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Zahlen der JobcenterKeine Belege für eine große Bürgergeld-Mafia

Die Regierung spricht von „mafiösen Strukturen“, die „Bild“-Zeitung von einem Anstieg beim „bandenmäßigen Bürgergeldbetrug“. Dabei ist die Datenlage dünn.

Die Datenlage zu Betrugsfällen beim Bürgergeld ist dünn Foto: Werner Krüper/epd/imago

Berlin taz | Nimmt eine Mafia in Deutschland systematisch die Jobcenter und Bedürftige aus? Von „mafiösen Strukturen, die wir zerschlagen müssen“, sprach im Juni Sozialministerin Bärbel Bas (SPD). Fast wortgleich äußerte sich Anfang Juli Kanzler Friedrich Merz auf einem Sommerfest der Unionsfraktion. Jetzt weisen vermeintlich auch offizielle Zahlen auf ein zunehmendes Problem hin: „Fälle von ‚bandenmäßigem‘ Bürgergeld-Betrug gestiegen“, schreibt am Montag die Bild-Zeitung unter Verweis auf die Regierungsantwort auf eine Grünen-Anfrage.

Sinngemäß geht es laut Bundesregierung um Kriminelle, die EU-Ausländer*innen nach Deutschland bringen und für diese Arbeitsverträge so fingieren, dass sie Anspruch auf Bürgergeld haben. Die Betroffenen dürften das Geld dann nicht behalten, sondern müssten es an die „oft menschenhandelsähnlichen Strukturen“ abführen. Berichte über entsprechende Fälle gibt es aus mehreren Großstädten. Tatsächlich ist aber vollkommen offen, wie verbreitet das Problem wirklich ist. So ist die aktuelle Regierungsantwort auf die Grünen-Frage, über die zuerst die Rheinische Post berichtet hatte, nur beschränkt aussagekräftig.

Der Aufstellung zufolge haben die Jobcenter im Jahr 2023 noch 229 Verfahren wegen „bandenmäßigen Leistungsmissbrauchs“ eingeleitet, 2024 waren es dann schon 421. Das wirkliche Ausmaß könnte einerseits noch größer sein: Daten lagen dem Ministerium nur für drei Viertel der Jobcenter vor, außerdem erfasst die Summe naturgemäß keine unerkannten Fälle.

Andererseits zeigt ein genauerer Blick in die Daten, dass die Jobcenter am Ende nicht mal in der Hälfte der Verfahren eine Strafanzeige gestellt haben. Wie Staatsanwaltschaften und Gerichte weiter verfahren sind, ist oftmals vollkommen unklar. Für 2024 weiß das Ministerium nur in 36 Fällen, was aus den Anzeigen wurde. Demnach gab es lediglich 3 Verurteilungen, und diese auch nur zu Geldstrafen. Selbst in diesen Fällen kamen die Gerichte offenbar nicht zu der Überzeugung, dass es sich tatsächlich um „bandenmäßigen“ Betrug handelte. Für diesen Straftatbestand sieht das Strafgesetzbuch nämlich eine Freiheitsstrafe vor.

Das Fazit des Grünen-Sozialpolitikers Timon Dzienus: „In der Debatte um das Bürgergeld braucht es mehr Sachlichkeit statt polemischer Stimmungsmache.“ Explizit meint er damit nicht nur die Berichte über vermeintliche Mafia-Strukturen. In ihrer Anfrage an die Regierung hatten die Grünen-Abgeordneten auch andere Aspekte abgefragt. Der Antwort zufolge ist die Datengrundlage für viele Verschärfungen, die Schwarz-Rot beim Bürgergeld plant, dünn.

Demnach fehlen der Regierung Daten oder Berechnungen zum Einsparpotenzial geplanter Reformschritte wie höherer Sanktionen. Und überschaubar ist die Zahl der Bürgergeldempfänger*innen, die nachweislich nicht arbeiten wollen oder sich Maßnahmen verweigern: 2024 wurden aus diesem Grund nur in knapp 24.000 Fällen Leistungen gemindert (bei einer Gesamtzahl von rund 4 Millionen erwerbsfähigen Leistungsempfänger*innen). Zehn Jahre zuvor lag diese Zahl noch bei rund 117.000.

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16 Kommentare

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  • Keine große Bürgergeld Mafia?...auch eine kleine Bürgergeld Mafia, ist eine Mafia zu viel.



    Im Pflegebereich gibt es Betrug, durch organisierte Strukturen, der sich in Milliarden Hohe bewegt. Im Bürgergeld ist es nicht weniger.

