Zeltunterkunft für Geflüchtete in Bremen: Bremens unsichtbare Jugendliche

In der Bremer Gottlieb-Daimler-Straße leben junge Geflüchtete nach wie vor in Zeltunterkünften. Ein Aktionsbündnis will dies nun beenden.

Ein junger Mann geht über ein Gelände mit mehreren befestigten Großraum-Zelten.

Leben in der Isolation: Die Zeltunterkunft in der Bremer Gottlieb-Daimler-Straße Foto: Kathrin Doepner

BREMEN taz | Das rechte Brillenglas von Jamaal* hat Risse, als ob jemand darauf getreten wäre. „Ich habe große Probleme mit meinem Auge“, sagt er. Ein Arzt habe ihm gesagt, dass er eine neue Brille brauche. Ein Glas würde weit über hundert Euro kosten, das kann sich der 17-jährige Jamaal, der aus Gambia nach Bremen gekommen ist, jedoch nicht leisten.

Probleme bei der medizinischen Versorgung ist nur einer von vielen Missständen in der Zeltunterkunft in der Gottlieb-Daimler Straße im Bremer Stadtteil Oslebshausen. Hinzu kommen vor allem die unsichere Perspektive und die psychische Situation der Jugendlichen. Nun hat sich ein Aktionsbündnis formiert, um den jungen Bewohnern bei der Schließung des Camps und der Suche nach Alternativen zu helfen.

„Raus aus der gemachten Isolation im Camp, rein in die Sichtbarkeit der Stadt“ ist dabei das Ziel, zu dessen Erreichen in nächster Zeit unterschiedliche Aktionen geplant werden sollen. „Die Menschen sollen sehen, was für rund hundert Jugendliche derzeit und zahlreichen anderen, die ihnen vorausgegangen sind, Realität in Bremen ist“, sagt Gundula Oerter, Vertreterin des Flüchtlingsrats. Die Anfrage des Flüchtlingsrates bei der Sozialsenatorin Anja Stahmann von den Grünen, bezüglich der schlechten Situation im Camp, wurde nicht beantwortet.

Das erste Treffen des Aktionsbündnisses ist gut besucht. Rund 50 Leute aus der Gottlieb-Daimler-Straße sind gekommen. Die wichtigste Forderung des Bündnisses ist die Schließung des Camps und die Unterbringung der Jugendlichen in festen Häusern. Wichtig sei außerdem anstelle eines drohenden Transfers in Drittstaaten oder sogar die Herkunftsländer, der Aufbau von Perspektiven in Bremen.

Lange Gerichtsverfahren

Die Jugendlichen in der Gottlieb-Daimler-Straße haben Widerspruch gegen die Altersfestsetzung des Jugendamtes eingelegt. Zu Beginn des Treffens werden von einer Mitarbeiterin des Flüchtlingsrats die rechtlichen Dinge erklärt: Das Alter wird vom Jugendamt anhand eines Interviews geschätzt. In Bremen würden auch immer mehr medizinische Tests wie etwa das Röntgen des Kiefers durchgeführt, obwohl viele Ärzte der Meinung seien, dass auch dies keineswegs eine exakte Methode ist.

Das Gerichtsverfahren, um gegen diese Altersfestsetzung zu klagen, dauere oft mehrere Monate, sagt Oerter. In dieser Zeit schicke die Stadt die Jugendlichen in die Gottlieb-Daimler-Straße. Entscheide das Gericht positiv, muss die Person in das Jugendhilfsprogramm aufgenommen werden. Bei einer negativen Entscheidung droht eine Umverteilung in andere Städte, Länder oder gar Staaten.

„In diesen Interviews entscheiden sie über deine Zukunft“, sagt einer der Jugendlichen. „Aber was wir sagen, wird nicht anerkannt.“ Es mache den Eindruck, dass die Jugendlichen dafür bestraft würden, dass sie diese willkürliche Altersfestsetzung nicht akzeptierten, sagt ein Teilnehmer während des Treffens.

Erneute psychische Belastung

Oerter schätzt, dass 50 bis 80 Prozent der Jugendlichen das gleiche Geburtsdatum haben: den 31.12.1995, mit dem sie deutlich als volljährig eingestuft werden. Zu der schlimmen Wohnsituation in der Gottlieb-Daimler-Straße kommen außerdem die durch Flucht und Verfolgung hervorgerufene psychische Situation. „Alle dort waren bereits vorher traumatisiert und jetzt erneut in einem Zustand, der psychisch enorm belastet“, sagt Oerter, die die Jugendlichen bereits seit zwei Jahren begleitet.

Amir*, der seit vier Monaten im Camp lebt, erzählt, dass seine Eltern vor seinen Augen erschossen wurden. Er ist mit Schussverletzungen nach Bremen gekommen. Viele in der Unterkunft seien krank, sagt er. Nasenbluten nach dem Aufwachen, verursacht durch die schlechte Luft der Heizungsanlagen, sei keine Seltenheit.

Viele der Jugendlichen haben das Gefühl, dass ihnen von den Behörden mutwillig ihre Zukunft verbaut wird. „Es ist, als ob wir überhaupt nicht im System sind“, sagt Amir. „Aber wir sind motiviert, wir möchten weiterkommen“, ergänzt ein anderer Bewohner.

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