vonHelmut Höge 16.11.2006

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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Rechtzeitig zum Prozeßbeginn gegen den mutmaßlichen Millionenveruntreuer bei VW Peter Hartz schickte mir der ehemalige DGB-Teamer Willi Hajek einen Text, der sich u.a. mit dem Elend der deutschen “Arbeitsämter”, die jetzt “Agenturen für Arbeit” heißen, befaßt. In Polen durfte seinerzeit niemand in deutschen Arbeitsämtern arbeiten – er wäre sonst als übler Kollaborateur zur Verantwortung gezogen worden. In der Ukraine galt sogar die Partisanenparole “Für die Arbeitsämter darf es kein Pardon geben”, d.h. sie wurden, wo das möglich war, in die Luft gesprengt. Über die deutschen Arbeitsämter in Böhmen und Mähren, die damals u.a. von Hanns-Martin Schleyer befehligt wurden, hat die Zeitschrift “Aktion” gerade einen erhellenden Text von Karl-Heinz Roth veröffentlicht. In Neudeutschland sind wir z.Zt. bei der Kampf-Kritik-Umgestaltungskampagne für die Arbeitsagenturen noch in der Vorphase der Materialsammlung, die aber schon gehörig wütend macht.

In Willi Hajeks Text heißt es einleitend: Erwin Bixler, kleiner Beamter, wollte nicht mehr schweigen, nicht mehr Komplize sein. Ein mutiger Schritt. 10 Jahre hatte er schon mit sich gerungen, dann wagte er den Schritt. Interne Kritik war vergeblich. Er belegte sehr genau, wie die Arbeitsämter die Vermittlungen aufblähten. Aufgegriffen und verbreitet von Monitor unter vielen Menschen. Jagoda, der damalige Chef der Agentur für Arbeit musste gehen. Gerster kam und danach die Hartzgesetze.  “Ich kann mich noch sehr gut an den Moment erinnern, wo ich mir gesagt habe: Jetzt geht’s los. Das war drüben im Heizraum, ich habe eine Zigarette geraucht, und die einzige Überlegung, die ich hatte, war: Ich bin Beamter auf Lebenszeit, ich begehe kein Verbrechen, wofür sie mich einbuchten können oder aus dem Beamtenverhältnis entlassen können. Das war meine Absicherung. Und so habe ich losgeschrieben.”

Aber die undichte Stelle, der couragierte, nicht-untertänige, ungehorsame Beamte, wurde nicht belobigt wegen seiner Zivilcourage, sondern von Leitung und Kollegen verfolgt, schikaniert. Stress und Ausgrenzung machten ihn krank. Viele wussten es und schwiegen. Ein totalitäres Schweigen. Kaum Unterstützung in der Behörde. Aber und genau das ist wesentlich, vor allem nicht aufgegriffen von den Gewerkschaften und den gewerkschaftlichen Akteuren in der Agentur selbst, die diesen Versuch der Kritik an den offiziellen Darstellungen und an den Manipulationen der Statistiken spontan hätten unterstützen müssen. Ein solidarischer Aufschrei hätte durch die Mitarbeiter der Behörde, durch die Gewerkschaftslandschaft gehen müssen. Nichts davon. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Verkünder der unzulässigen Wahrheit verfolgt. Ein Teil der Kollegen beschimpfte ihn als Nestbeschmutzer. Er galt in diesem Korpsgeist als Verräter und Deserteur. Bericht – Frankfurter Fairness-Stiftung:

Februar 2002 – für die Arbeitsämter ein Datum ab dem nichts mehr so war wie vorher. Wir erinnern uns: Vier Millionen Arbeitslose, und die Bundesanstalt für Arbeit behauptete, es würden gleichzeitig zwei Millionen Jobs im Jahr vermittelt. Doch die Statistik war gefälscht. Die Affäre hat ein kleiner Beamter ausgelöst. Erwin Bixler, Revisor im Landesarbeitsamt in Saarbrücken hatte sich entschlossen, nicht länger zu schweigen. Der damalige Präsident der Bundesanstalt Bernhard Jagoda musste nach Bixlers Enthüllungen zurücktreten. Der Skandal machte Florian Gerster zeitweise zum neuen Präsidenten und schließlich Peter Hartz zum Reformguru der Schröder-Regierung. Um den Mann ist es heute still geworden. In den letzten zwei Jahren hat Erwin Bixler geschwiegen und wollte Abstand gewinnen. Vergeblich. Auch wenn man es ihm nicht ansieht, der Stress und die Ausgrenzung an der Arbeitsstelle machten ihn zeitweilig schwer krank. Angefangen hatte alles mit einer Pressekonferenz in seinem Wohnzimmer. Die Reporter hatten von seinen Enthüllungen Wind bekommen. Jetzt konnte er nicht mehr zurück. Der Schritt in die Öffentlichkeit fiel ihm nicht leicht. Zehn Jahre lang hatte Erwin Bixler mit sich gerungen, bis er es wagte, den Skandal ans Licht zu bringen. Und zwar direkt ans Kanzleramt. Weil jahrelange interne Kritik vergeblich war. In seinem Brief belegte Bixler, wie die Arbeitsämter ihre Statistiken durch fingierte Geschäftsvorgänge und fiktive Stellenangebote beschönigten. Der Stress warf ihn aus der Bahn. Drei Monate war Erwin Bixler krank. Dann, als er wieder an das Arbeitsamt Saarbrücken zurückkehrt, beginnt für ihn ein Spießrutenlauf. Zunächst wird er an eine Stelle versetzt, die überhaupt nicht seinen Neigungen entspricht, wie er sagt. Auch sind seine dienstlichen Beurteilungen plötzlich schlecht, nachdem sie 20 Jahre immer sehr gut waren. Das heißt auch Einbußen bei Gehaltserhöhungen.

Aber das Schlimmste sind indirekte Anfeindungen wie dieser Brief eines Arbeitsamtsdirektors an die Mitarbeiter: ‘Entsetzt und wütend bin ich über die Penetranz und Hartnäckigkeit, mit der Herr Bixler, Mitarbeiter der Innenrevision im LRA, Landesarbeitsamt, für die Sauberkeit der Statistik kämpfte, und in welcher Art er in Berlin empfangen wurde. Empörend seine jetzigen larmoyanten Beteuerungen, um seine Dienstpflichten nicht zu verletzen hätte er diesen Weg, den ich als Denunziantentum bezeichne, wählen müssen’.  In diesen Monaten stand Erwin Bixler alleine da. Er hätte dringend professionelle Hilfe gebraucht, wie sie die Frankfurter Fairness-Stiftung bietet. Hier wird beraten, wer illegale oder unethische Missstände aufdecken möchte. Viele Anrufer möchten anonym bleiben, weil sie Angst vor beruflichen Nachteilen haben.

Aber dennoch hat Erwin Bixler eine mutige Nachfolgerin gefunden – in einer  anonymen Kollegin vom Arbeitsamt, die der Schriftstellerin Gabriele Goettle einen Bericht aus dem Innenleben der Behörde geliefert hat (taz vom 29.8.05). Der Artikel hat den Titel: Produktion von Parias/ Bericht aus den Eingeweiden der Arbeitsagentur

“Was für ein glücklicher Tag für alle Arbeitslosen” (Peter Hartz)

