Zeitungsdesigner über neue Vertriebswege: "Die bequemen Zeiten sind vorbei"

Zeitungsdesigner Lukas Kircher über den App-Boom bei den Medienkonzernen und die Frage, wie sich klassische Verlage im Tablet- und Smartphone-Geschäft derzeit schlagen.

Apps für alles. Sogar eine Polizei-App gibt es. Bild: dpa

taz.de: Herr Kircher, eigentlich sind Sie ja klassischer Zeitungsdesigner. War es da schwer für Sie, jetzt voll auf das App-Geschäft umzusteigen, wie es Ihre Agentur KircherBurkhardt derzeit zu tun scheint?

Lukas Kircher: Es war eine willkommene Gelegenheit, sich wieder weiter zu entwickeln. Das hatten wir vor 5 Jahren schon einmal, als wir mit dem Konzipieren und Designen von journalistischen Webauftritten begannen. Das App-Geschäft wächst zwar stetig, ist aber nach wie vor nur ein Teil unserer Aktivitäten. Wir sind inzwischen 150 Leute. Wir entwickeln, designen, programmieren Formate für alle denkbaren Medien. Tablets sind aber definitiv die besten Devices für Inhalte, die ich je gesehen habe.

Bleibt Zeitungsdesign ein Geschäft?

Lukas Kircher, 1971 geboren in Klagenfurt, gehört zu den bekanntesten Zeitungsdesignern Europas. In Deutschland war er unter anderem am Redesign der "Berliner Zeitung", des "Tagesspiegel", dem Design der "Welt Kompakt" und dem Redesign der "taz" beteiligt. Seine Agentur KircherBurkhard expandiert derzeit verstärkt in das App-Geschäft mit Tablets und Smartphones.

Klar. Mann muss einfach den Begriff dehnen. Eine Zeitung gibt es gedruckt, am Handy, am Arbeitsplatz auf dem Computer, auf Tablets. Die Herausforderung ist die gleiche: Inhalte möglichst interessant inszenieren. Dem Leser das Gefühl geben, da steht in allen Kanälen eine fantastische Redaktion dahinter. Viele Aufgaben sind bei uns dazu gekommen. Redaktionstechnik. Redaktionelles Marketing. Business Developement für Verlage. Weiterentwicklung der Angebote für Werbekunden. Aber am Ende geht es um Journalismus.

Wenn man sich die Apps großer deutscher Medienmarken ansieht, sei es nun die vom "Spiegel", die von der "Welt" oder die der taz, fallen große Unterschiede auf, was Aufmachung, Interaktivität und dergleichen anbelangt. Was raten Sie Verlagen, wie Sie am besten einsteigen? Eher printlastig sein oder voll multimedial?

Ich rate dazu, mal die Perspektive des Lesers einzunehmen. Das ist manchmal gar nicht so selbstverständlich, oft geht es nur darum, irgendwie am Tablet präsent zu sein. Apps vervollständigen und verbessern das bestehende mediale Angebot. Wenn etwa die Frau Abends auf dem Sofa Tatort schaut, kann der Mann neben ihr die neueste Ausgabe seines Wissensmagazins herunterladen, ein paar Mails checken und gleichzeitig nachschauen, wie der türkische Fernseh-Kommissar heißt, den die Gattin so toll findet. Daraus entstehen dann Produktideen. Was wir aber beobachten: Viele Leser sind sehr interessiert an ihrer Zeitung, genau so wie sie ist. Viele Nicht-Leser erwarten das multimediale Bonanza, das das Tablet verspricht. Beides sind Chancen.

Wie finden Sie selbst das aktuelle App-Angebot der deutschen Medien?

Tja, viele Angebote fehlen einfach noch. Liegt auch an der technischen Reichweite - es gibt noch zu wenig Tablets in Deutschland. Die wirklich innovativen Ansätze kommen derzeit eher aus England und den USA. Meine Favorites sind zur Zeit "Eureka", ein grandioses Wissenschaftsmagazin der "Times" in London, das "Wall Street Journal", weil es selbst am iPad so herrlich nach Druckerschwärze riecht, und "Flipbook", ein unglaublich komfortabler RSS Reader, der wie eine Zeitung funktioniert. Sie werden aber sehen: Vor allem die kaufmännischen Potenziale des iPad werden nicht ausreichend genutzt. Das Konzert im Event-Kalender oder das Wochenend-Angebot sollten aus der App heraus gebucht, der Rabatt-Gutschein sofort im Laden nebenan eingelöst werden können. Da muss sich der Anzeigenverkauf in eine viel facettenreichere Kommunikationsdienstleistung verwandeln, bevor sich die Leser langfristig vom Mehrwert des Angebots überzeugen lassen.

