Zentralasien und Osteuropa in Berlin: Alle Seiten ausleuchten

Fünfzehn JournalistInnen aus Krisenregionen in Zentralasien und Osteuropa zu Gast in der taz Panter Stiftung

Bild: Anja Weber

Boro Kontic, in den Balkan-Kriegen ein bekannter Reporter aus Bosnien, hat ein Video mitgebracht. Die Szenen dauern jeweils kaum länger als eine Sekunde. In der ersten Sequenz sprintet ein Mann mit Stiefeln über einen Bürgersteig dem Zuschauer entgegen. Es scheint, als werde er verfolgt von einem Auto. Das zweite Bild zeigt den Mann von hinten, wie er mit einem messerähnlichen Gegenstand auf einen Alten zustürzt. "Im ersten Bild seh ich ein Opfer jetzt wirkt die gleiche Person wie ein Aggressor", sagte die kirgisische Journalistin Eleanora. In der dritten Szene reißt der Mann den Alten an sich und rettet ihm das Leben - eine einstürzende Mauer hätte den Alten beinah unter sich begraben. Der Held des Tages, das ist die ganze Geschichte.

"Wir Journalisten müssen aus verschiedenen Blickwinkeln recherchieren, alle Seiten ausleuchten, nur dann können wir die wahre Geschichte erzählen", sagt Kontic zu Beginn der Diskussion mit 15 JournalistInnen aus Zentralasien und Osteuropa. In dem Gespräch mit dem heutigen Direktor des Medienzentrums Sarajevo ging es vor allem darum, wie Reporter in Krisen- und Kriegsregionen möglichst nah an die Wahrheit herankommen, warum Journalisten in bewaffneten Konflikten auch lügen und wie sie vermeiden, als "Turbo-Patrioten" (Kontic) zu arbeiten.

Die taz Panter Stiftung hat den einwöchigen Workshop organisiert, mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amtes und in Kooperation mit den Reportern ohne Grenzen. Zahlreiche Besuche und Gespräche mit Journalisten beim Rundfunk Berlin-Brandenburg, BILD-online, WELT und taz standen auf dem Programm. Bei der Anti-Terror-Konferenz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), gelang es einigen Kollegen, die Delegierten aus ihren Heimatländern zu interviewen. Der IT-Experte Hauke Gierow erklärte, wie Journalisten ihre Recherchen und Texte verschlüsseln und sichern können, ohne auf einem Computer Spuren zu hinterlassen. Volker Jacoby vom Berliner Zentrum für internationale Friedenseinsätze (zif) diskutierte, inwiefern internationale Wahlbeobachtung die Politik autoritärer Regierungen beinflusst. Das journalistische Training war knapp bemessen. Doch zwischen Einzelseminaren, Veranstaltungen, Besuch des Reichstages und Bootsfahrt auf der Spree schrieben alle Teilnehmer noch Texte für eine Sonderbeilage der taz. Dabei wurden sie unterstützt von den taz-Redakteurinnen Barbara Oertel und Irina Serdyuk, die zusammen mit Petra Bornhöft auf Russisch, Englisch und Deutsch den Workshop leiteten.

Neue Kontakte, neue Freundschaften sind entstanden. Shahin, Yana und Narine aus Aserbaidschan und Armenien schrieben gemeinsam. "Das ist für uns ein kleines Wunder", sagt Shahin, "unsere Länder sind ja in dem Berg-Karabach-Konflikt verfeindet".  Sicherheitshalber, so fügt er lachend hinzu, habe man sich auf neutralem Terrain getroffen - im Hotelzimmer des Tadschiken Masum. Der freute sich, endlich einmal Kollegen aus dem Nachbarland Usbekistan kennenzulernen, er bekomme für Usbekistan kein Visum. Alina aus der Ost-Ukraine verstand sich bestens mit dem Russen Oleg, der nah an der Kriegszone lebt. Für Andrey aus Kasachstan war es "symbolisch, dass wir alle aus Konfliktregionen kommen, aber keinen Konflikt in der Gruppe hatten".

So düster und schwierig die Situation für die TeilnehmerInnen zu Hause ist, in Berlin haben sie einiges gelernt. Und viel gelacht. In ihrem Toast beim Abschiedsessen in Neukölln sagte Yana aus Armenien: "Russland war für mich bisher der einstige ferne, sowjetische Bruder, Aserbaidschan der Feind und Tadschikistan Baumwolle". Nun hätten diese Länder ein Gesicht und einen Namen.

Und dann begann sie zu tanzen, für Oleg, Shahin, Masum und die anderen.

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