    Kopf in den Sand stecken und weg gucken hilft nicht weiter, der Lohnabhänige wird immer mehr belastet der trägt die Hauptlast.

    Übrigens die Mitarbeiter der taz, alles freie Mitarbeiter ? oder auch Gehaltsempfänger die monatlich ihren Gehaltszettel mit ihren beträchtlichen Abzügen erhalten.

    Wer mit offenen Augen durchs Leben geht bemerkt Wildwuchs soweit das Auge reicht.

    Milliardenbetrug bei EU Agrar Hilfen und sonstigen EU und Regierungs Subventionen, Milliardenbetrug bei der obersten Einkommensschicht mit ausgefeilten Steuerhinterziehung Taktik,



    Was wurde im Corona Hype betrogen und hunderte Millionen illegal bei Seite geschafft. Abrechnungsbetrug, von Hilfsorganisationen der edelsten Herkunft !, im Unterbringsbereich/Versorgung von Asylanten



    Wenn einer privat Krankenversichert ist, soll er seine Rechnung auf Plausibilität prüfen, er wird sich wundern.

    Was im Hoch und Tiefbau bei Aufträgen die Hand aufgehalten wird ..



    Insgesamt gilt, das Grauen ist da

  • Es scheint mir ja politischer Konsens zu sein, besonders gegen die schwachen und schwächsten unserer Gesellschaft Stimung zu machen.

    Oder ist die Strategie vielleicht, Maskendeals und Verkehrsversager zu übertünchen ?

  • Zu verlockend, man kann gleich zwei beliebte Sündenbockgruppen unter Feuer nehmen, Bürgergeldempfänger UND Migranten. Die paar Fälle werden zur großen mafiösen Verschwörung aufgeblasen. So ein Quatsch wäre von der AfD zu erwarten gewesen, die Linnemännchen , Merz und die anderen AfD-Kopisten in der Union sind sich auch dafür nicht zu blöd. Zu dumm, dass wieder mal genug medial ungebildete Holzköpfe den Unsinn glauben.

    • @FtznFrtz:

      Wo steht im Artikel was von Migranten?

      • @Jesus:

        "Sinngemäß geht es laut Bundesregierung um Kriminelle, die EU-Ausländer*innen nach Deutschland bringen und für diese Arbeitsverträge so fingieren, dass sie Anspruch auf Bürgergeld haben. "

        Das sind qua Definition Migranten

  • Als gäbe es nicht viele andere und größere Probleme, die Black-Rot anpacken sollte, es aber leider nicht tut. Kein*e Steuerzahler*in finanziert das Bürgergeld oder irgendwelche andere staatliche Ausgaben. Staaten erzeugen sich ihr Geld einfach selbst - und zwar mit jedem Cent, den sie ausgeben. Der Grund: Sie tätigen ihre Zahlungen von einem Konto bei der eigenen Zentralbank. BG-Betrug sollte natürlich verhindert werden, finanziell richtet er aber keinen Schaden an.



    Anstatt wertvolle Arbeitskraft für sinnlose Bedarfsprüfungen in den Jobcentern zu vergeuden, sollte man einfach das halbe Volkseinkommen auf alle Bürger umverteilen, so dass jede*r ein halbes Prokopfeinkommen plus das halbe Bruttoeinkommen als Netto hätte (Negative Einkommensteuer zu 50 Prozent). Dies würde die ESt, KSt und die AG- Sozialbeiträge einerseits sowie für die Grundsicherungen andererseits ersetzen.



    Vorteile u.a.:



    - KV+PV würde vollständig von Lohnbezug auf Ertragsbezug umgestellt, dadurch für jeden kostenlos in Höhe der gKV



    - RV+AV würde zur Hälfte von Lohnbezug auf Ertragsbezug umgestellt, dadurch auch für Selbständige nur noch in Höhe des AN-Beitrages zu tragen und unterm Strich billiger als eine pRV.

    • @Modern Monetary Theory :

      So ähnlich hat man Zimbabwe auch gedacht, und irgendwann war das Papier teurer als der Betrag, der draufstand. Irgendwo im Schrank habe ich zwei Notgeldscheine von 1923, einen über 100 Millionen und einen über 1 Milliarde Mark. Und mit alten türkischen Lira habe ich noch 2002 im Urlaub bezahlt, da war der kleinste Geldschein im Geldbeutel 1 Million Lira.



      Geld drucken ist einfach, aber dann noch was dafür bekommen kann schwierig werden.

