#aufschrei bei der SPD-Fraktion: Die Masken fallen

Die SPD-Bundestagsfraktion beschäftigt sich mit dem alltäglichen Sexismus. Beim ersten Fachgespräch wurden frustrierende Erfahrungen ausgetauscht.

Der gesellschaftliche Diskurs ist auch in der SPD-Bundestagsfraktion angekommen. Bild: dpa

BERLIN taz | Die Idee hatte der Chef. Als vor vier Wochen die #aufschrei-Debatte in den Medien und im Netz hochkochte, regte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier an, auch die SPD-Fraktion sollte sich mit dem Thema Sexismus befassen, da scheine es ein Bedürfnis zu geben. Am Mittwoch nun fand in Berlin das erste öffentliche Fachgespräch statt, Thema: „Wie sexistisch ist unsere Gesellschaft?“

Auf dem Podium saßen Leute, die es wissen müssen. Da war Anne Wizorek, jene Bloggerin, die den Twitter-#aufschrei initiiert hat. Außerdem Christine Lüders, die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, sowie Karin Schwendler, bei Verdi zuständig für Frauen- und Gleichstellungspolitik. Vizefraktionschefin Christine Lambrecht, die die Diskussion moderierte, wünschte sich „eine Bestandsaufnahme der Situation“. Wer hat welche Erfahrungen gemacht? Warum twittern die Betroffenen lieber, statt sich an die Antidiskriminierungsstelle zu wenden?

Anne Wizorek erklärte gleich zu Beginn, dass die Debatte der letzten Wochen Männern zu der Erkenntnis verholfen habe: „Frauen leben eine andere Realität.“ Spätestens jetzt habe jeder verstanden, dass hinter dem Brüderle-Gate „mehr steckt als die berühmten Einzelfälle“. #aufschrei sei dermaßen durch die Decke gegangen, weil es um selbst erlebte Geschichten geht, „nicht um Statistik und feministische Theorien. Wir müssen jetzt aber an dem Thema dranbleiben.“

Scham, Selbstekel, Essstörungen

Christine Lüders von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sagte, seit #aufschrei bekomme ihre Behörde mehr Anfragen. Denn obwohl im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz die Rechtslage bis ins kleinste geregelt sei, trauten sich die meisten Betroffenen nicht, Herabwürdigungen öffentlich zu machen. Die Folgen seien Scham, Selbstekel, Essstörungen – und der Reflex, sich selbst in Frage zu stellen. Den Opfern sei „mit ein paar Flyern oder Twitter“ nicht geholfen. Lüders forderte, der Antidiskriminierungsstelle endlich auch ein Klagerecht einzuräumen; in vielen Ländern Europas sei das üblich.

Verdi-Frau Karin Schwendler zitiert eine Erhebung der Gewerkschaften, laut der sechzig Prozent aller Frauen in ihrem Arbeitsleben sexuelle Belästigung erlebt haben. „Doch nur sechs Prozent beschweren sich tatsächlich.“ Es sei erschütternd, dass sich im Zusammenleben zwischen Männern und Frauen noch immer so wenig verändert habe. Ihr sei daran gelegen, dass die #aufschrei-Debatte „jetzt nicht so 'n Sechswochending bleibt“. Die Frauenquote müsse endlich her, um Lebenswirklichkeiten nachhaltig zu verändern. „Und bitte keine Selbstverpflichtungen mehr! Sonst dauert das wieder 200 Jahre.“

Einfach wehren

Eine junge Frau aus dem Publikum berichtet von ihren frustrierenden Erfahrungen mit der Debatte; selbst Freunde, von denen sie das nicht erwartet habe, hätten argumentiert, Frauen sollten sich einfach wehren. „Mir gehen die Argumente aus“, sagt sie. Bloggerin Anne Wizorek antwortet. Bei diesem Thema „fallen schnell die Masken“. Sie selbst wird seit #aufschrei im Netz herabgewürdigt und persönlich angegriffen. „Es ist ein Symptom für den Stand der Debatte, wie weibliche Meinungen wahrgenommen werden“, sagt die 31-Jährige, „man muss sich einfach mal fragen: Was sind das für Typen?“

Kommende Woche Mittwoch setzt die SPD-Fraktion ihre Fachgesprächsreihe fort. Dann diskutieren die Frauenpolitische Sprecherin Caren Marks und Fraktionsvize Dagmar Ziegler unter der Überschrift „Was heißt hier eigentlich Herrenwitz?“ über Konsequenzen aus der Sexismus-Debatte. Anschließend feiert die Fraktion den Internationalen Frauentag. Mal schauen, wer von den männlichen Abgeordneten kommt, und zwar zu beiden Terminen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.