Die Vorläufer der Arbeitsämter wurden im Aufwind der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung bereits Ende des 19. Jahrhunderts von der ersten Frauenbewegung gegründet. Ziel war die Berufsförderung von Frauen und Hilfe für die Arbeitslosen. Staatliche Arbeitslosenpolitik realisierte sich erst 30 Jahre später:  1927 wurde die Reichsanstalt f. Arbeitsvermittlung u. Arbeitslosenversicherung gegründet, um das Risiko der Arbeitslosigkeit abzusichern.  1933 Gleichschaltung d. Reichsanstalt, Abschaffung d. freien Berufswahl zu Gunsten d. “Lenkung der Arbeitskräfte”, (Einführung v. Arbeitsdienst usw.)  1938 Einführung d. Arbeitspflicht. Nach Kriegsbeginn waren die Arbeitsämter auch i. d. überfallenen und besetzten Ländern für Rekrutierung, Organisation u. Verteilung der Zwangsarbeiter für die Kriegswirtschaft im Reich zuständig.  1952 Neugründung der Bundesanstalt f. Arbeitsvermittlung u. Arbeitslosenversicherung.  1969 Mit d. Verabschiedung d. Arbeitsförderungsgesetzes (mehr Dienstleistungsbehörde) Umbenennung i. Bundesanstalt für Arbeit (mit neuem roten Logo A)  2004 Im Rahmen der Umsetzung d. “3. Gesetzes f. moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt” (Hartz IV) Umbenennung u. Umorganisierung d. Anstalt in eine Bundesagentur für Arbeit. Kürzung d. Leistungsdauer aus d. Sozialversicherung, Zusammenlegung v. Arbeitslosengeld u. Arbeitslosenhilfe zum Alg II (einer knapp bemessenen Fürsorgeleistung auf Sozialhilfeniveau) für alle Langzeitarbeitslosen; Abschaffung d. freien Berufswahl; Zumutbarkeit jeder Arbeit bis an die Grenze zur Sittenwidrigkeit; 1-Euro-Arbeitspflicht; Anwendung repressiver Mittel mit Zwangscharakter. Härtester Sozialeinschnitt i. d. Nachkriegsgeschichte.  Von den 15 (bis auf eine Frau) männlichen Mitgliedern der Hartz-Kommission, die dieses Gesetzeswerk erarbeitet haben, waren mehr als die Hälfte Wirtschaftsmanager. McKinsey war auch dabei.

Frau K. ist Beamtin, Anf. 60, und arbeitet in einer Arbeitsagentur in einem der alten Bundesländer. Sie möchte aus nahe liegenden Gründen hier anonym bleiben.  “Sie haben angedeutet, dass Sie zahllose schlechte Erfahrungen seit der Einführung von Hartz IV gemacht haben?” Frau K. sagt heftig: “Nein, ich mache nicht zahllose, ich mache vor allem eine grundsätzliche, hässliche Erfahrung, und das ist die der Würdelosigkeit. Die ist quasi schon per Gesetz so angelegt und zusätzlich wird sie dann noch durch schlecht qualifizierte Kollegen verschärft. Dem Arbeitslosen ist seine Würde aberkannt worden … das schlägt natürlich auch auf uns zurück, ich habe eine richtige Wut im Bauch! Und da stehe ich nicht alleine. Aber es sind hauptsächlich die Älteren, die, so wie ich, vor der Pensionierung stehen, die noch die alte BA- Haltung vertreten, also die Haltung aus den 70er-Jahren, wo sich die BA wirklich noch gekümmert hat um die Arbeitslosen. Und auch in den Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit hatten die Vermittler diese – ich will mal sagen – solidarische Einstellung.

Aber seit eine Reform nach der anderen durch die Behörde jagt, seit es immer mehr um die Verschönerung der Statistik geht, um betrügerische Manipulationen, siehe Jagoda usf., weht bei uns ein ganz anderer Wind. Heute ist es so, dass wir ganz unmittelbar zu Mittätern beim Sozialraub gemacht werden. Das Ganze wird als größte Arbeitsmarktreform Deutschlands angepriesen, von zwei Millionen neuer Arbeitsplätze war die Rede, ,fördern und fordern’ lautet die Devise. Wo gefördert wird in diesem Land, haben wir gesehen, als gleichzeitig mit Hartz IV die 3. Senkung des Spitzensteuersatzes beschlossen wurde. Unten jedenfalls wird ,gefordert’.

Das Ganze ist zugleich auch eine Vereinigung von zwei Behörden, sozusagen, denn durch den Kompromiss sind die Kommunen mit ins Boot genommen worden. Das hat natürlich zu enormen zusätzlichen Kosten und Chaos geführt. Mitarbeiter aus den Sozialämtern und viele Mitarbeiter aus der Arbeitsagentur wurden für Hartz IV in die neu geschaffenen ARGEs (Arbeitsgemeinschaften zur Grundsicherung für Arbeitssuchende, oder Arbeitsgemeinschaft SGB II) umgesetzt, dazu kamen noch mal 3.000 Hilfskräfte aus den kurz vor der Pleite stehenden ehemaligen Betrieben, Telekom, Deutsche Bahn, Deutsche Bundespost, da gibt’s ja einen riesigen Beamtenpool, für den man bisher keine Verwendung hatte, nach der Privatisierung. Und so kam es, dass ein beamteter Starkstromtechniker aus Wuppertal plötzlich in Berlin als Sachbearbeiter auftauchte, nach einer Kurzschulung. In den ARGEs besteht das Riesenproblem vor allem darin, zwei Arbeitskulturen aus zwei unterschiedlichen Behörden zusammenzuführen.

