Zentralafrikanische Republik: Bangui, Stunde null

Der Umsturz in der Zentralafrikanischen Republik hinterlässt einen Staat in Trümmern. Ein Blick hinter die Kulissen einer Revolution.

Endpunkt oder Neuanfang? Im Außenministerium der Zentralafrikanischen Republik Bild: Simone Schlindwein

BANGUI taz | Honoré Nzessiwe lässt vor Schreck die Aktentasche fallen. Sie plumpst auf die paar zersplitterten Fliesen, die in seinem Büro im Außenministerium der Zentralafrikanischen Republik noch übrig sind. „Ach du meine Güte!“, ruft Nzessiwe.

Es ist das erste Mal, dass der diplomatische Berater sein Büro betritt, seit die Seleka-Allianz die Macht übernommen hat. Wochenlang zogen die Rebellen plündernd durch die Hauptstadt Bangui. Wochenlang verkroch sich Nzessiwe zu Hause. Wochenlang hat er nicht gewusst, ob er seinen Job behält.

Jetzt aber hat der Rebellenführer und neue Präsident Michel Djotodia die Staatsdiener an ihre Arbeitsplätze zurückbeordert – oder was davon übrig ist: Drei silberne Büroklammern liegen noch auf Nzessiwes Schreibtisch. Sonst nichts. Computer, Telefon, Lampen, Aktenordner, alles weg. Selbst Steckdosen und Lichtschalter sind verschwunden.

Die Zentralafrikanische Republik wurde 1960 von Frankreich unabhängig, hatte aber keine Verkehrswege nach außen und keine Regierungskapazitäten. Das Land blieb faktisch weiter von Paris abhängig. Bis in die 1990er Jahre war die Zentralafrikanische Republik Drehscheibe französischer Militärinterventionen. Der erste freigewählte Präsident Ange-Félix Patassé wurde 2003 von seinem Armeechef François Bozizé gestürzt. Als der nach seiner umstrittenen Wiederwahl 2011 immer mehr Angehörige in hohe Ämter bugsierte, regte sich breiter Protest.

Seleka bedeutet in der lokalen Sprache Sango „Allianz“. Es ist ein Zusammenschluss dreier Rebellengruppen aus dem Norden, die im Dezember 2012 gemeinsam gegen Bozizé zu den Waffen griffen. Das Friedensabkommen vom Januar 2013 hielt nicht. Als die Seleka-Kämpfer auf Bangui vorrückten, rief Bozizé in Nachbarländern, Frankreich und Südafrika um Hilfe. Doch die französischen Soldaten riegelten nur ihre Botschaft ab, die Südafrikaner wurden von Seleka geschlagen. Am 24. März marschierte Seleka in Bangui ein, Bozizé floh nach Kamerun.

Unter Nzessiwes Schuhsohlen klirren zersplitterte Reste von Bodenfliesen, als er den Korridor entlanggeht. Das Türschloss zum Rechenzentrum wurde mit einem gezielten Schuss gesprengt, die Serveranlagen sind verschwunden – und mit ihnen alle Daten des Ministeriums. Handschriftliche Reisepassanträge für Diplomaten und die Passfotos dazu schwimmen draußen im Gartenteich.

Warum dieser Putsch anders ist

Den Umsturz im Herzen Afrikas am 24. März hat die Welt fast nicht zur Kenntnis genommen. Warum auch? Seit der Unabhängigkeit der Zentralafrikanischen Republik von Frankreich 1960 stürzen hier Machthaber regelmäßig, entweder durch Palastrevolution oder Putsch. Außerhalb der Hauptstadt ist der Staat kaum existent.

Aber dieser Putsch ist anders.

Die Rebellen entstammen nicht der politischen Klasse von Bangui, wo jeder jeden kennt. Sie kamen aus dem fernen Nordosten des Landes, sie gehören zu Völkern, die viele in Bangui als Ausländer ansehen. Nur drei Monate brauchten sie bis zur Einnahme der Hauptstadt, die viele ihrer Kämpfer vorher nie gesehen hatten. Und stehen nun vor einem Scherbenhaufen von Staat – ohne den sie nicht regieren können.

„Unser Land braucht jetzt dringend diplomatische Kontakte – doch es fehlt hier sogar an Stiften, um einen Brief zu schreiben“, sagt der Diplomat Nzessiwe seufzend. Dann wird er vom Klingeln seines Handys aufgeschreckt. Seine Sekretärin ist am Apparat. „Du brauchst nicht zu kommen“, stottert er. „Es gibt hier nicht einmal mehr einen Stuhl zum Sitzen.“

Urkunden und Grundbücher – alles verbrannt

Mit seinen abgerundeten Fassaden und seinem kreisrunden Konferenzsaal ähnelt das Außenministerium, erbaut in den 1970er Jahren und seitdem wie alle öffentlichen Gebäude Banguis einem langsamen Verfall preisgegeben, einem kaputten Raumschiff im Herzen des Dschungels. Und wie dort sieht es fast überall entlang des Unabhängigkeitsboulevards aus.

