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Zwischen Sozialarbeit und MissionSeife, Suppe, Seelenfänger

Mit Fokus auf Hamburg hat das Recherchekollektiv Fundiwatch christlichen Fundamentalismus in Sozialprojekten erforscht – und mahnt zu mehr Aufklärung.

Die Botschaft am Haus der Heilsarmee in St. Pauli ist deutlich. Soziale Arbeit als Türöffner für die Missionsarbeit ist schon alt Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Bremen taz | Der Schwerpunkt liegt auf Hamburg: Eine Untersuchung über „christlichen Fundamentalismus und soziale Arbeit“ hat jetzt das Recherche-Kollektiv „Fundiwatch“ veröffentlicht. 73 Seiten hat die Online-Broschüre, gefördert von der Stadt Hamburg und im Ehrenamt erstellt von Zoe Luginsland, Matthias Pöhl und Ruby Rebelde. Sie beleuchten das Thema sachlich und differenziert, und stellen gleich zu Beginn klar, dass sie für Religions- sowie Meinungsfreiheit einstehen.

„Nicht die religiöse Überzeugung der einzelnen Ak­teu­r:in­nen ist das Problem“, heißt es im Vorwort, „sondern die Vermischung von Glaube mit professionell anmutender Sozialer Arbeit sowie die Anwendung fragwürdiger Methoden und Interventionen.“ Es sei dringend geboten, genauer hinzuschauen, welche Ak­teu­r:in­nen mit welchem Ziel und welchen Methoden sozialarbeiterisch tätig sind. Der Fokus der Studie liegt auf evangelikalen und freikirchlichen Bewegungen – die Stu­di­en­au­to­r:in­nen weisen aber darauf hin, dass auch in den Amtskirchen fundamentalistische Strömungen existieren.

Insgesamt beobachten die Au­to­r:in­nen ein „Vordringen christlich-fundamentalistischer Netzwerke“ sowie erfolgreiche Etablierungsversuche. Durch diese Entwicklung entstünden „Konflikte über reproduktive, sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung“: Christlicher Fundamentalismus zeichnet sich durch ein rigides Gesellschaftsbild aus. „Erkenntnisse und Liberalisierungsprozesse rund um Gender, queere Vielfalt, Schwangerschaftsabbruch, Scheidung, Ehe, Sexualität und Familie werden […] als Symptom der Sünde gedeutet“, heißt es dazu auf der Website der öffentlich geförderten Sekteninfo NRW.

Bekannt sind Seminare, in denen Homosexuelle zur Heterosexualität bekehrt werden sollen und Vereine, die vorgeben, eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu sein und Frauen zum Austragen einer Schwangerschaft überreden. Was aber in manchen christlichen Jugendtreffs geschehe, bleibe meistens verborgen, sagt Matthias Pöhl, einer der Au­to­r:in­nen der Studie. „Ich möchte mir nicht vorstellen, wie es Jugendlichen dort geht, wenn sie merken, dass sie auf das eigene Geschlecht stehen oder nicht ins Mann/Frau-Raster passen.“

Bibeltreues Leben als Lösung für alles

Ein weiteres Problem der christlich-fundamentalistisch geprägten sozialen Angebote: Die Gefahr von Abhängigkeitsverhältnissen bei der Zielgruppe. Zwar bestehe dieses Problem grundsätzlich in der sozialen Arbeit; doch im Normalfall gebe es einen – wenn auch nicht verbindlichen – Konsens über ethische Standards wie die Achtung der Selbstbestimmung der Kli­en­t:in­nen. Ein wissenschaftlich fundiertes Handeln könne dagegen nicht gegeben sein, wenn etwa Traumafolgestörungen mit Gebeten behandelt werden, die Dämone vertreiben sollen.

Von Autonomie wiederum könne keine Rede sein, wenn So­zi­al­ar­bei­te­r:in­nen persönliche Überzeugungen nicht zurückstellen und Kli­en­t:in­nen eine Lösung für all ihre Probleme vorgeben: Hier das Bekenntnis zu Jesus und ein bibeltreues Leben. Zudem bestünden bei christlichen Fundamentalist:in­nen in der Sozialen Arbeit „häufig Zweifel, ob ein professionelles Nähe-Distanz-Verhältnis gewahrt wird“, schreiben die Autor:innen.

