Zukunft der Blauen Moschee in Hamburg: Schiit*innen wollen wieder drinnen beten
Seit einem Jahr ist die Blaue Moschee dicht, weil das Islamische Zentrum Hamburgs ihr Träger war. Rund 2.000 Gläubige stehen seitdem ohne Raum da.
„Wiedereröffnung der Imam-Ali-Moschee“, so sind die Versammlungen bei der Behörde angekündigt, gut 90 Mal seit der Schließung fanden sie statt, immer donnerstags und freitags. Die Polizei misst regelmäßig die Lautstärke und meldet ansonsten friedliche Treffen.
Vor einer Woche hatten sich etwa 500 bis 600 Menschen für eine Demo versammelt, um auf ihre religiöse Heimatlosigkeit hinzuweisen. Im Videobeitrag des NDR sieht man Plakate mit Forderungen wie „Moschee statt Straße“ und „Wo ist unser Platz in dieser Stadt?“. Viele Demonstrant*innen trugen Schilder mit Verweis auf Artikel 4 Grundgesetz – das Recht auf freie Religionsausübung.
Unter Verwaltung des Bundesinnenministeriums
Moschee statt Straße, so richtig schnell wird das nichts, zumindest nicht hier: Die Blaue Moschee, das Gebäude, steht momentan unter Verwaltung des Bundesinnenministeriums. Es ist eine notdürftige Verwaltung, denn anfangen darf der Staat mit der Immobilie erst einmal nichts – erst wenn das Verbot rechtskräftig ist, kann er es als Teil des Vereinsvermögens nach Vereinsgesetz einziehen.
Das IZH hatte 2024 gegen sein Verbot geklagt; beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig steht für die mündliche Verhandlung noch nicht einmal ein Termin fest. Offenbar war der Staat in den vergangenen Jahren besonders verbotsfreudig, laut einer Gerichtssprecherin sind in der dafür zuständigen sechsten Kammer noch Verbotsverfahren von 2023 offen. Bis ins nächste Jahr hinein könnte es schon noch dauern.
Dass so viel Zeit verstreicht mit dem Gerichtsverfahren ist den Stadtvertretern vermutlich gar nicht so unrecht. Denn die Frage der Nachnutzung ist kompliziert. Gleich nach der Schließung hatte es Proteste der Gemeindemitglieder und solidarischer Muslim*innen gegeben. Aber gleich nach der Schließung kam auch schon von anderer Seite die Forderung auf, aus dem hübschen Gebäude an der Außenalster eine Art interreligiöses Kulturzentrum zu machen.
„Die Blaue Moschee muss ein Ort der Mahnung für die Freiheit und die Menschenrechte werden“, schreibt die Islamkritikerin Necla Kelek vom Verein Kulturbrücke im November vergangenen Jahres. Ein Ort, „an dem an die Opfer des religiösen Fundamentalismus gedacht wird, deren prominentes Opfer – Jina Masha Amini – für die Bewegung „Frauen-Leben-Freiheit„ steht“, ein Ort, an dem diskutiert und gefeiert und, immerhin, „am Freitag auch gebetet werden kann“. Ein Gedenk-, Kultur und Veranstaltungsort mit Gebetsraum also – nicht das, was den schiitischen Gemeindemitgliedern vorschwebt.
Senatskanzlei lässt sich nicht hinreißen
Die Hamburger Senatskanzlei, die im Stadtstaat für Religionsangelegenheiten zuständig ist, lässt sich zu keinen konkreten Versprechen in irgendeine Richtung hinreißen. Man setze sich dafür ein, „das Gebäude der Blauen Moschee einer Religionsgemeinschaft oder einer anderen Gemeinschaft zur Nutzung zu überlassen, die die Werteordnung des Grundgesetzes und den Gedanken der Völkerverständigung achtet“. Dabei, gibt man zumindest einen Hinweis, seien „aus Sicht des Senats insbesondere auch die Interessen von schiitischen Glaubensangehörigen in Hamburg zu berücksichtigen, die diese Werteordnung achten“.
Schiit*innen gibt es in Hamburg laut Schura etwa 15.000 bis 20.000. Nicht alle davon sind einer Moscheegemeinde verbunden; aber rund 2.000 von ihnen seien regelmäßig in die Blaue Moschee gekommen, heißt es.
