Zeitung lässt nachsitzen: Leiharbeit beendet - Ausbeutung bleibt

Die Oldenburger "Nordwest-Zeitung" offeriert hauseigenen Leiharbeitern jetzt Arbeitsverträge - an der Ungleichbehandlung in der Belegschaft ändert sich dadurch wenig. Streikende zur "Strafarbeit" verdonnert.

Kampf um gleichen Lohn für gleiche Arbeit: Streikposten vor dem Oldenburger Pressehaus. Bild: Maik Nolte

Eigentlich klingt es nach einem spektakulären Erfolg der Belegschaft: Die in Oldenburg erscheinende Nordwest-Zeitung (NWZ) rückt von der seit Jahren praktizierten Leiharbeit im eigenen Hause ab und bietet jenen rund 80 Redakteuren, Volontären und Verlagsangestellten, die bislang über eine Tochterfirma beschäftigt waren, eigene Arbeitsverträge an. Sie erfüllt damit eine langjährige Forderung der Arbeitnehmervertreter. Dennoch herrscht bei ihnen nicht nur Jubelstimmung – denn die von ihnen angeprangerte „Zweiklassengesellschaft“ bleibt bestehen.

Die übernommenen Ex-Zeitarbeiter werden künftig zwar besser entlohnt, bleiben aber deutlich schlechter gestellt als ihre alteingesessenen Kollegen, die für dieselbe Arbeit noch nach geltendem Tarif bezahlt werden. Diese Zweigleisigkeit ist möglich, weil sich der Verlag im Sommer 2011 aus der Flächentarifbindung der Branche gelöst hatte. Seitdem kämpfen die Mitarbeiter um einen Haustarif.

Der seit einem Jahr schwelende Arbeitskampf fand bislang wenig öffentliche Aufmerksamkeit; die Verlagsleitung gibt sich nach außen zugeknöpft. Dabei geht es um Themen, die an Grundfragen der Branche rütteln: Zeitarbeit, Tarifumgehung, Arbeitsbedingungen. Zwar ist die Nordwest-Zeitung längst nicht das einzige Blatt, das Teile der Belegschaft untertariflich entlohnt – der Deutsche Journalistenverband (DJV) listet auf seinen Internetseiten knapp 50 solcher Medienhäuser auf. Was allerdings die Zeitarbeit betrifft, schritt die NWZ schon sehr früh voran.

Als eines der ersten Unternehmen der Branche hatte der Verlag 2004 die neuen Möglichkeiten genutzt, die die rot-grüne Bundesregierung dem Sektor der Arbeitnehmerüberlassung eingeräumt hatte, und mit der „Nordwest-Personaldienstleistungsgesellschaft“ (NWP) eine eigene Zeitarbeitsfirma gegründet, die Redaktions und Verlagsbeschäftigte an den Mutterkonzern verlieh. Um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, teilte sich die NWZ die Leihfirma mit den Verlagshäusern der Ostfriesen-Zeitung, der Wilhelmshavener Zeitung und des Bremer Weser-Kuriers. Bis zu 500 Euro weniger im Monat als ihre alteingesessenen Kollegen hätten die „NWPler“, wie die Leiharbeiter im Pressehaus genannt wurden, für die gleiche Arbeit verdient, rechnete der Betriebsratsvorsitzende Ulrich Janßen vor.

Die interne Ungleichbehandlung der Beschäftigten ist seit langem ein Thema im Pressehaus. Vor einem Jahr, nach der Aufkündigung der Tarifbindung, begannen die Mitarbeiter, ihren Protest in die Öffentlichkeit zu tragen. Es kam zu Aktionen und Warnstreiks; mehrfach demonstrierten sie in der Oldenburger Innenstadt. Nicht wenige Passanten hätten sich überrascht über die Zustände bei der Zeitung gezeigt, berichten Demonstrationsteilnehmer.

Verwunderlich ist das nicht: Die Nordwest-Zeitung ist die einzige Tageszeitung in der Stadt, und das Thema hatte in der Berichterstattung keine Rolle gespielt – nicht einmal, als die Chefredaktion ein Interview mit dem zur Unterstützung der Belegschaft angereisten Ver.di-Chef Frank Bsirske brachte. Die Chefredaktion habe ihm gesagt, der Arbeitskampf im eigenen Hause sei „nicht von Interesse für die breitere Öffentlichkeit“, berichtete Bsirske.

Der Konflikt trieb mitunter noch bizarrere Blüten. An einem eintägigen Warnstreik Ende Mai hatten auch Leiharbeiter teilgenommen. Kurz darauf bekamen sie per Email und SMS eine ungewöhnliche Benachrichtigung von der NWP: Am folgenden Tag – dem Pfingstsamstag, an dem nahezu jeder Journalist normalerweise freigehabt hätte – sollten sie sich zur Arbeit bei anderen, ihnen unbekannten Adressen einfinden.

„Klingeln Sie dort an der Tür“, hieß es lapidar. Manche wurden in der Redaktion eines lokalen Anzeigenblatts eingesetzt, andere gar ins mehr als 60 Kilometer entfernte Emden geschickt, um dort für einen Tag bei der Ostfriesen-Zeitung zu arbeiten. „Zur Strafarbeit verdonnert“, nannte es der Betriebsrat.

Später hatte der Verlag angeboten, das Gehalt um 200 Euro zu erhöhen. Diese Erhöhung wird bei der Übernahme der NWPler jetzt umgesetzt, außerdem gibt es eine Staffelung nach Betriebszugehörigkeitsdauer. „Der Abstand zum Tariflohn beträgt ja immer noch 300 Euro“, sagt Janßen; ebenso fehlten Zusagen zu einer regelmäßigen Anpassung des Lohns.

Im Mai ist die vierte Verhandlungsrunde zwischen Geschäftsführung und Arbeitnehmervertretern über einen Haustarif, der das regeln könnte, geplatzt. Von Seiten der NWZ-Geschäftsführung ist keine Stellungnahme zu bekommen.

Für die Gewerkschaften ist die festgefahrene Situation nicht einfacher geworden – ihr öffentlichkeitswirksamstes Argument, das mit der Leiharbeit, ist ihnen abhanden gekommen. Und ausgerechnet jene Beschäftigten, die unter der Ungleichbehandlung zu leiden haben, ziehen nicht mehr mit. Ein NWPler, der aus Angst vor Konsequenzen ungenannt bleiben möchte, berichtet von einem Gespräch mit der Geschäftsführung, dass diese habe durchklingen lassen, dass sie von den Leiharbeitern bei Annahme des Vertragsangebots einen Verzicht auf weitere Beteiligung am Arbeitskampf erwarte.

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