Zeit-Debatte über Linke: Verführung mit linken Avancen
Iris Berben hat linke Film- und Theaterschaffende kürzlich für ihre Identitätspolitik kritisiert und ihnen Cancel-Culture vorgeworfen. Eine Erwiderung.

L iebe Iris Berben, vor wenigen Tagen haben Sie in einem Interview mit der Zeit gesagt, dass Sie die „Bevormundung“ und „Genuss-Feindlichkeit“ von Linken nervt: „Was immer einem Freude macht – […] ein vielleicht unangebrachter Flirt, von Humor und Lachen gar nicht erst zu reden –, schon erhebt sich ein riesiger moralischer Zeigefinger […]“. Da ich daraus schließe, dass Sie einen guten Flirt zu schätzen wissen, möchte ich Ihnen auf diesem Wege eine Avance machen. Nicht in spaltender Absicht, sondern als Ihre Kollegin, Verbündete und Ihr Fan. Ich möchte Sie dazu verführen, durch meine Augen auf unseren Beruf der Schauspielerin zu blicken.
Iris Berben, trotz Ihrer Kritik bezeichnen Sie sich selbst als links. Damit sind wir beide linke Schauspielerinnen, die Spaß verstehen. Auch ich bin eine Verfechterin von sozialer Gerechtigkeit.
Mehr als für meine politische Haltung bin ich aber für meine Verführungskünste und mein Draufgängertum bekannt. Zum Beispiel in der Rolle des männlichen Strippers in einer Florentina-Holzinger-Inszenierung. Natürlich sind Sie, Iris Berben, um einiges bekannter als ich und spielen damit in einer anderen Liga. Ich würde Sie aber gerne davon überzeugen, dass es Kunst und Kultur als „Schutzraum […] fürs Fragenstellen, fürs Experimentewagen“, wie Sie es beschreiben, genauso auch für mich geben muss: die behinderte, lesbische, migrantische Schauspielerin.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Bisher wurde noch keine Probe abgebrochen, weil ein*e Kolleg*in einen schlechten Witz über meine Körpergröße, mein Liebesleben oder meine Herkunft gemacht hat. Was ich aber erwarte, ist, dass wir solche und komplexere Situationen, die mir die Luft zum Atmen nehmen, lösen. Da fände ich es genauso toll wie Sie, wenn nicht ewig darüber diskutiert werden müsste. Schuld daran sind aber die Sturköpfe, die sich aus Prinzip alles erlauben wollen und nicht die, auf deren Kosten es geht.
Und ich bin kein Schwächling, ich bestehe zu einem beachtlichen Anteil aus Muskeln und Titan. Nur meine Psyche leider nicht. Aber wem etwas Verletzendes herausrutscht, der kann auf ein altbewährtes Rezept zurückgreifen: das eigene Schamgefühl aushalten und sich entschuldigen. Film und Theater sollten schließlich kein rücksichtsloser, verantwortungsloser Raum sein – was wir produzieren, erreicht und beeinflusst so viele Menschen.
Wieso der nichtbehinderte Schauspieler?
Sie bedauern: „Schwule sollen nur noch von Schwulen gespielt werden, Juden nur noch von Juden …“ Dies empfänden Sie als völlig kontraproduktiv für unseren Beruf. „Schauspieler sollen doch in fremde Lebenswelten eintauchen, sich in andere Figuren hineinversetzen.“ Aber es geht doch auch um das Publikum, das in Lebensrealitäten eintauchen und Verständnis entwickeln will – und dafür braucht es echte, vielschichtige Darstellungen.
Ich finde es überaus produktiv, wenn Lesben von Lesben und Behinderte von Behinderten gespielt werden. Wieso sollte denn ein nichtbehinderter Schauspieler, der sich bloß zuckende Bewegungen aneignet und in einen Rollstuhl setzt, dem behinderten Schauspieler, der sein gesamtes Leben schon diese Rolle in all ihren Dimensionen einstudiert, vorgezogen werden?
Denn talentierte behinderte Schauspieler*innen gibt es genug, auch sie müssen ihre Miete zahlen. Und natürlich kann eine Hetero-Schauspielerin eine Lesbe spielen, passiert auch. Doch wie Sie selbst sagen: „Mittelmaß kann nicht der Weg sein.“ Deshalb werden Sie die leidenschaftliche lesbische Sexszene auch lieber mit meiner Beteiligung sehen wollen. Versprochen.
Liebe Iris Berben, eines Tages würde ich gerne eine Filmografie wie Ihre vorweisen – mit dieser Anzahl und Variation an Rollen. Aber so wie es aktuell aussieht, wird mir diese Zukunft verwehrt bleiben. Denn es ist genau, wie Sie beschreiben: Es wird nicht nur nach Talent besetzt, sondern nach „einer Liste von anderen Kriterien“ – die sich allerdings immer noch an der Normgesellschaft orientiert, insbesondere bei Hauptrollen. Deshalb heißt es wohl eher für mich als für Sie: „Gute Nacht.“
Saioa Alvarez Ruiz ist Schauspielerin und Performerin. 2023 wurde sie mit dem Nestroy-Preis in der Kategorie „Beste Schauspielerin“ ausgezeichnet.
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