Die Gefahr von Abhängigkeitsverhältnissen, die unter anderem sexuelle Gewalt befördern, sei in der Sozialen Arbeit hoch, weil sich die Kli­en­t:in­nen „in Umbruchs- und Orientierungsphasen“ befänden. Auffällig sei, dass sich viele christlich-fundamentalistische Ak­teu­r:in­nen Zielgruppen aussuchen, die sich in extremer Not und bestehenden Abhängigkeitsverhältnissen befinden: „Sie missionieren in Gefängnissen, unter Obdachlosen und Drogengebrauchenden, auf dem Straßenstrich und in Bordellen.“

In Hamburg übten so St. Pauli und die Reeperbahn „durch ihren Ruf als ‚Sündenmeile‘ eine besondere Faszination auf christliche Fun­da­men­ta­lis­t*in­nen aus“, heißt es in der Studie. Dazu gehören ältere Projekte wie die Heilsarmee, deren missionarische Ausrichtung in der Öffentlichkeit für die Au­to­r:in­nen bis heute nicht ausreichend kritisch hinterfragt werde. Aber auch eine Reihe neuerer missionarisch auftretender (Frei-)Kirchen und Pre­di­ge­r*in­nen gehört dazu.

Mit dem Thema Zwangsprostitution und Menschenhandel hätten diese evangelikalen Akteure Anschluss an feministische Diskurse gefunden, heißt es im Bericht, sowie ein offenes Ohr bei Po­li­ti­ke­r:in­nen der Volksparteien. So nahmen im vergangenen Jahr an einer von christlich-fundamentalistischen Gruppen ausgerichteten Tagung zum Thema in Süddeutschland Abgeordnete von SPD und CDU teil.

Die Angebote der Evangelikalen füllen Lücken des Staates

Dort trat auch die Hamburger Missionarin Gaby Wentland auf. Sie ist Gründerin und Vorstandsvorsitzende des Vereins „Mission Freedom“, der unter anderem „Schutzhäuser“ für ausstiegswillige Prostituierte betreibt. 2013 stellte der Hamburger Senat klar, dass Mission Freedom keine öffentlichen Gelder bekomme, da dessen Arbeit nicht den notwendigen Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen entspreche.

Allerdings betreibt der Hamburger Verein mittlerweile über die Tochtergesellschaft „Himmelsstürmer Deutschland“ eine vollstationäre heilpädagogisch-therapeutische Einrichtung im Allgäu, für schwer traumatisierte Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren. Der Staat zahlt also für die Unterbringung von Schutzbefohlenen in einem Heim, dessen Arbeit Fachleute für unprofessionell halten.

Dass die Betriebserlaubnis erteilt wurde, habe wohl auch damit zu tun, dass es den Bedarf gebe, sagt Matthias Pöhl, der zu der Einrichtung recherchiert hat. Diese Gruppen könnten mit Spenden von internationalen Gleichgesinnten den Aufbau von Angeboten finanzieren und so Lücken füllen. „Wenn die dann noch sagen, sie würden sich an christlichen Werten orientieren, klingt das für viele erst mal gut.“ Schließlich, so auch die Broschüre, ist Soziale Arbeit historisch eng mit der Kirche verwoben.

Wie rückständig die Arbeit sei, werde auch dadurch verschleiert, dass christlich-fundamentalistische Ak­teu­r­­*in­nen „zunehmend eine maskierende, modern anmutende Sprache“ nutzten, schreiben die Autor:innen. Den Anstrich der Seriösität verleihe darüber hinaus auch die Mitgliedschaft in Wohlfahrtsverbänden. Seit etwa 13 Jahren gebe es dort eine Aufnahmewelle.

Fundiwatch kommt zu dem Schluss, dass es dringend einerseits mehr Forschung zu Strategien und Wirken des christlichen Fun­da­men­ta­lis­mus brauche und andererseits eine informierende Koordinationsstelle. Angesichts der zahlreichen Beispiele dafür, wie in Europa christliche Fun­da­men­ta­lis­t:in­nen teils in enger Verflechtung mit Rechts­ex­tre­mis­t:in­nen Einfluss nehmen auf Gesetzgebungsverfahren oder aktuell auf die Wahl einer deutschen Verfassungsrichterin ist es in der Tat verwunderlich, dass Ver­fas­sungs­schüt­ze­r:in­nen zwar Erkenntnisse über muslimische Fun­da­men­ta­lis­t:in­nen veröffentlichen, nicht aber zugleich über christliche.

Fundiwatch erklärt auch die Attraktivität dieser Gruppen: „In Zeiten gesellschaftlicher Krisen und wachsender Unsicherheitsgefühle und subjektiver Ängste verfangen vereinfachende Angebote, die Komplexität reduzieren.“ Darin unterscheiden sich Fun­da­men­ta­lis­t:in­nen von anderen Christ:innen. Letztere bieten keine große Erzählung vom Kampf Jesu und seiner An­hän­ge­r:in­nen gegen den Teufel und alle, die sich von ihm „verführen“ lassen – oder kürzer: von Gut gegen Böse.

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