Im Handelsministerium hat ein Feuer das Unternehmensregister in Asche verwandelt. Im Ministerium für Städteplanung sind die Grundbücher in Rauch aufgegangen. Im Rathaus von Bangui fehlt der Server mit den frisch digitalisierten Geburts- und Heiratsurkunden.

Geländewagen voller Rebellen brausen den Boulevard entlang. Die Autos stammen aus dem Fuhrpark der Regierung oder internationaler Organisationen. Die Seleka-Rebellen haben ihnen farbige Muster und Schriftzüge verpasst. „Keine Verhandlungen“ steht auf einem Fahrzeug der Seleka-Militärpolizei. Vierzehn schwerbewaffnete junge Kämpfer mit Sonnenbrillen und Turbanen sitzen auf der Ladefläche und grinsen.

Ein Ministerium wurde – welch ein Zufall – nicht geplündert. Das Ministerium für öffentliche Sicherheit und Immigration ist Amtssitz eines der mächtigsten Männer der Rebellion: General Noureddine Adam, einer der drei Anführer der bewaffneten Gruppen, die sich 2012 zur Seleka zusammenschlossen. Adam ist jetzt der zweitwichtigste Mann im Land, nach Staatspräsident Michel Djotodia.

„Der General mag es digital“

General Adam gilt als Rivale Djotodias. Der ist schon 64 Jahre alt, Adam hingegen 43, ein junger, sportlicher Mann. Der ehemalige Profiboxer kommandiert jetzt Polizei und Gendarmerie. Und Bangui schaut jetzt auf ihn, um endlich Recht und Ordnung herzustellen.

Das Vorzimmer ist bis auf den letzten Stuhl besetzt. Dutzende schwerbewaffneter Leibwächter verraten, dass sich in Adams Büro inzwischen die Schaltzentrale der Macht befindet. Im Minutentakt treten Leute ein: Vertreter des UN-Flüchtlingshilfswerks, der Chef von Ärzte ohne Grenzen, ein Oberst der ehemaligen Armee. Hinter einem Laptop sitzt Adams Assistent Jules Ngbapo. Sobald ein neuer Besucher erscheint, schickt er seinem Vorgesetzten eine E-Mail mit Name und Besuchsgrund des Besuchers. „Der General mag es digital“, sagt er.

Der 32-jährige Ngbapo arbeitet schon lange im Sicherheitsministerium. Den neuen Boss findet er „super, weil ich mit ihm Englisch üben kann. Er spricht nämlich alle möglichen Sprachen, nur nicht unsere eigene.“

In diesem Moment hört man General Adam durch die Bürotür hindurch Arabisch brüllen. Ngbapo zieht die Schultern ein und schmunzelt: „Er macht gerade seine Offiziere zur Schnecke.“ Minuten später stürmen sechs Seleka-Oberste aus dem Büro hinaus. Dann wird man hineingebeten.

Mit Smartphone und Koran

Der General ist ein hochgewachsener muskulöser Mann. In einem weißen, edel bestickten Gewand sitzt er auf einer gewaltigen Couch. Seine zwei iPhones und drei weitere Smartphones klingeln fast ununterbrochen, meist alle gleichzeitig, mit schriller arabischer Musik.

Adam hat in Kairo studiert, viele Jahre im Exil in Dubai verbracht. Sein Englisch ist besser als sein Französisch, die Amtssprache seiner Heimat. Er weiß, wie man Ausländern elegant begegnet. Diese wiederum schätzen ihn. Denn wenn er von Dubai, Dublin oder Düsseldorf erzählt, dann wirkt er ganz anders als seine Buschkrieger.

„Die Plünderungen haben dem Image unserer neuen Regierung schwer geschadet. Das muss sich ändern“, sagt Adam und haut auf den Tisch. Der Notizblock mit den Camouflage-Mustern verrutscht etwas, der Stifthalter in Form einer Handgranate wackelt. Adam rückt alles wieder zurecht. Im Vergleich zum Durcheinander in den anderen Ministerien herrscht hier akkurate Ordnung.