Vor allem die Frage der Herrschaftsnachfolge des Propheten Mohammed führte im siebten Jahrhundert zur ersten großen Spaltung der noch jungen Religion in Sunniten und Schiiten. Über die Jahrhunderte haben sich verschiedene Rechtspraktiken und religiöse Traditionen herausgebildet, die das religiöse und alltägliche Leben der Schiit*innen prägen; sie einfach an andere, sunnitisch geprägte Moscheen zu verweisen, ist keine Option.
Sprachliche Hürden
In Hamburg gibt es zwei weitere, kleinere schiitische Gemeinden, die allerdings kulturell andere Ursprünge und damit auch sprachliche Hürden für die Gemeindemitglieder der Imam-Ali-Moschee mitbringen.
Die Schia als zweitgrößte Konfession des Islam ist nicht per se schlechter mit der „Werteordnung des Grundgesetzes“ vereinbar als manche sunnitische Strömung. Problematisch ist in den vergangenen 50 Jahren ihre geografische Verankerung: Der weitaus größte Teil der Schiiten stammt aus dem Iran, kleinere Gemeinschaften gibt es im Irak und in Aserbaidschan. Schiitische Gemeinden sind von der Anerkennung einer Rechtsschule abhängig – und die sitzen seit der Islamischen Revolution von 1979 eben in der theokratischen Islamischen Republik Iran, deren Einfluss man mit dem IZH-Verbot zurückdrängen wollte.
Mögliche Träger gibt es
Möglichkeiten gibt es, ist der Vorsitzende der Hamburger Schura, Fatih Yildiz, überzeugt. Es gibt zwei mögliche Träger, mit denen er Gespräche führt. Vorgespräche sind das, um abzuklopfen, unter welchen Bedingungen die Zusammenarbeit einen Sinn ergibt. Kann der Träger glaubhaft machen, dass keine Einmischung aus dem Ausland, sprich aus dem Iran, erfolgt? „Das ist immer der erste Punkt, der in den Gesprächen auf den Tisch kommt“, sagt Yildiz. „Diese Positionierung müssen sie absolut glaubhaft machen, ansonsten können wir uns das alles sparen.“
Eine Frage dabei ist die Finanzierung. Eine Moscheesteuer gibt es in Deutschland nicht, was es unter anderem der Türkei leicht gemacht hat, über den Moscheeverband Ditib Einfluss aufzubauen. Das Geldproblem lässt sich aber noch vergleichsweise leicht lösen: „95 Prozent der Moscheegemeinden in Deutschland finanzieren sich aus eigener Kraft, über Spenden der Mitglieder“, so Yildiz.
Schwierig ist die Frage nach der Anerkennung durch einen schiitischen Gelehrtenrat. Wen wählt man aus, gibt es in dem theokratischen Staat noch unverfängliche Theolog*innen?
Suche nach Gemeindevorsteher
Es geht weiter mit der Suche nach einem Gemeindevorsteher: Wer im Iran ausgebildet wurde, bringt schon einen gewissen Ballast mit. Das Islamkolleg Deutschland in Osnabrück kümmert sich bisher nur um die Ausbildung sunnitischer Imame. Schiitische Imame wurden in Deutschland bisher vom nun verbotenen IZH ausgebildet. Und wenn jemand etwa im Irak ausgebildet wurde, kann es praktische Schwierigkeiten geben: Findet sich von dort jemand, der ausreichend Persisch und Deutsch spricht, um die große Gemeinde zu führen?
Der Sunnit Yildiz zeigt sich trotz der Schwierigkeiten optimistisch, dass es gelingen wird, einen passenden Träger zu finden. Etwas Neues entwickeln, schiitisches Leben unabhängig von staatlichem Einfluss zu etablieren, das, so der Sunnit Yildiz, sei „ein sehr, sehr gutes Narrativ, viele junge Menschen zeigen sich bereit dazu“. Organisiert freilich sind diese Ideen noch nicht. Trotzdem hofft Yildiz, dass sich bei einer Veranstaltung im Oktober ein bis zwei mögliche Träger einer kritischen Öffentlichkeit vorstellen.
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