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Zeit-Debatte über LinkeVerführung mit linken Avancen

Iris Berben hat linke Film- und Theaterschaffende kürzlich für ihre Identitätspolitik kritisiert und ihnen Cancel-Culture vorgeworfen. Eine Erwiderung.

Saioa Alvarez Ruiz, die einen offenen Brief an Iris Berben schreibt, bei der Verleihung des Wiener Theaterpreis „Nestroy“ 2023 Foto: Katharina Schiffl

L iebe Iris Berben, vor wenigen Tagen haben Sie in einem Interview mit der Zeit gesagt, dass Sie die „Bevormundung“ und „Genuss-Feindlichkeit“ von Linken nervt: „Was immer einem Freude macht – […] ein vielleicht unangebrachter Flirt, von Humor und Lachen gar nicht erst zu reden –, schon erhebt sich ein riesiger moralischer Zeigefinger […]“. Da ich daraus schließe, dass Sie einen guten Flirt zu schätzen wissen, möchte ich Ihnen auf diesem Wege eine Avance machen. Nicht in spaltender Absicht, sondern als Ihre Kollegin, Verbündete und Ihr Fan. Ich möchte Sie dazu verführen, durch meine Augen auf unseren Beruf der Schauspielerin zu blicken.

Iris Berben, trotz Ihrer Kritik bezeichnen Sie sich selbst als links. Damit sind wir beide linke Schauspielerinnen, die Spaß verstehen. Auch ich bin eine Verfechterin von sozialer Gerechtigkeit.

Mehr als für meine politische Haltung bin ich aber für meine Verführungskünste und mein Draufgängertum bekannt. Zum Beispiel in der Rolle des männlichen Strippers in einer Florentina-Holzinger-Inszenierung. Natürlich sind Sie, Iris Berben, um einiges bekannter als ich und spielen damit in einer anderen Liga. Ich würde Sie aber gerne davon überzeugen, dass es Kunst und Kultur als „Schutzraum […] fürs Fragenstellen, fürs Experimentewagen“, wie Sie es beschreiben, genauso auch für mich geben muss: die behinderte, lesbische, migrantische Schauspielerin.

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Bisher wurde noch keine Probe abgebrochen, weil ein*e Kol­le­g*in einen schlechten Witz über meine Körpergröße, mein Liebesleben oder meine Herkunft gemacht hat. Was ich aber erwarte, ist, dass wir solche und komplexere Situationen, die mir die Luft zum Atmen nehmen, lösen. Da fände ich es genauso toll wie Sie, wenn nicht ewig darüber diskutiert werden müsste. Schuld daran sind aber die Sturköpfe, die sich aus Prinzip alles erlauben wollen und nicht die, auf deren Kosten es geht.

Und ich bin kein Schwächling, ich bestehe zu einem beachtlichen Anteil aus Muskeln und Titan. Nur meine Psyche leider nicht. Aber wem etwas Verletzendes herausrutscht, der kann auf ein altbewährtes Rezept zurückgreifen: das eigene Schamgefühl aushalten und sich entschuldigen. Film und Theater sollten schließlich kein rücksichtsloser, verantwortungsloser Raum sein – was wir produzieren, erreicht und beeinflusst so viele Menschen.

Wieso der nichtbehinderte Schauspieler?

Sie bedauern: „Schwule sollen nur noch von Schwulen gespielt werden, Juden nur noch von Juden …“ Dies empfänden Sie als völlig kontraproduktiv für unseren Beruf. „Schauspieler sollen doch in fremde Lebenswelten eintauchen, sich in andere Figuren hineinversetzen.“ Aber es geht doch auch um das Publikum, das in Lebensrealitäten eintauchen und Verständnis entwickeln will – und dafür braucht es echte, vielschichtige Darstellungen.

Eines Tages würde ich gerne eine Filmografie wie Ihre vorweisen. Aber so wie es aktuell aussieht, wird mir das verwehrt bleiben

Ich finde es überaus produktiv, wenn Lesben von Lesben und Behinderte von Behinderten gespielt werden. Wieso sollte denn ein nichtbehinderter Schauspieler, der sich bloß zuckende Bewegungen aneignet und in einen Rollstuhl setzt, dem behinderten Schauspieler, der sein gesamtes Leben schon diese Rolle in all ihren Dimensionen einstudiert, vorgezogen werden?

