Zusammenleben mit Flüchtlingen: „In die Pampa schicken bringt nichts“

Migrationsforscher fordern, Flüchtlinge dezentral unterzubringen. Jannis Panagiotidis über die Rolle des Staates, Erwartungen an Geflüchtete und das Ankommen.

Beine von wartenden Menschen, dazwischen steht ein Kinderwagen

Warten vor dem Lageso in Berlin Foto: dpa

taz.am wochenende: Herr Panagiotidis, viele Migrationsforscher fordern, Flüchtlinge dezentral unterzubringen. Wie stehen Sie dazu?

Jannis Panagiotidis: Längerfristige Unterbringung in Durchgangslagern ist für alle Beteiligten unbefriedigend, das ist ganz klar. Integration ist da gar nicht möglich. Wenn dezentral aber bedeutet, dass man die Leute irgendwo in die Pampa schickt, wo schon die einheimische Bevölkerung keinen Job hat, bringt das auch niemandem etwas.

Wie weit soll der Staat diese Bewegungen lenken?

Das ist die große Frage. Wie weit kann er das überhaupt? Das neue Integrationsgesetz enthält eine Wohnortzuweisung. Das gab es auch schon in den 1990er Jahren, als die Russlanddeutschen kamen. Die durften allerdings Präferenzen angeben. Viele Jahre später stellte man fest: Ein Großteil der Leute kam letztlich dahin, wo er auch hin wollte. Wenn man die Migranten machen lässt, ziehen sie zu ihren Freunden und Verwandten.

Und dann?

Dann kommt es zu bestimmten Konzentrationen, die man, wenn sie sozial marginalisiert sind, als Ghetto bezeichnet. Wenn sich innerhalb dieser Konzentrationen aber eine positive Dynamik entwickelt, kann man sie auch als Kolonien betrachten – ein Zusammenschluss von Menschen ähnlicher Herkunft, die sich gegenseitig helfen. Der deutsche Staat wäre hier ganz gut beraten, etwas mehr auf solche zivilgesellschaftlichen Prozesse zu vertrauen.

Diesen Text finden Sie auch in der taz.am wochenende vom 16./17. Juli, die sich ansonsten eingehend auf mehreren Seiten mit dem schrecklichen Anschlag von Nizza beschäftigt. Außerdem: Früher fiel Thomas de Maizière mit Besonnenheit auf. Heute gilt der Innenminister als Reizfigur. Wie er seinen Wandel rechtfertigt. Und: Dank Hans Wall gibt es sich selbst reinigende City-Toiletten. Ein Gespräch über Geld und die AfD. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Parallelgesellschaften werden gemeinhin als etwas Schlechtes dargestellt.

Ja, das muss aber nicht sein. Diese Kolonien haben große Integrationspotenziale, die man verschwendet, wenn man die Leute auseinanderreißt.

Wie viel Integrationswillen darf man von ihnen erwarten?

Im Grunde müssen alle Seiten mitziehen. Es kann nicht alles von den Migranten kommen, aber auch nicht von der deutschen Zivilgesellschaft oder dem Staat. Ich glaube, man sollte die Erwartungen erst mal niedriger hängen und einsehen, dass die Integration von Hunderttausenden Menschen nicht reibungslos verlaufen kann und wird.

Was sind typische Erwartungen an Geflüchtete?

Der Migrationsforscher ist 1981 in Korbach geboren, studierte Geschichte und lehrt heute als Juniorprofessor an der Universität Osnabrück.

Zum Beispiel, dass wir es mit armen und hilflosen Menschen zu tun haben, die auf uns angewiesen sind. Aber was passiert, wenn es anders ist? Da hilft es, durchzuatmen und sich von Klischees zu verabschieden. Wenn man helfen will, sollte man nicht nur denen helfen, die der eigenen Vorstellung entsprechen.

Wie entstehen solche Erwartungen?

Erwartungen entstehen, wenn man Menschen in eine Schublade packt und denkt, sie müssten sich entsprechend verhalten. Wenn unsere Erwartungshaltung ist, dass Flüchtlinge dankbar und demütig sein sollen, kann es schnell zu Missverständnissen kommen. Wenn man Flüchtlinge zum Beispiel als Nachbarn hat, sollte man ihnen begegnen wie jedem anderen Nachbarn auch. Am Ende hat das alles gar nicht so viel mit den großen Fragen der Migration zu tun, sondern mit individuellen Einstellungen.

Mit den meisten anderen Nachbarn teilt man aber die Sprache.

Sprache kann natürlich ein Hindernis sein. Es gibt aber auch Menschen, die sich schnell mit fünf Worten und Händen und Füßen verständlich machen können.

Wie lange dauert es, bis Flüchtlinge in Deutschland wirklich ankommen?

Integration passiert über mehrere Generationen. Die erste Generation, die Erwachsenen, können sich nur bedingt hier einfinden. Wie gut sie das schaffen, hängt dabei vor allem von ihrem Status ab: Migranten müssen eine Chance haben, Arbeit zu finden, vor allem brauchen sie eine Bleibe­perspektive. Man sollte nicht den Fehler machen, diese Menschen auf Dauer mit einem prekären Status zu versehen.

Weil es dann zu einer Konkurrenzsituation zwischen sozial schwachen Bürgern und Flüchtlingen kommt?

Für diese Konkurrenzsituation wurden über Jahrzehnte hinweg die Weichen gestellt. Und jetzt heißt es wieder, wir müssen Wohnraum schaffen. Das hat man in den letzten Jahren aber vernachlässigt. Ich fände es richtig, jetzt zu sagen: Wir belassen es nicht dabei, diese Krise, die als kurzfristiges dramatisches Ereignis gesehen wird, lösen zu wollen. Sondern wir denken und handeln nachhaltig, investieren in den sozialen Wohnungsbau. Dafür muss es erst den politischen Willen geben, eine aktivere Sozialpolitik zu betreiben. Da bin ich allerdings skeptisch.

Den Leuten wird immer noch suggeriert: Das mit den ­Flüchtlingen geht wieder vorbei.

Und darin liegt auch das Pro­blem. Migration darf nicht mehr als ein punktuelles Ereignis verstanden werden, sondern als längerfristige Bewegung. Darauf müssen sich sowohl die ­Politik als auch die Bürger einstellen.

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