Adam rattert seine Maßnahmen herunter wie Maschinengewehrfeuer: Eine Militärpolizei soll „die schlechten Elemente in unserer Truppe“ festnehmen. Entflohene Sträflinge müssen aufgespürt werden. Gendarmerie und Polizei werden neu aufgebaut, die Justiz wird reformiert, alle Soldaten werden registriert, alle Waffen eingesammelt. „Ich verspreche, in einem Monat wird hier Ordnung herrschen“, behauptet Adam.

Warum hat er überhaupt die Rebellion begonnen? Der General macht einen langen Seufzer, bevor er antwortet: „Wir hatten immer nur korrupte Diktatoren an der Macht. Es macht mich traurig zu wissen, dass wir so viele Rohstoffe haben, aber das Volk in Armut lebt.“ Und wie sieht er die Zukunft unter Seleka? „Unser Land wird endlich glitzern wie ein Diamant.“

Draußen vor dem Sicherheitsministerium lungern Dutzende Leibwächter herum, mit frischgedruckten Seleka-ID-Karten um den Hals. Die meisten tragen Sandalen, Turbane und Sonnenbrillen. An Kordeln um den Oberkörper baumeln Koran-Attrappen aus Leder. „Unser Fetisch“, erklärt einer: „Damit sind wir vor den Kugeln sicher.“

„Das Ende der Welt“

Die jungen Kämpfer wirken auf den ersten Blick wie von einem fremden Planeten. Die meisten stammen von kleinen Volksgruppen im äußersten Norden des Landes: den Ghoula und Rhounga, traditionell halbnomadische Viehhirten und Händler, deren Klans nur wenige Dörfer ausmachen. Die meisten waren noch nie in der Hauptstadt, haben noch nie einen Lichtschalter gedrückt, noch nie ein Handy bedient. Vielleicht haben sie in den Ministerien die Stromkabel aus den Wänden gerissen, weil ihre Anführer ihnen Elektrizität in ihren Dörfern versprochen hatten.

Zwischen diesen einfachen Buschkriegern mit ihren Fetischen und General Adam mit seinen Smartphones liegen Welten.

„Ndele ist nicht weit“ – so heißt ein kleiner Laden im geschäftigen Stadtviertel Miskine neben der größten Moschee und der größten Diskothek von Bangui. Ndele ist eine Handelsstadt 650 Kilometer nördlich. Dort hatte sich Seleka Ende 2012 konstituiert. Jenseits von Ndele beginnen Sümpfe, weitere 600 Kilometer nördlich liegt Birao, die eigentliche Heimat der Seleka und eigentlich schon in der Wüste. „Dort, wo wir herkommen, ist das Ende der Welt“, sagt der Ahmat Adam, Sprecher des Imams der Moschee.

Rund um die Moschee haben sich Einwanderer aus dem fernen Norden der Zentralafrikanischen Republik niedergelassen. Es sind Muslime. In dem katholisch geprägten Land machen sie nur rund 10 Prozent der Bevölkerung aus. Die Grenze zwischen dem muslimisch geprägten Kulturkreis der Sahelzone und dem christlichen Afrika weiter südlich verläuft mitten durch die Zentralafrikanische Republik.

Mit Seleka kommen in Bangui zum ersten Mal Muslime an die Macht, noch dazu Halbnomaden aus der Grenzregion zum Sudan: Sie sprechen Arabisch statt Französisch, Sudans Hauptstadt Khartoum ist ihnen näher ist als die eigene Hauptstadt Bangui.

Die weitverzweigete Adam-Familie

Ahmat Adam, der Sprecher des Imams, ist General Noureddine Adam wie aus dem Gesicht geschnitten. Und tatsächlich ist der 35-Jährige, der vom Fußballspielen verschwitzt im Hinterhof der Moschee sitzt, ein Bruder des Rebellenführers – das jüngste von 18 Kindern der weitverzweigten Adam-Familie.

Der Imam, Birima Adam, ist ihr Vater. Er sei alt und senil, sagt Ahmat. Doch er spiele im neuen Machtpoker eine wichtige Rolle. Für viele Seleka-Kämpfer und Offiziere ist der Imam eine Vaterfigur.

Während vom Minarett der Muezzin zum Gebet ruft, schlurft der junge Adam durch das geschäftige Viertel. Seleka-Kämpfer sitzen in den Teestuben, Mechaniker schrauben an Lastwagen herum, die bald in den Norden aufbrechen sollen, bevor die Regenzeit beginnt. Aus der Disco „Bamboula“ dringt schrille kongolesische Lingala-Musik, Frauen in kurzen Röcken betteln um ein Bier. Adam winkt höflich ab: „Wir Muslime gehen da nicht rein“, sagt er und beginnt zu erzählen.