Das hat es ja noch nie gegeben in der Geschichte der Bundesrepublik, dass kommunale und Bundesbehörden zusammengeführt werden. Und wie es bei Beamten ist, einer kämpft gegen den anderen, die eine Arbeitskultur kämpft gegen die andere, angefangen mit der Frage, wie man eine Akte führt, und wer das Sagen hat. In den Händen der BA war das Ganze ja eine glasklare, professionelle Angelegenheit. Damit ist es vorbei.  Die Zeit vom Juni bis Dezember 2004 war der reinste Horror, die Bearbeitung der ersten Anträge auf Alg II, also auf das Arbeitslosengeld II. Es musste in großer Geschwindigkeit gearbeitet werden, Anträge durchsehen, sind alle Unterlagen vorhanden – das ist ja ein 16-seitiger Antrag, zu dem vielfältige Unterlagen beizubringen sind. Und die Auflage aus Berlin: Am 3. Januar müssen überall die Gelder auf den Konten sein, damit kein politisches Desaster entsteht! Unter diesem Zeitdruck ist unheimlich schlampig gearbeitet worden, es gab 15 Prozent und mehr Ablehnungen. Innerhalb der BA gab es eine heftige Leistungskontrolle, täglich wurde Statistik geführt über die Antragsbearbeitung. Es wurden Sonderschichten eingeführt, auch Wochenendarbeit, und es gab diese irrsinnigen Probleme mit der Software, die ja bis heute nicht läuft.

Also, dass der Laden nicht vollkommen zusammenbrach, ist nur den Mitarbeitern zu verdanken. Und ein kleiner Teil ist hoch motiviert, der denkt trotz aller Überlastung an die Leute draußen. Ein Hardliner in der Behörde, der kann diesen Übergangszustand nutzen für Härte und Strenge und zum Vorführen der Kunden – wir nennen die Arbeitslosen nämlich Kunden. Die wohlmeinenden unter den Kollegen können, in aller Stille, die gesetzlichen Vorschriften im Sinne des Kunden auslegen. Die Machtbefugnis ist erschreckend groß. Also der Punkt ist, und das muss man einfach sagen, der Charakter eines Mitarbeiters entscheidet unter Umständen über Leben und Tod, er kann einen Suizid auslösen. Er kann jemanden depressiv machen oder einen potenziellen Gewalttäter durch Demütigungen zu einer tickenden Zeitbombe machen. Er hat die Macht, Schicksale zu erzeugen.

Und der andere Punkt ist der Druck, unter dem diese ganze Angelegenheit steht, auch unter dem Druck, die Wahrheit zu verheimlichen. So entsteht ein scharfer Korporationsgeist, wie bei der Polizei, Kritik wird nicht geduldet. Das ist unerträglich! Der politische Druck wird, ausgehend von Berlin, auf die Spitze der Behörde ausgeübt und von da weitergegeben, bis ganz nach unten, bis zum Kunden letztendlich. Und der schweigt und ist erschüttert.  Jeder, der mindestens drei Stunden pro Tag arbeiten kann, gilt als ,erwerbsfähig’, das ist sozusagen ein Hauptbestandteil von Hartz IV. Und dadurch, dass es für erwerbsfähige Sozialhilfeempfänger keine Sozialhilfe mehr gibt, sondern Alg II, wurden plötzlich ca. 90 Prozent der Sozialhilfeempfänger, auf einen Schlag sozusagen, zu erwerbsfähigen Arbeitslosen. Man war stolz auf den Rückgang der Zahl an Sozialhilfeempfängern um 90 Prozent. Dass durch die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe natürlich die Arbeitslosenstatistik enorm steigen wird, hat man offenbar nicht erwartet. Da gab’s Geschrei.