Denn talentierte behinderte Schau­spie­le­r*in­nen gibt es genug, auch sie müssen ihre Miete zahlen. Und natürlich kann eine Hetero-Schauspielerin eine Lesbe spielen, passiert auch. Doch wie Sie selbst sagen: „Mittelmaß kann nicht der Weg sein.“ Deshalb werden Sie die leidenschaftliche lesbische Sexszene auch lieber mit meiner Beteiligung sehen wollen. Versprochen.

Liebe Iris Berben, eines Tages würde ich gerne eine Filmografie wie Ihre vorweisen – mit dieser Anzahl und Variation an Rollen. Aber so wie es aktuell aussieht, wird mir diese Zukunft verwehrt bleiben. Denn es ist genau, wie Sie beschreiben: Es wird nicht nur nach Talent besetzt, sondern nach „einer Liste von anderen Kriterien“ – die sich allerdings immer noch an der Normgesellschaft orientiert, insbesondere bei Hauptrollen. Deshalb heißt es wohl eher für mich als für Sie: „Gute Nacht.“

Saioa Alvarez Ruiz ist Schauspielerin und Performerin. 2023 wurde sie mit dem Nestroy-Preis in der Kategorie „Beste Schauspielerin“ ausgezeichnet.

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6 Kommentare

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  • „Wieso sollte … vorgezogen werden?“ Genau darum geht es ja (nicht). Niemand sollte vorgezogen werden. Niemand ungerecht behandelt werden. Keine(e) bevorzugt werden. Warum auch immer.

  • Mit der Argumentation dürfte sie nur behinderte, lesbische Migrantinnen spielen. Das Rollenangebot bliebe dann überschaubar.

  • So schlimm das klingt, beide haben recht!

  • Beide Briefe sind doch reichlich ausgeglichen und verbindet mehr als sie voneinander abgrenzt. Berben beklagt auch nicht den Schutzraum fürs Fragen-stellen und Experimentieren, sondern einen Tugendterror, einen Fetisch des "Rechthabens" und eine antiliberale Unversöhnlichkeit mit Meinungen, die auch nur im Detail abweichen. Dass (wir) Linken hier ein Problem haben und sich in unnützen Grabenkämpfen verzetteln kann keiner mehr bezweifeln. An Universitäten wird nicht mehr diskutiert sondern besetzt und gebrüllt, Theater sind dann besonders wenn die "Performer" queer-feministische Produkte für eine vermeintliche Elite produzieren. Die Fragen ob ich mich vegan ernähre, meine Sprache bis hinein ins Unverständliche manipuliere und ob ich mich mit orientalischem Kitsch behänge, werden so überhöht, dass es für den eigentlichen politischen Gegner ein leichtes ist die Fortschritte von 50 Jahren zurück zu drehen. Den lustfeindlichen Kulturkampf haben nicht die Rechten ausgerufen - und die Linke ist dabei ihn zu verlieren.

  • Mit einer interessenorientierten Betrachtung, die die Möglichkeiten der (friedlichen) Entfaltung anderer Menschen einschränk, ist sie doch unter den s.g. Prominenten nicht allein. Auch ein "Talkmaster" des ZDF, der die Beschreibung der Wirklichkeit einem oder zehn Taxifahrer.n überlässt, befindet sich darunter.

  • "Als Schauspieler, Mimen oder schauspielende Personen werden Akteure bezeichnet, die bestimmte künstlerische und kulturelle Praktiken beherrschen und mit Sprache, Mimik und Gestik eine Rolle verkörpern oder als (Kunst-)Figur mit dem Publikum interagieren." (Zitat aus Wikipedia)

    Wenn ein Schauspieler also eine Rolle verkörpern kann, dann ist er gut in seinem Beruf, er soll das tun, mit "dürfen" hat das absolut gar nichts zu tun, es geht um "können".

    Was gut ist, entscheiden die Adressaten, das Publikum, die Zuschauer. Für sie für der ganze Tanz aufgeführt, sie zahlen dafür.

    Auch Sie "durften". Sie haben den ersten lesbischen Papst im 2:45h Musikdrama "Sancta" dargestellt, Regie Florentina Holzinger. Hätte man sie stattdessen hinauswerfen sollen, weil sie kein Papst sind, kein Papst die Rolle spielte? Warum heisst es wohl "Schau-Spieler?