Wolfgang Wieland zum Grünen-Wahlkampf: "Zu bieder und zu gelackt"

Der Bundestagsabegordnete Wolfgang Wieland blickt skeptisch auf den Berlin-Wahlkampf seiner Partei und auf die Große Koalition, die nun kommt.

Nicht ganz zufrieden: Wolfgang Wieland, hier im Bundestag Bild: dpa

taz: Herr Wieland, was sagt Ihnen der Begriff Mehltau?

Wolfgang Wieland: Der Begriff kommt von Harry Ristock - sozialdemokratisches Urgestein und zeitweiliger Berliner Bausenator. Mehltau war seine Prophezeiung für eine große Koalition in Berlin gleich nach der Wende.

Das war 1991. Die große Koalition hat zehn Jahre gehalten.

Ristock hat mit seiner Prophezeiung leider recht gehabt.

Sie saßen damals für die Grünen im Abgeordnetenhaus. Wie hat sich die Politik der großen Koalition ausgewirkt?

Große Pfründen, großes Vertuschen, große Lähmung für Berlin. Die großen Pfründen sind uns dann ja irgendwann auf die Füße gefallen mit der Bankgesellschaft, aber nicht nur dort. Man hat die Eigenbetriebe und die wirtschaftlichen Aktivitäten des Landes Berlin immer so gestrickt, dass lukrative Posten sowohl für Vertreter von CDU als auch SPD abgefallen sind. Dadurch wurde die Aufklärung von Verschwippungen, Filz und Korruption enorm erschwert.

Kaum jemand kennt die Berliner Landespolitik so wie der 63-jährige grüne Innenexperte. Wieland saß von 1987 bis 2004 mit Unterbrechungen im Abgeordnetenhaus, war dreimal Fraktionssprecher. 2001, nach dem Crash der Bankengesellschaft, trug der Jurist und Polizeikenner maßgeblich zum Sturz der großen Koalition bei. Im rot-grünen Übergangssenat war Wieland Justizsenator, musste den Posten aber nach sieben Monaten räumen, weil sich die SPD für die PDS als Koalitionspartner entschied. Seit 2005 sitzt Wieland im Bundestag.

2001 gab es bei der Bankgesellschaft den großen Crash, über den dann auch die große Koalition stürzte. Es folgten zehn Jahre Rot-Rot. Nun legen sich die Sozialdemokraten wieder mit der Union ins Bett. Bedeutet das für Berlin wieder Mehltau?

Mal sehen. In der Vergangenheit hatte die große Koalition satte, zum Teil sogar Zweidrittelmehrheiten. Verglichen damit sind die neun Stimmen Mehrheit, die SPD und CDU jetzt haben, wenig geruhsam. Diese große Koalition segelt knapp überm Durst.

Seinerzeit hat die CDU den Regierenden Bürgermeister gestellt. Diesmal ist es die SPD. Macht das einen Unterschied?

Vom Mechanismus her ist das egal. Der Grund, warum Wowereit das macht, ist ja gerade das Bequemlichkeitsmoment. Er will auch seine eigenen Leute nicht immer bei der Stange halten müssen. Nicht jedes Jahr wieder über Autobahnbau diskutieren müssen.

Stichwort Autobahn. Es gibt mindestens zwei Theorien, warum die rot-grünen Koalitionsverhandlungen geplatzt sind. Was ist Ihre Meinung?

Ich bin immer Anhänger der Theorie, Wowereit ist ein Spieler. Er hat immer mehrere Karten im Ärmel. Eine Karte war Rot-Grün, wenn es zu seinen Bedingungen läuft. Die zweite Karte war die große Koalition. Wie ein Zocker hat er es darauf ankommen lassen.

Gehört das nicht zur Politik?

Mir gefällt das Ergebnis überhaupt nicht. Ich halte es fast schon für eine negative Meisterleistung, in einer Stadt, die Rot-Grün wollte, bei einem Wahlergebnis, was Rot-Grün ermöglicht hat, dann doch eine große Koalition zu machen. Wenn er das von Anfang an wollte, Chapeau! Dann hat er es geschafft, bei seinen eigenen Leuten uns so ins Unrecht zu setzen, dass sie ihm wieder mal gefolgt sind wie die Lemminge. Vor fünf Jahren war das genauso.

Und 2001 auch.

Jedes Mal hat es Wowereit geschafft, in seiner Partei das Bild zu zeichnen, mit den Grünen geht es nicht. Über das dritte Mal ärgere ich mich am meisten, weil 3,2 Kilometer Stadtautobahn dazwischen lagen und eine Kompromissformel gefunden war, mit der beide Seiten ihr Gesicht wahren konnten.

Wenn man der SPD glauben mag, haben die Grünen in der Nacht noch nachgelegt.

Richtig. Zum Schluss scheiterte es an zwei Begriffen. Die SPD wollte weiterbauen. Die Grünen wollten qualifizierte Beendigung.

Wie erklären Sie das Grün-Wählern?

Die einfache Erklärung, die wir ja bevorzugen: Wowereit wollte nicht.

Das ist zu einfach.

Gebe ich ja zu. Das muss aufgearbeitet werden. Warum wir im Wahlkampf unter unseren Möglichkeiten geblieben sind, und zwar deutlich. Warum wir dem heraufziehenden Piratenmanöver nichts entgegengesetzt haben.

Die Kampagne wurde von Renate Künast, Volker Ratzmann und deren Wahlkampfteam gesteuert. Wo liegt der Fehler?