Man wollte einfach nicht sehen, die Leute waren ja schon vorher arbeitslos! Es hat aber keinen interessiert, sie waren ja unsichtbar, zu Lasten der Kommunen. Dazu kommt die Masse der Leute, also der Arbeitslosen, die bisher Arbeitslosenhilfe bezogen haben -Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe wurden ja nach SGB III abgehandelt – also die bekommen jetzt auch Alg II. Nur für die Anspruchsberechtigten gibt es weiterhin Arbeitslosengeld I nach SGB III, aber die Anspruchsdauer hat sich stark verringert – auch hier hat man eine dicke Salamischeibe abgeschnitten im Rahmen der Umverteilung von unten nach oben. Ausgenommen sind für eine Übergangszeit die über 58-Jährigen, sofern sie nach Paragraf 428/SGB III unterschrieben haben, das heißt, sie konnten Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zu “erleichterten Bedingungen” beziehen, also Urlaubsanspruch, keine Meldepflicht, keine Eigenbemühungen usw., und dafür müssen sie a) zum frühestmöglichen Zeitpunkt in Rente gehen und b) als ,Arbeitssuchende’ weiterhin den Vermittlungsservice der Agentur in Anspruch nehmen, das ist nur so pro forma. Worum es eigentlich geht, die sind dadurch außen vor, die zählen nicht mehr als Arbeitslose, sondern nur noch als Arbeitssuchende.

Das ist der statistische Trick, die fliegen aus der Statistik raus! Dann kommen noch dazu all diejenigen, die in einer Trainingsmaßnahme sind, Leute in Fortbildung und Umschulung. Die dritte Gruppe, die aus der Statistik verschwindet, ist die mit den 1-Euro-Jobs, der ,Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung’ Paragraf 16 Abs. B SGB II, wie die Euro-Jobs im Amtsdeutsch heißen – oder auch nur Arbeitsgelegenheiten, Aktiv-Jobs, Zusatz-Jobs, es gibt bundesweit keine Sprachregelung. 200.000 Arbeitslose wurden bereits in 1-Euro-Jobs vermittelt, 600.000 sollen es werden, bundesweit.  Bevor ich näher auf die 1-Euro-Jobs eingehe, möchte ich kurz noch was zum Alg II sagen, nur so zum Grundverständnis. Also die Regelleistung beträgt 345 Euro in den alten Bundesländern einschließlich Berlin Ost, und 331 Euro in den neuen Bundesländern, für einen Singlehaushalt. Diese Kosten trägt der Bund. Die Kosten für die Unterkunft, die maximal 50 Quadratmeter, bei selbst genutzten Eigentumswohnungen 120 Quadratmeter, haben darf für eine Einzelperson, werden von den Kommunen getragen – bis auf die Ausnahmen der Optionskommunen, die noch beides machen. Die Kosten der Unterkunft setzen sich aus Miete und Heizkosten zusammen, plus der üblichen Betriebskosten. Die Kaltmiete soll den Betrag von 245 Euro nicht überschreiten. Die Kosten für Haushaltsstrom und Warmwasserzubereitung sind übrigens in der Regelleistung von 345 Euro bereits enthalten, was ja eigentlich eine Wohnung mit Bad überflüssig macht. Ist ein Bad angemessen? Das müssen Sie selbst entscheiden. Angemessen ist eines der meistgebrauchten Wörter. Angemessen im Vergleich wozu? Das Wort ist aus der Sozialhilfe mitübernommen worden. Angemessen ist für jeden Langzeitarbeitslosen künftig der Haushalt eines Sozialhilfeempfängers, weil er dem Alg II zugrunde gelegt wurde.