Die Völker aus dem Norden würden aufgrund ihres muslimischen Glaubens in Bangui als Ausländer betrachtet. Bei der Einschreibung in die Universität, beim Antrag eines Reisepasses, bei der Bezahlung der Steuern – „immer muss ich nachweisen, dass ich Staatsbürger bin“, erzählt er. „Wir werden wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Doch das wird sich jetzt alles ändern – dank meines Bruders“, sagt er und lächelt stolz.

Khartum und Dubai statt Bangui und Paris

Die meisten Seleka-Offiziere entstammen wie auch der General Händlerfamilien aus dem Norden, die ihr Vermögen mit Diamanten- und Goldhandel gemacht haben. Viele Väter haben ihre Söhne auf Imam Adams Koranschule in Bangui geschickt, sobald sie es sich leisten konnten. Denn in Birao im hohen Norden gibt es keine höheren Schulen.

Imam Adam hat seine Schüler dann weitervermittelt: an Koranschulen in Ägypten, Jordanien oder Dubai. Die Adam-Familie gehört zur Oberklasse des Rhounga-Klans. Sie sei groß im Diamantengeschäft, gibt Ahmat stolz zu.

Es sind die Rohdiamanten der Zentralafrikanischen Republik, die den Krieg der Seleka finanzieren. „Wir haben nichts in unserer Heimat, nur diese Steine hier“, sagt der junge Adam und zählt auf: keine Schulen, keine Krankenhäuser, keine Stromleitungen, keine Straßen. Der Lastwagen brauche zehn Tage für die 1.200 Kilometer aus Bangui nach Birao. In der Regenzeit sei die Gegend für sechs Monate vom Rest des Landes abgeschnitten.

Der einzige Weg in die Außenwelt führe dann nach Norden, Sudans Hauptstadt Khartum sei nur drei Tage entfernt, erklärt Adam. Jede Limonade, jedes Stück Seife, jedes Streichholz in Birao stamme aus dem Sudan: „Und wir verkaufen dort dafür unsere Diamanten.“

Lieber fünf Karat in der Hand…

Das große Haus der Diamantenexporteure in der Innenstadt von Bangui ist eines der wenigen, um das herum Hochbetrieb herrscht. Seit dem Einmarsch der Seleka in Bangui sind immer noch viele Läden geschlossen, es gibt kaum etwas zu kaufen. Bereits am frühen Nachmittag wirkt die Innenstadt verwaist. Aber im Innenhof des von bewaffneten Seleka-Kämpfern geschützten Diamantengebäudes parken zahlreiche Nobelkarossen: Libanesen, Belgier, Holländer gehen ein und aus.

Hier ist ein weiterer Bruder des Generals tätig. Hamat Adam will heute einen besonderen Stein verkaufen. Die Schürfer in einer seiner zahlreichen Minen hätten einen seltenen Fund gemacht, verrät er. Aus der Brusttasche seines langen blauen Gewands zieht er ein Taschentuch, das er vorsichtig aufwickelt.

Kleine funkelnde Steine reflektieren das Sonnenlicht in allen Spektren, in der Mitte liegt ein blauer Diamant: Fünf Karat, „ein Vermögen“, flüstert Hamat.

Die Zentralafrikanische Republik gehört zu den rohstoffreichen Ländern Afrikas: Diamanten, Gold, Öl, Uran – hier gibt es alles, meist noch unerschlossen. Erst in jüngster Zeit ist das abgeschottete Land ins Blickfeld internationaler Rohstofffirmen gerückt, besonders das Uran. Der französische Energiekonzern Areva erwarb 2008 Uran-Konzessionen, Chinesen sind ebenso interessiert.

Dies macht das Minenministerium in dem sonst bettelarmen Land zu einer der wichtigsten Institutionen. Gerade jetzt, wo die Karten neu gemischt werden.

…als ein Ministerium ohne Dach

Auch der neue Minenminister, Herbert Gontran Djono-Ahaba, ist ein Seleka-Offizier. Er sei im Ausland, winkt der Wächter am Tor ab. Hinter ihm hört man in dem dreistöckigen Gebäude Hämmern und Klopfen. Das Ministerium wurde erst im Vorjahr erbaut. Jetzt ist es eine Ruine.

Immerhin: Handwerker tauschen die kaputten Türschlösser aus, ersetzen die herausgerissenen Stromleitungen. „Das waren nicht wir, das waren Leute der alten Regierung“, behauptet der Wächter. „Als wir nach Bangui einmarschierten, haben sie noch schnell alles zerstört.“

Er zeigt auf eine kleine Ruine im Hof, ohne Dach, mit verkohlten Wänden. An den Löchern, in denen einst Lichtschalter steckten, ist das ausgeflossene Plastik wie Wachs erstarrt. Mithilfe der Starkstromleitung, die unterhalb des Fensters aus der Erde ragt, wurde das Gebäude in die Luft gejagt – und mit ihm die frisch installierten Computer, gesponsert von der Internationalen Atomenergiebehörde, um die Urankonzessionen zu digitalisieren.