Wir waren zu bieder. Wir waren zu gelackt. Das ging zu Lasten der Inhalte. Wir haben unterschätzt, wie weit auch wir die Gesellschaft schon verändert haben. Die Wähler wollen keine optischen Beweise mehr haben auf Plakaten, dass wir seriös sind. Die wollen auch bei uns Esprit und Pfiff, was nicht ausschließt, dass wir eine gute Politik machen. Das muss Teil der Selbstkritik sein. Die Wahlkämpfe müssen wieder frecher werden. Das muss auch die Lehre für die Bundestagswahl sein.

Ratzmann ist mit denkbar knapper Mehrheit wieder in den Fraktionsvorstand gewählt worden. Nun droht der linke Flügel mit Aufstand. Riecht das nicht stark nach Krise?

Volker Ratzmann hat die gelbe Karte erhalten. Nun sollte es gut sein. Die Linke muss kandidieren und mitarbeiten. Kindergarten ist keine Antwort auf Alleingänge und Selbstherrlichkeit.

Bei der SPD wurde bedauert, dass bei den grünen Verhandlern ein alter Haudegen wie Wolfgang Wieland gefehlt hat.

Sie erwarten nicht, dass ich das kommentiere. Zurzeit findet ja eine Renaissance der alten Männer statt. Ich verfolge das mit einer gewissen Belustigung.

Auf wen spielen Sie an?

Peer Steinbrück wird als Kanzlerkandidat gehandelt. Winfried Kretschmann, mein Altersgenosse, ist erster grüner Ministerpräsident geworden. Wir sind mal angetreten gemeinsam gegen die Greisenrepublik Bundesrepublik Deutschland. Von daher lassen wir mal die Moschee im Dorf. Ich bin immer froh, dass wir quietschjunge Leuten haben.

Sie kommen ja richtig in Fahrt.

Dieses Bild, dass die Grünen wie der Ochs vorm Berg stehen, wenn es um Open-data, Netzneutralität, Trojaner und Ähnliches geht, gilt höchstens für die alten Männer, aber nicht für die ganze Partei und schon gar nicht für unsere 20- und 30-Jährigen.

Worauf wollen Sie hinaus?

Das ist ein Plädoyer, die Grünen alterszudurchmischen und die jungen Leute auch durchkommen zu lassen. Denn hinter dem Erfolg der Piraten steht auch ein Lebensgefühl. Auch die Grünen haben ein Lebensgefühl, aber das haben wir viel zu wenig bedient.

Das interessiert uns genauer.

Unser Lebensgefühl ist das eines umweltbewussten urbanen Stadtbewohners …

der Geld hat.

Im Durchschnitt mag das richtig sein. Aber auch die Studentin, die sich ihr Vollkornbrot nur durch Konsumverzicht an anderer Stelle leisten kann, wählt Grün. Wir sind nicht die bestverdienende Partei. Wir sind die bestgebildete Partei.

Am Donnerstag formiert sich das neue Abgeordnetenhaus. Wie wird sich die linke Oppositionstrias von Grünen, Linkspartei und Piraten zueinander verhalten?

Wir werden konkurrierende Oppositionsparteien erleben. Die große Koalition wird es nicht einfach haben. Ich bin gespannt, ob die Piraten ihren ersten Praxistest in der Bundesrepublik bestehen. Wir Grünen haben sie an Bord willkommen geheißen. Mit einer Attitüde "weiß ich nicht, weiß ich nicht, weiß ich nicht", wird das aber nicht gut gehen.

Gesetzt den Fall, Frank Henkel wird Innensenator: Wird er eine ähnliche Hau-drauf-Politik praktizieren wie Heckelmann, Schönbohm und Werthebach, die in den 90ern CDU-Innensenatoren waren?

Bei mir gings 1981 mit Heinrich Lummer los (kichert). Henkel ist schwer einzuschätzen. In der innenpolitischen Debatte hat er bislang den Wadenbeißer gespielt. Ich sag immer, Frank Henkel ist der Kandidat für das Schultheiss-Berlin. Für den Schrebergarten. Aber auch Henkel bekommt seine 100-Tage-Chance. Ich fürchte nur: Eine Partei, deren Hautproblem es ist, dass die Richter bei ihrer Vereidigung "so wahr mir Gott helfe" sagen, disqualifiziert sich auf sämtlichen Politikfeldern.

Können Sie sich vorstellen, dass Rot-Schwarz die Kennzeichnung für Polizisten kippt?

Ich rechne nicht ernsthaft damit. Ich habe meinen ersten Kennzeichnungsantrag als AL-Abgeordneter 1988 getippt, für die damals noch Westberliner Polizei. Das war ein langer Weg. Ich bin heilfroh über die Entwicklung der Berliner Polizei. Ich möchte nicht zurück zu Straßenschlachten mit Tausenden von Steinen. Ich beurteile sowohl Körtings als auch Glietschs Arbeit unter dem Strich sehr positiv.

Obwohl Körting den umstrittenen Udo Hansen als Polizeipräsidenten durchgepaukt hat?

Was ihn da geritten hat, so an Hansen festzuhalten, den "nur" sein SPD-Parteibuch qualifiziert, ist mir absolut schleierhaft.

Könnte ein CDU-Innensenator den Bewusstseinswandel bei der Polizei überhaupt zurückdrehen?

Bei Behörden wie der Polizei kommt es durchaus darauf an, was von oben vorgegeben wird. Stichwort martialisches Auftreten, niedrige Eingriffschwelle, Reingehen in eine Demonstration beim geringsten Anlass. Prompt hat man wieder diesen Hochschaukeleffekt. Der gleiche Polizist, der unter Glietsch deeskalierend tätig war, entfaltet bei solchen Einsatzbefehlen eine ganz andere Wirkung.

Wie lautet Ihr Fazit?

Ich sehe Gefahren. Punkt. Aber vielleicht bleibt Ehrhart Körting ja noch, bis er 90 ist, Innensenator. Dann wäre er in Helmut Schmidts Alter. (lacht)

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