Im Moment gibt es noch zahlreiche Erleichterungen, Zusatzleistungen, Übergangsregelungen, aber ab 2006 ist das vorbei, dann wird es ernst. Man hat zwar beteuert, man wolle Härten vermeiden, aber gerade die Härten sind ja das Grundprinzip der ,Arbeitsmarktreform’, die Privatisierung der sozialen Risiken ist auf dem Weg! Und Alg II ist ja keine Versicherungsleistung, sondern eine steuerfinanzierte … Fürsorgeleistung will ich es mal nennen, ein Almosen eigentlich. Und Fürsorgezöglinge bzw. Almosenempfänger dürfen sich nicht wundern, wenn sie hart rangenommen werden. Eines der vier Kriterien für Alg II ist ,Hilfsbedürftigkeit’. Ein ,EHB’, also ein erwerbsfähiger Hilfsbedürftiger, der um Almosen ansucht, kann sich nicht gleichzeitig hinstellen und sagen, ich möchte also weiter als Kunstpädagoge arbeiten, das habe ich studiert … Ja soll denn die Allgemeinheit Ihre luxuriösen beruflichen Erwartungen finanzieren, diese Zeiten sind vorbei, Sie müssen sich jetzt schon auch die Finger schmutzig machen, wie jeder andere auch! So. Das zum Beispiel meinte ich mit der Würdelosigkeit.

Also der Hebel, an dem die ganze Sache psychologisch funktioniert, ist ,Hilfsbedürftigkeit’ und ,Almosenempfänger’, mit diesem moralischen Druck stopft man den Leuten das Maul.  Also man bekommt diese Sozialleistung nur dann, wenn man hilfsbedürftig ist, und zwar mit der Auflage, diese Hilfsbedürftigkeit durch egal was – wenn nicht aufzuheben, dann wenigstens zu mindern, sozusagen als Gegenleistung, denn es gehört sich einfach so. Zumal es für alle erwerbsfähigen Hilfsbedürftigen ja auch noch die ,soziale Absicherung’ gibt. Auf der Basis der Mindestbeiträge wird von der BA Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung abgeführt, was natürlich das Problem endlos nach hinten verlängert. In den Job-Centern, in den ARGEs weiß man natürlich genau, dass es, außer für ein paar gesuchte Fachkräfte, keine Arbeitsstellen gibt. Also wird der Kunde, ohne Ansehen der Person sozusagen, in eine Maßnahme nach Paragraf 16 Abs. 3 SGB II gesteckt, in eine Arbeitsgelegenheit, den 1-Euro-Job, beziehungsweise wird in der Behörde gern vom Aktiv-Job oder Zusatzjob gesprochen.

Bleiben wir bei 1-Euro-Jobs, es handelt sich hier um subventionierte Arbeitsverhältnisse, wirklich sinnvoll daran ist lediglich die Sache ,Zusatzjobs und Bildung’, also wo junge Leute, oft ohne Hauptschulabschluss und Arbeitserfahrung, gefördert werden und rauskommen aus der Lethargie des Nichtstuns. Für viele andere Kunden stellt es sich als 1-Euro-Arbeitsdienst dar. Als pure Maßnahme. Die so genannten Maßnahmeträger sind meist die Kommunen, Kirchen, Vereine, Wohlfahrtsverbände, Archive, Denkmalpflege, Umweltschutz usw., die können bei den Job-Centern Arbeitskräfte anfordern, für all die Tätigkeiten, die zwar wichtig und notwendig sind, aber auf Grund des Niederganges dieser Republik schlicht und einfach nicht mehr finanziert wurden und sich selbst überlassen waren. Es gibt so eine Positiv-negativ-Liste – diese Arbeiten sollen nach dem Gesetz ja ,zusätzlich’ sein und keinen regulären Arbeitsplatz gefährden oder ersetzen – da wurde, in Absprache mit den Handwerkskammern, Unternehmerverbänden, der Wirtschaft, den Kirchen und Wohlfahrtsverbänden eine Liste erstellt, welche Beschäftigung als Zusatzjob in Frage kommt, und welche nicht. Es gibt nur wenige, die nicht in Frage kommen.

Das Kriterium ,im öffentlichen Interesse’ und ,gemeinnützig’ lässt sich ja beliebig ausdehnen. Aus der Arbeitslosenarmee wird so unter der Hand eine Billiglohn-Reservearmee, so wie die Wirtschaft sie braucht. Wir machen dann also mit dem Kunden eine so genannte Eingliederungsvereinbarung über den Zusatzjob, die gilt für 6 Monate, kann verlängert werden, 30 Wochenstunden sollen nicht überschritten werden, damit noch, man höre, Zeit bleibt für Bewerbungen. Und das Schöne, sobald die alle in so einem Zusatzjob sind, gelten die nicht mehr als arbeitslos, sie sind nur ,Arbeitssuchende’ und werden somit aus der Statistik rausgenommen.  Und damit das auch wirklich klappt, hat man Zumutbarkeitsregelungen erlassen, also zumutbar ist jedem Erwerbsfähigen jede Arbeit, auch bei stark untertariflicher Entlohnung bis an die Grenze der Sittenwidrigkeit.

