Homepage fünfstellige Zuschüsse und „attraktive finanzielle Absicherung“ damit das gelingt.

Neben dem sozialen Gewinn, so erklärte Sozialsenatorin Schlotzhauer, ergäbe sich aus dieser direkten Wohnraumversorgung auch „erhebliche monetäre Vorteile“. Denn durch Housing First spart die Stadt Geld, nämlich die deutlich höheren Kosten für die öffentlich-rechtliche Unterbringung.

Doch dass „Wohnunglosigkeit die teuerste Form zu Wohnen“ ist, gelte auch für andere Gruppen, merkt Fritzsche an. „Egal ob in der Jugendhilfe oder bei den Frauenhäusern, das Hilfesystem ist verstopft, weil Wohnraum fehlt.“ Der Senat müsse endlich mehr Sozialwohnungen bauen oder auch Bindungsrechte aufkaufen, findet die Linke. Jede Vermittlung entlaste die Stadt von den Kosten der öffentlichen Unterbringung.

Hausbesuche gegen Zwangsräumungen

Da zudem aber auch die Zahl der Zwangsräumungen 2024 zunahm, seien auch präventive Maßnahmen wie Hausbesuche durch die Fachstellen für Wohnungsnotfälle wichtig. Die Linke fordert in ihrem Antrag, diese auszuweitern und dafür 30 zusätzliche Stellen einzurichten.

Fritzsches Antrag stößt bei den regierenden Fraktionen von SPD und Grünen auf Ablehnung. Der SPD-Sozialpolitiker Baris Önes erklärte, Hamburg stehe im sozialen Wohnungbau im Ländervergleich gut da. Die Saga habe unter ihren 140.000 Wohnungen etwa 30.000 geförderte und 9.800 mit Wohnungsamts-Bindung. Angesichts der abnehmenden Fluktuation der Wohnungen der Saga sei die Versorgung von über 2.000 vordringlich Wohnungsuchenden im letzten Jahr eine gute Quote. Hamburg habe zudem im letzten Jahr 5.611 Sozialwohnungen gefördert und gebe auch in 2025 und 2026 Fördergelder in Milliardenhöhe aus.

„Dass die Zahl der WA-Wohnungen nicht ausreicht, ist uns bewusst“, sagt die Grüne Abgeordnete Kathrin Warnecke. Deshalb schaffe man hier seit Jahren neue Angebote. Doch die Forderung, allein bei der Saga 3.000 Wohnungen dafür vorzuhalten, sei kurzfristig nicht realistisch. Man setze stattdessen auf ein breiteres Programm, in das auch Genossenschaften und private Akteure einbezogen werden. Und die aufsuchende Sozialarbeit der Fachstellen sei „heute schon möglich“, sagt die Grüne. Den Antrag der Linken werde man ablehnen.

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