Zerschlagung von Tengelmann: Chaos nicht ausgeschlossen

Das Bundeskartellamt hat die Fusion von Kaiser's Tengelmann und Edeka verboten. Chefs und Gewerkschaften suchen einen Ausweg.

das rot leuchtende Kaiser's-Logo in der Dämmerung

Dunkle Stunden für die Kaiser's Tengelmann-Mitarbeiter. Der Konzern steht vor seiner Zerschlagung Foto: dpa

BERLIN taz | Sigmar Gabriel als Beschützer der einfachen Leute – diese Botschaft sendet der Bundeswirtschaftsminister, als er Mitte März 2016 den Kauf der Supermärkte von Kaiser's Tengelmann durch Edeka genehmigt. Erkältet und hustend betont er, dass ihm die Sicherung von über 15.000 Arbeitsplätzen am Herzen liege. Es gehe um die Jobs von Verkäuferinnen, Packern oder Metzgern, die niedrige Löhne beziehen – „zwischen 1.500 und knapp über 2.000 Euro brutto pro Monat“, so Gabriel.

Per Sondererlaubnis setzt sich der SPD-Chef deshalb über den gegenteiligen Beschluss des Bundeskartellamtes hinweg. Er will das umstrittene Geschäft durchboxen. Nun, ein halbes Jahr später, deutet vieles daraufhin, dass der Wirtschaftsminister in dieser Angelegenheit gescheitert ist.

Denn am Donnerstagabend treffen sich Tengelmann-Miteigentümer Karl-Erivan Haub, Edeka-Chef Markus Mosa, Rewe-Vorstand Alain Caparros, sowie Frank Bsirske und Stefanie Nutzenberger von der Gewerkschaft Verdi zu einer Krisensitzung. Vermutlich beraten sie auch darüber, wie die rund 450 Tengelmann-Supermärkte unter verschiedenen Käufern aufgeteilt werden. Genau das gedachte Gabriel zu verhindern. Er rechnete es sich als Erfolg an, dass die Lebensmittelmärkte im Paket den Besitzer wechselten – und kein Arbeitsplatz auf der Strecke bleibt.

Wie konnte es zu dieser Wendung kommen? Nicht nur Gabriel wollte mit dem Kopf durch die Wand. Haub und Mosa blendeten ebenfalls Teile der Wirklichkeit aus, die das Geschäft kompliziert machten. Die Gründe: Haub, dem unter anderem Obi und KiK gehören, musste mitansehen, wie seine Kaiser's Tengelmann-Filialen regelmäßige Verluste einfuhren. Alleine in diesem Jahr sollen sich diese auf bis zu 90 Millionen Euro belaufen. Der Eigentümer entschied deshalb, die rund 450 Läden für einen guten Preis an Edeka zu verkaufen, bevor es zu spät ist.

Vorsprung zu Rewe ausbauen

Edeka-Chef Mosa betrachtete dieses Angebot als goldene Gelegenheit. Schon jetzt ist der Konzern mit einem Umsatz von 48 Milliarden Euro (2015) Marktführer unter den Lebensmittelketten in Deutschland. Hunderte zusätzliche Tengelmann-Filialen helfen, den Vorsprung zum Verfolger Rewe auszubauen.

Die vom Wirtschaftsministerium ausgearbeitete Vereinbarung sah schließlich so aus: Die Geschäfte von Kaiser's Tengelmann müssen unter Edeka-Regie fünf Jahre erhalten bleiben. Das gilt ebenso für die Mitbestimmung in den Betriebsräten. Kündigungen von Beschäftigten sind ausgeschlossen. Die Supermärkte dürfen in dieser Zeit auch nicht an selbstständige Edeka-Kaufleute übertragen werden, die den Arbeitnehmern möglicherweise ein niedrigeres Schutzniveau bieten.

Weil drei Herren mit dem Kopf durch die Wand wollten, könnte nun die ganze Firma gegen die Wand fahren

Starke Stellung der Gewerkschaften

Nach den fünf Jahren setzt eine weitere Zwei-Jahre-Frist ein. Sollten in dieser Zeit Filialen an Dritte verkauft werden, sichern Tarifverträge die Jobs und Rechte der Arbeitnehmer. Die Gewerkschaften Ver.di oder NGG erhalten damit eine starke Stellung.

Klang gut – hatte jedoch erhebliche Schönheitsfehler. Denn das Bundeskartellamt hatte die Übernahme der Tengelmann-Märkte durch Edeka bereits im April 2015 verboten. Die Marktmacht des fusionierten Konzerns werde sonst zu groß, lautete das Hauptargument. Auch die Monopolkommission warnte vor dem Geschäft. Deren Vorsitzender Daniel Zimmer trat aus Protest gegen Gabriels Entscheidung später sogar zurück.

Nachteil für die Kunden

Zimmers Begründung: Die Entscheidung „schadet dem Wettbewerb. Überall dort, wo bisher Edeka und Kaiser's Tengelmann in Konkurrenz standen, entfällt dieser Wettbewerb – zum Nachteil der Verbraucher, die künftig mit weniger Auswahl und höheren Preisen rechnen müssen.“

Beide Positionen überging Wirtschaftsminister Gabriel, indem er seine Sondergenehmigung erteilte. Daraufhin klagte der ebenfalls an Kaiser's Tengelmann interessierte Edeka-Konkurrent Rewe. Das Oberlandesgericht Düsseldorf gab der Klage statt und begründete: Gabriel sei in seiner Entscheidung pro Edeka wohl nicht unparteiisch, sondern „befangen“ gewesen.

Mitarbeiter ziehen Konsequenzen

Das ist nun die Lage, bevor die Unternehmen am Donnerstagabend eine Lösung suchen. Die Fusion ist blockiert. Und chaotische Entwicklungen sind nicht ausgeschlossen. Tengelmann-Insider berichten, dass viele Mitarbeiter längst Konsequenzen aus der andauernden Unsicherheit ihres Arbeitsplatzes zögen.

So hätten bereits über 100 Mitarbeiter aus dem IT-Bereich gekündigt. Die Logistik für die Kassensysteme lasse sich nur noch schwer aufrechterhalten. In München habe die gesamte Expansionsabteilung bereits zur Konkurrenz gewechselt.

Sollte es nicht zu einer schnellen Einigung kommen, droht Tengelmann-Chef Haub, schon in der Aufsichtsratsitzung am kommenden Freitag über das Ende zahlreicher Filialen zu entscheiden. Weil drei Herren mit dem Kopf durch die Wand wollten, könnte das Unternehmen nun komplett gegen dieselbe fahren.

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