Zurück zur Verwahrung?: Psychiatrie-Reform auf der Kippe

Obwohl die Psychiatrie-Reform politisch längst beschlossen ist, scheint die Gesundheit Nord das Konzept mit Personalentscheidungen zu sabotieren.

Eine Frau geht eine sehr lange Wendeltreppe hinunter.

Abwärtsspirale: Psychiatriepatienten müssen in Bremen wohl weiter stationäre Runde drehen. Foto: dpa

BREMEN taz | Die bundesweit als vorbildlich geltende Psychiatrie-Reform Bremens steht auf dem Spiel. Dabei schien die Sache seit 2013 klar: Da entschied die Bürgerschaft nämlich einstimmig, die Psychiatrie-Landschaft im Sinne der PatientInnen umzugestalten und ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das zeitgemäße und menschenwürdige Behandlungen psychisch Erkrankter sicherstellt. Dazu gehört die Einsicht, dass Patienten im Allgemeinen besser zu Hause als in der Klinik aufgehoben sind und das Behandlungskonzept daher sektorübergreifend sein muss.

Noch im Oktober dieses Jahres versprach Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) rund 1,2 Millionen Euro für insgesamt 13 Modellprojekte, um die angestrebte Ambulantisierung und eine engere Verzahnung zwischen stationärer und ambulanter Versorgung psychisch erkrankter Menschen zu verbessern (taz berichtete). Drei Jahre nach dem Bürgerschaftsbeschluss und wenige Wochen nach dem Start der Modellprojekte sieht es nun so aus, als würde Bremen seine einstige Vorreiterrolle bei der Abschaffung der alten Verwahrungspsychiatrie verspielen.

Klinik-Holding schafft schon mal Fakten

Denn während freie Träger, Politik und MitarbeiterInnen seit Monaten auf das versprochene Konzept warten, schafft die kommunale Klinikholding Gesundheit Nord (Geno) hinter den Kulissen Fakten, die zum Zeitpunkt der öffentlichen Prüfung kaum noch zu korrigieren sein dürften.

Mit Jens Reimer wurde Anfang des Jahres ein Suchtmediziner auf den Chefsessel des „Zentrums für psychosoziale Medizin“ berufen. An seiner fachlichen Eignung für die Schlüsselposition der Reform bestanden früh Zweifel. Bedenken, die nach seiner eigenen Einschätzung daher rührten, dass er nicht zur sozialpsychiatrischen Schule zähle, wie Reimer dem Weser Kurier sagte.

In seiner neuen Funktion ist Reimer nicht nur Chefarzt für eine Abteilung, sondern hat eine übergreifende Steuerungsfunktion. Das neue „Zentrum für psychosoziale Medizin“ ist als übergeordnete Organisationsform für die Psychiatrie des gesamten Klinikverbundes der Gesundheit Nord geplant. Geschaffen wurde es offenbar aber erst, als das Bewerbungsverfahren bereits lief, sodass neben der fachlichen Eignung Jens Reimers auch die Rechtmäßigkeit des Bewerbungsverfahrens in Zweifel stehen könnte.

Neues Zentrum – oder nur neuer Name?
Kirsten Kappert-Gonther, Grüne

„Ambulantisierung muss auch personell abgebildet werden“

Geno-Sprecherin Karen Matiszick verneint das energisch: „Das Zentrum ist nicht neu geschaffen worden, man hat es nur neu benannt“, sagt sie. Das einzig Neue sei eben Jens Reimer als Chef. Was das angeblich nicht neue Zentrum allerdings genau tue, kann auch Matiszick nicht erklären: Es werde gerade noch von Reimer entwickelt und solle gegen Ende des Jahres vorgestellt werden.

Unterdessen lässt eine weitere Einstellung aufmerken: Denn noch während die Gesundheitssenatorin Maßnahmen zur Ambulantisierung und Verzahnung ankündigt, wird in der Geno offenbar die chefärztliche Trennung beider Bereiche eingeleitet. Zum neuen Jahr wurde Olaf Kuhnigk bereits als leitender Arzt für den stationären Bereich eingestellt, der als stellvertretender Geschäftsführer der Medizinischen Fakultät der Uni Hamburg zwar Erfolge vorweisen kann, aber keinerlei psychiatrische Leitungserfahrung mitbringt.

Über die Einstellung von Kuhnigk und die Haltung des Gesundheitsressorts zur chefärztlichen Trennung möchte sich die Senatorin nicht äußern.

Auch aus den Verbänden möchte derzeit niemand mit ausdrücklicher Kritik an der Geno zitiert werden – jedenfalls nicht, bevor das ausstehende Konzept vorliegt. Mit zuversichtlichen Worten will allerdings erst recht niemand in der Öffentlichkeit stehen. Schließlich hat die Geno ihr Reformverständnis bereits im vergangenen Jahr vorgeführt: Da hatte man eine psychiatrische Station kurzfristig abgewickelt, ohne dass sich MitarbeiterInnen und ambulante Träger darauf einrichten konnten. Erst als der Ambulanz ein halbes Jahr später erwartungsgemäß der Kollaps drohte, räumte man Fehler ein und setzte sich mit den freien Trägern an einen Tisch, um wenigstens die Folgen der Hauruckaktion abzufedern. Dass die geplanten neuen Modellprojekte zum Teil lediglich den Ausbau und die Wiedereinsetzung zuvor kaputt gesparter Konzepte bedeuten, hatte die Psychotherapeutenkammer Bremen ohnehin beklagt.

Kirsten Kappert-Gonther, gesundheitspolitische Sprecherin der Bremer Grünenfraktion und Mit-Initiatorin der Reform, sagt, dass Personalfragen natürlich Teil des operativen Geschäfts der Geno seien und nicht Sache der Politik. Allerdings habe der Bürgerschaftsbeschluss einen klaren Schwerpunkt auf Ambulantisierung und Zusammenarbeit der verschiedenen Stellen. „Das muss auch personell abgebildet werden“, sagt Kappert-Gother. Die sektorübergreifende Behandlung sei elementar wichtig für schwer und chronisch psychisch Mehrfachkranke. Dazu müssten der stationäre, teilstationäre und der ambulante Bereich eng zusammenarbeiten. Und: „Alles, was dem zuwider läuft, ist schädlich für die Menschen.“

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