Zerstört wurden dabei auch die Verträge mit internationalen Firmen über Gold- und Diamantenabbau sowie zur Erkundung der Ölreserven. Und im Büro, das für die Zertifizierung der Diamanten zuständig war, liegen Akten in Fetzen auf dem Boden.

Im Altbau des Ministeriums weiter hinten hingegen ist alles unberührt. Farbe blättert von den Wänden, es riecht nach vermoderten Akten. Kabinettsdirektor Roger Aguide sitzt im verwinkelten Büro seiner Sekretärin und diktiert ihr einen Brief an Areva in die Tastatur.

„Wir wurden auf null zurückgesetzt“

Der alte Mann in Anzug und Krawatte, mit verbogener Nickelbrille und Zahnlücke, wirkt mit seinem vornehmen Französisch wie aus einer anderen Zeit. In vielen Ländern Afrikas sind es Technokraten wie der alte Aguide, die im Hintergrund die Geschäfte leiten. Sie sind unersetzbar, da Minister oft nur durch Seilschaften oder Rebellionen auf ihre Posten gelangen, von der Materie aber keine Ahnung haben.

Aguide muss jetzt die internationalen Partner über die vernichteten Verträge informieren. „Das wird noch viele Probleme nach sich ziehen“, sagt er und zeigt seufzend auf den Stapel Briefe auf dem Schreibtisch: „Ich schreibe ihnen, dass wir die Verträge neu machen müssen. Wir wurden auf null zurückgesetzt“.

Und das stimmt nicht nur in den Ministerien. Bevor General Adam die Interessen seiner Minderheit durchsetzen kann, muss er in Bangui mit der Mehrheit Frieden schaffen und Normalität wiederherstellen.

Endlich: Es soll wieder Geld geben

An einem Morgen Anfang Mai hält Präsident Djotodia im Radio eine Ansprache: Es sollen endlich wieder Gehälter und Renten ausgezahlt werden, zum ersten Mal seit der Seleka-Machtübernahme und überhaupt seit vielen Monaten. Sofort bilden sich lange Schlangen in der Innenstadt. Tausende Lehrer, Ministerialbeamte, Ärzte und Rentner drängeln sich vor den Banken.

„Ich bin Witwe, muss fünf Kinder ernähren und nach den Plünderungen habe ich nichts mehr – wir hungern“, schluchzt eine Frau. „Diese Ausländer besetzen unser Land!“, brüllt ein Mann.

Als kunterbunt bemalte Geländewagen mit schwerbewaffneten Kämpfern anrollen, heizt sich die Stimmung auf. Keine Sorge, erklärt einer von General Adams Leibwächtern der Menge: Der Präsident träfe sich in der Nähe mit Ministern, die Umgebung müsse gesichert werden.

Doch aus Angst vor Plünderungen schließen die Banken ihre Pforten. Tausende hungrige Menschen bleiben draußen und protestieren lautstark: gegen die Banken und gegen Seleka.

Der Oberst zieht an einem Joint und gibt dann den Befehl, die Kalaschnikows durchzuladen. Viele Leute laufen davon. Eine Patrouille französischer Soldaten kommt angefahren.

Sie tragen Helme und schusssichere Westen. Sie winken, gucken und fahren wieder davon. Die Menschen vor den Banken brüllen auch ihnen wütend Parolen hinterher. „Ihr steckt doch unter einer Decke“, rufen sie.

Allons, enfants de la patrie!

Nur der 71-jährige Michel Fayouma steht seelenruhig mitten in der aufgewühlten Menge. In der Hand hält er seine vergilbte Geburtsurkunde aus dem Jahr 1942, mit französischem Staatssiegel. Er lebe elf Kilometer westlich von Bangui, sagt er. An diesem Morgen sei er früh aufgestanden und in die Stadt gelaufen, in der Hoffnung, seine Rente zu erhalten.

„Wer seid ihr denn?“, brüllt der alte Mann in Anzug und Hut den jungen Seleka-Kämpfern entgegen. Doch diese verstehen kein Französisch. „Die sind nicht von hier“, murmelt er verdutzt. Erst als der Alte die französischen Soldaten sieht, lächelt er.

Er stimmt die Marseillaise an, die er in der Schule gelernt hat. Die Menge buht ihn aus.

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