„Zeit Online“-Chef über gute Nachrichten: „Gutes erscheint uns langweilig“

Wer die „Zeit Online“-App hat, bekommt jetzt täglich eine positive Nachricht aufs Smartphone – als Ausgleich zum Strom schlimmer Meldungen.

GNT-Juror Bruce Darnell umarmt ein kleines Mädchen

Umarmungen sind etwas schönes – aber taugen sie zur Nachricht? Foto: ap

taz: Seit heute bekommen UserInnen der Zeit-Online-App jeden Tag eine positive Nachricht direkt auf ihr Smartphone gepusht. Wie kam es zu der Idee?

Jochen Wegner: Durch die sich überschlagenden schlimmen Lagen der vergangenen Wochen haben wir viel über Nachrichtenproduktion und -rezeption nachgedacht, auch darüber, was Menschen motiviert, Nachrichten zu lesen. Ganz allgemein wird an digitalen Medien kritisiert, dass die Berichterstattung etwas Atemloses hat und schlechte Nachricht auf schlechte Nachricht folgt.

Dabei wird die Welt objektiv besser: Die Armut nimmt weltweit ab, der Analphabetismus geht zurück, die Kindersterblichkeit sinkt, die Lebenserwartung steigt, es gab noch nie so wenige Kriegsopfer. Unser subjektiver Eindruck aber ist anders, und das liegt auch an unserer Berichterstattung. Wir wollen nun ausprobieren, was passiert, wenn wir auch mal gute Nachrichten als Eilmeldung pushen. Die Erkenntnis der ersten vierundzwanzig Stunden ist: Gute Nachrichten sind in unserem ohnehin geplanten Programm derzeit gar nicht so einfach zu finden. Wir müssen uns da richtig anstrengen.

Wie lange soll das Experiment laufen?

Das steht noch nicht fest, wir schauen mal, wie es angenommen wird. Bisher ist das Feedback sehr positiv, auch, weil wir ironisch damit gespielt haben. Unsere erste Push-Nachricht verwies auf ein Video, in dem eine Einwanderin zu Deutschen befragt wird und sich darüber freut, dass die sich zur Begrüßung so herzlich umarmen. Die „Eilmeldung“ dazu war: „Welt erneut besser geworden: Deutsche sind nett und umarmen sich zur Begrüßung“.

Kommen sich die User nicht veräppelt vor, wenn sie so etwas täglich lesen?

Unsere User sind spielfreudig und geistig beweglich. Wir haben schon vorher oft irritierende Inhalte gepusht und festgestellt, dass die Leser das lieben. Wir wollen aber nicht die ganze Zeit auf der lustig-ironischen Ebene bleiben. Unsere nächsten positiven Meldungen werden seriöser sein.

Jochen Wegner (46) ist Chefredakteur von Zeit Online, dem Netzableger der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit

Gibt es bei Zeit-Online jetzt zuständige RedakteurInnen für gute Nachrichten?

Nein, das Privileg wollten wir so breit wie möglich verteilen. Wir haben einen internen Chatraum eingerichtet, den wir „Weltverbesserung“ genannt haben, darin sammeln mehrere Dutzend Kollegen Ideen, positive Meldungen und Artikel.

Warum wollen Sie unbedingt das Positive herausstellen? Warum akzeptieren Sie nicht einfach Ihre Rolle als Überbringer schlechter Nachrichten?

Das ist ja nun nicht unsere gottgegebene Rolle. Wir nehmen uns auch nicht aktiv vor, schlechte Nachrichten zu produzieren. Aber vielleicht sind Journalisten durch ihre Ausbildung so geprägt, vielleicht erscheint uns Gutes langweilig, wir suchen lieber nach Missständen. Und auch die Leser sind darauf trainiert, Schlechtes interessanter zu finden – zumindest denken wir das, vielleicht ist es ein veraltetes Klischee. Das heißt, man muss sich dazu zwingen, auch mal positive Entwicklungen aufzugreifen und eilig zu verbreiten.

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