    • @Modern Monetary Theory :

      "BG-Betrug sollte natürlich verhindert werden, finanziell richtet er aber keinen Schaden an. "



      Na ja, in Summe ist der "Schaden" weniger als marginal. Erhöht er doch, im Mikrobereich, die Zinszahlungen an die eigene Bank. Ist aber gut geeignet, um andere weniger marginale Verschiebungen der Besitzverhältnisse zu verschleiern.



      Zum Beispiel die in großen Teilen unseeligen Stiftungen. Landwirtschaft: wem gehört in den ehemaligen Ländern der DDR was und wer baut wo was an?

  • Mag ja sein, dass der Autor unbedingt Strafurteile braucht. Wenn er aber ins Ruhrgebiet fahren würde und dort die Menschen fragt, warum so viele von der SPD zur AfD gegangen sind - und davon sehr viele mit Migrationshintergrund, dann wird er genau diese Geschichten hören, die dort wirklich passieren. Clans, die Schrottimmobilien kaufen, dort reale Menschen und weitere, die dort nur gemeldet sind unterbringen, denen kleine Jobs bescheinigen sich dafür überhöhte Mieten und einen großen Teil der Sozialleistungen auszahlen lassen.

    Immer wieder gibt es Razzien - und die bestätigen die Vorwürfe.

    • @Dr. McSchreck:

      "Immer wieder gibt es Razzien - und die bestätigen die Vorwürfe". Also gibt es doch Strafurteile, aber die kennen wohl nur Dr. Schreck und die AFD-Wähler im Ruhrgebiet.

      • @tgl:

        Vielleicht dauern die Verfahren ein wenig und vielleicht werden die Leute dann wegen einer Vielzahl weiterer Delikte verurteilt, zum Beispiel auch Steuerhinterziehung.



        Gegen die nicht dort wohnhaften Bürger ist es im übrigen auch schwierig, zu einer Verurteilung zu kommen, weil sie eben keinen Wohnsitz in Deutschland haben und es nicht für einen internationalen Haftbefehl reicht.

        Sie müssen das natürlich nicht glauben. Dann glaube ich auch nicht, dass es Cum-Ex-Geschäfte in großem Umfang gab, da ist die Zahl der Verurteilungen ja auch noch überschaubar.

  • Ja, mehr Sachlichkeit bitte.



    Und vor allem sollte man endlich Mal den Suchradius "bandenmäßiger Betrug" auf Steuerbetrug ausweiten.



    Denn selbst wenn alle 421 gemeldeten Fälle von Bürgergeldbetrug wahr sein sollten, reden wir von einem einstelligen Millionenbetrug, während wir bei Steuerbetrug lt Fr Brorhilker von etwa 100 Mrd reden.



    Das ist mindestens das 10.000- fache!



    Nur: Untersuchungen zu Steuerbetrug im großen Stil werden ständig von der Politik behindert, siehe Fr Brorhilker.



    Warum wohl? Ich darf meine Vermutung nicht schriftlich formulieren, denn sonst wird mein Beitrag gelöscht.

    • @Heinz Kuntze:

      Whataboutism 1. Grades.



      Ich lese/höre regelmäßig von Verhandlungen und Verurteilungen wegen Steuerhinterziehungen. bekannt werden natürlich nur die, wenn es um sogenannte Prominente wie Becker, Graf, Hoeneß oder Schuhbeck geht.



      Was sollte denn die Politik hier verhindern können?

      • @Ahnungsloser:

        Die in den Medien vorgeführten Prominenten könnten einfach auch jene sein, die man der Meute vorwirft, um zu zeigen: "Seht her: wir gehen dagegen vor!" Ich lese hier und da auch von Steuerermittlern, die zurückgepfiffen werden (oder schlimmeres). Ende der 90er war das noch was Neues, siehe



        de.wikipedia.org/w...ahnder-Aff%C3%A4re



        Ich denke, heute ist es eher schlimmer, denn die Slogans "Geiz ist geil" und "ich bin doch nicht blöd" haben sich auch bei der Steuerehrlichkeit durchgesetzt.

  • Wenn die BLÖD-Zeitung haltet den Dieb schreit war doch schon immer Skepsis angesagt. Klar professionelle Betrüger muss man nicht durchkommen lassen, aber die paar Millionen die man da, wenn überhaupt zurückholen kann, sind nichts gegen eine gut aufgestellte Truppe von Steuerfahndern und das Stopfen von Steuerschlupflöchern, da bekommt man Milliarden zusammen. ... und selbst BLÖD könnte das ausschlachten, wenn nicht dummerweise die Döpfners und Konsorten ins Visier geraten könnten.

  • Ja, mehr Sachlichkeit in der Diskussion ist dringend nötig.