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ZeitreiseNach eigenen Wünschen durch die Traumwelt wandern

Ein Freund aus der Zukunft zeigt unserer Kolumnistin, wie man Träume streamt. Dabei braucht es kaum eigene Fantasie, sondern das richtige Abo an.

„Wir Menschen verbringen ein Drittel unseres Lebens mit Schlafen. Und einen Gutteil dieser Zeit mit Träumen.“ Foto: Oliver Jäckel/plainpicture

A rschkalter Wind, Finsternis schon am Nachmittag und glitschiges Laub auf der Straße, das meinen nächsten Fahrradunfall plant – ich kann den Herbst nicht ausstehen!

Aber mein zeitreisender Freund Felix ist da anderer Meinung. Als er mich mal wieder aus seinem Heimatjahr 2125 besucht, überredet er mich zu einem Herbstspaziergang zwischen goldenen Sonnenstrahlen und knallbunten Baumwipfeln. Und ich muss zugeben: Schöner kann es auch in 100 Jahren nicht sein.

Felix schlendert gut gelaunt neben mir, pfeift vor sich hin, summt dann die Melodie, schüttelt belustigt den Kopf und verstummt, nur um eine Minute später wieder die gleiche Tonfolge zu brummen.

„Was ist das?“, frage ich.

„Ach, ein schrecklicher Ohrwurm, den ich einfach nicht aus dem Kopf kriege: ‚Quantum Bangle‘ – brillant und blumig, ‚Quantum Bangle‘ von Xing Fu Dao!“

„Virales Video oder Chart-Hit?“, fragte ich.

„Nein, das ist die Werbung für einen smarten Armreifen, die ich seit Tagen nach dem Einschlafen höre.“

„Du meinst vor dem Einschlafen.“

Die natürlichen Träume sind meist ein ziemliches Chaos
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„Nein, danach. Bevor das Traumprogramm startet. Ich will nicht so viel für das Premiumabo bezahlen, also nehme ich das werbefinanzierte.“

Ich bleibe irritiert stehen. „Das musst du mir jetzt erklären.“

„Wir Menschen verbringen ein Drittel unseres Lebens mit Schlafen. Und einen Gutteil dieser Zeit mit Träumen. Aber seien wir mal ehrlich: Die natürlichen Träume sind meist ein ziemliches Chaos mit unverständlichem Kram oder Albträumen, an die man sich schon kurz nach dem Aufwachen nicht mehr erinnert.“

Und was hast du heute Nacht gemacht? Die Welt gerettet?

„Ich habe das Gefühl, meine Träume funktionieren so, wie eine KI Bilder erstellt … irgendwie hat das Ganze ein Thema, aber der verantwortliche Creative Art Director hat echt keine Ahnung, was er tut.“

„Genau. Deshalb gibt es bei uns Traumdesigner, die qualitativ hochwertige Träume herstellen. Fantastische Abenteuer, Treffen mit Filmstars, erotische Eskapaden und dazu natürlich jede Menge Bildungsprogramm: Sprachen, Mathematik, Geschichte. Die Auswahl ist gigantisch.“

„Aber ich dachte, wir träumen, damit sich unser Gehirn ausruhen und regenerieren kann.“

„Ja, aber eine Wunde heilt auch besser, wenn man sie näht und ein Bruch, wenn man ihn schient. Warum sollte man das Hirn beim Erinnerungsmanagement alleine lassen? Bei uns kannst du dein Gehirn mit einer speziellen Traumdefragmentierungsmütze so stimulieren, dass es die Eindrücke des Tages erst ordentlich wegerinnert, und du dann im erholsamen REM-Schlaf die kuratierten Träume erlebst. Und das Beste: Die Traumerinnerungen werden genauso gespeichert wie bewusste Erlebnisse. Das heißt, du hast nach einer Nacht, in der du von sieben Tagen Skiabenteuer mit Bigfoot geträumt hast, wirklich das Gefühl, eine Woche Urlaub verbracht zu haben. Im Grunde können wir damit unsere gefühlte Lebenszeit um ein Vielfaches verlängern und gefahrlos und ressourcensparend die waghalsigsten Abenteuer erleben.“

„Das ist ja fantastisch! Und was hast du heute Nacht gemacht? Die Welt gerettet?“

„Nein, das mache ich immer nur am Wochenende. Heute hab ich historische Tänze der Postmoderne gelernt.“

„Bitte was?“

„Im Ententanz und Macarena bin ich schon ganz gut, aber der Gangnam Style geht mit Traumkörper doch leichter als in echt.“

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Theresa Hannig
Autorin/Kolumnistin
Theresa Hannig studierte Politikwissenschaft, Philosophie und VWL und arbeitete als Softwareentwicklerin, bevor sie sich hauptberuflich dem Schreiben zuwandte. Ihr Schaffen erstreckt sich über zahlreiche Romane, Kurzgeschichten, Sach- und Theatertexte und eine Kolumne in der taz. Dabei beschäftigt sie sich vor allem mit der Zukunft unserer Gesellschaft in Hinblick auf Kapitalismus, KI und Klimawandel. Seit 2021 ist sie Grünen-Stadträtin in Fürstenfeldbruck. Zuletzt erschien ihr Essayband "Über Morgen. Geschichten aus einer besseren Zukunft" im Hirnkost Verlag.
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