Sind die USA weiter? Da gibt es ja etwa mit "The Daily" eine erste iPad-only-Zeitung, die allerdings technisch viel Kritik einstecken musste, Experten erscheint sie noch nicht gut genug.

Die Amerikaner haben natürlich in den Innovationsmedien einen gewissen Vorsprung. Das ist aber in erster Linie eine Mentalitätsfrage. Deutschland ist das Land der Ingenieure und der langen Entwicklungsphasen. Deutschland tickt anders. Hier setzt man eher auf Kontinuität und übernimmt Innovationen erst dann, wenn sie sich in einem vergleichbaren Umfeld woanders bewährt haben. Falls "The Daily" ein Erfolg wird, könnten schon in sechs bis zwölf Monaten erste deutsche Verlage nachziehen.

Es gibt Kritiker, die meinen, Zeitungs-Apps seien nicht viel mehr als ein Hype.

Klar. Das haben die Menschen auch zum ersten Automobil gesagt, und gemeint, dass Pferde immer die bessere Wahl bleiben werden. Eine diskursive Überhitzung ist aber bei der Einführung neuer Technologien immer wieder zu beobachten. Die enorme Erwartungsblase rund um das iPad wird deshalb gerade in den Verlagshäusern kurzfristig auch zu Enttäuschungen führen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich Tablets als neue Medienträger durchsetzen.

Aber Aussagen, ob sich das Geschäft lohnt, lassen sich noch nicht treffen?

Doch. Im Augenblick lohnt es sich noch nicht. Außer beim "Spiegel", ich glaube, der rechnet sich fast schon. Apps sind aber intern in ihrer Funktion als Innovationstreiber und extern als Pulsmesser an der Leserschaft jetzt schon mehr als lohnend. Und: Die Dinger werden definitiv die Computer der Zukunft. Also müssen wir Wege finden, Leser und Anzeigenkunden auf Tablets zu binden.

Wenn man sich die momentan am weitesten fortgeschrittenen Plattformen betrachtet, iPhone und iPad, kann man erkennen, dass es die unterschiedlichsten App-Ansätze gibt. Die Nutzer müssen sich praktisch in jede neue Medienanwendung einarbeiten. Könnte man hier Standards finden, die jeder versteht?

Das Problem ist, dass sich mit der Fortentwicklung des journalistischen Raums, im Vergleich zur Zeitung oder zum Fernsehen auch die Navigationsmöglichkeiten vervielfältigen. Eine App bietet potenziell Bewegungen und Sprünge in jegliche Richtung, und den Entwicklern steht grundsätzlich frei, wie sie die Leserführung umsetzen möchten. Wir brauchen vor allem selbsterklärende Produkte, die man intuitiv nutzen kann. Ich nenne das "Oma-sicher designen". Ich finde, Spiele haben das auch geschafft. Wir schaffen das auch im Journalismus. Ob man dafür gleich wieder so eine Art iPad Zeitungs-ISO-Norm einführen muss, weiß ich nicht.

Stichwort iPhone und iPad - hier kontrolliert bekanntlich Apple sein Terrain, will bis spätestens Sommer jeweils 30 Prozent von allen Inhalteverkäufen sehen. Wie reagiert darauf Ihre Kundschaft? Welche Gegenstrategien werden hier entwickelt?

Es gibt schlicht und einfach zur Zeit kaum mögliche Gegenstrategien. Unser Rat ist immer: Erst mal tolle Angebote konzipieren, die wirklich genutzt werden. Android-Tablets sind noch kein Markt. Die einzige Umgehungstrategie ist eine Webplattform unter HTML5, da ist aber das Bezahlen umständlich und die Umsetzung "ruckelt" noch ganz schön. Das ist aber für mich zur Zeit der interessanteste Weg, weil er zukunftssicher ist, und weil er flexibel auf die zu befürchtenden unterschiedlichen Screengrößen der nächsten Tablets und Smartphones reagieren kann.

Apple gibt sich allerdings teils kundenfreundlicher als die Verlage. So will das Unternehmen etwa Adressdaten nur dann rausrücken, wenn man diese explizit freigibt. Die Verlage wiederum wollen die Daten, um besseres Marketing betreiben zu können.

Tja, das ist restriktiv für die Verlage. Dann muss man eben umdenken: Wie verführe ich die Leser, mir trotzdem ihre Daten zu geben. Verlage müssen sowieso im Marketing umdenken. Die alten bequemen Zeiten sind definitiv vorbei.

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