Zumutbar für reguläre Jobs ist Mobilität bis in ein anderes Bundesland, auch Pendelzeiten bis zu drei Stunden täglich sind zumutbar, wenn Arbeit dadurch zu bekommen ist. Die 1-Euro-Jobber, die den Zumutbarkeitsregelungen besonders unterworfen sind, dürfen als kleinen Anreiz die volle Summe des Zuverdienstes behalten, während die Zuverdienstregelung sonst bei maximal 30 Prozent liegt. Falls aber das Zuckerbrot nicht zieht, dann haben wir ja noch die Peitsche in Form der Sanktionen, die regelwidrigem Verhalten und unverschämtem Anspruchsdenken ein Ende machen. Wer zum Beispiel die Eingliederungsvereinbarung verweigert, dem wird sie per Verwaltungsakt festgesetzt und es kommt zu einer 30-prozentigen Leistungskürzung. Bis 100 Prozent bei weiteren Weigerungen. Jugendlichen wird rigoros alles gestrichen. Kosten für Unterkunft und eventuellen Mehrbedarf (bei Diabetes usw.) bleiben erst mal unberührt, schon um Obdachlosigkeit zu verhindern. Jede Strafe gilt für drei Monate.

Es können Sachleistungen, Lebensmittelscheine beantragt werden, aber das wird dem Kunden nicht unter die Nase gehalten, wer’s nicht weiß, muss verzichten. Also es gibt eigentlich keinen triftigen Grund, eine Arbeit zu verweigern, außer Sie sind physisch oder psychisch krank, sind also nicht diese Mindestzeit von drei Stunden täglich erwerbsfähig, dann wird das erst mal überprüft, die Behörde hat einen eigenen medizinischen und psychologischen Dienst, da haben Sie sich vorzustellen zur Untersuchung. Und egal, was an Gutachten von Hausärzten usw. existiert, was an Befunden vorliegt, Sie werden von diesem medizinischen Dienst überprüft und begutachtet. Befindet man Sie als erwerbsunfähig, sind Sie ein Fall fürs Sozialamt, das gibt es für die Nichterwerbsfähigen ja nach wie vor; und für ältere und alte Frauen zum Beispiel, die ganz fürchterlich kleine Renten bekommen, die alle bekommen ,Sozialgeld’, so heißt es jetzt.

Ich möchte noch hervorheben, dass der typische Alg-II-Empfänger, der EHB, der erwerbsfähige Hilfsbedürftige, längst nicht mehr der stark tätowierte Kunde ist, der mit der Bierflasche in der Warteschlange steht, nein, das ist die Krankenschwester, die Kindergärtnerin, die Verkäuferin, das ist der Industriekaufmann, der kleine Selbstständige. Denn es trifft vermehrt auch den Mittelstand, und zunehmend kommen auch Führungskräfte und Akademiker, die alle dem gleichen Ritual unterworfen werden. Und diese Gruppe ist natürlich von Hartz IV besonders getroffen, denn das gehörte bisher eher nicht so zu den Lebenserfahrungen in diesem sozialen Milieu. Also stellen Sie sich eine Führungskraft vor, die durch eine Übernahme oder eine Fusion plötzlich ausgebootet wurde, und weil er schon zu alt war, auch keinen Posten mehr gefunden hat.

Also die Tür geht auf und da kommt dieser typische erfolgreiche Businessman, wie man ihn von Bildern kennt, der kommt herein, Anfang 50, seit eineinhalb Jahren arbeitslos, jemand, der niemals mit der Bahn zur Arbeit gefahren ist – aber Sie können sich ebenso gut einen Journalisten, einen Arzt oder Juristen denken – und der Mann hat natürlich ein entsprechendes Auto, die entsprechende Wohnung, war vielleicht Kunstliebhaber oder bibliophil, hat kleine Schätze, die entsprechende Wohnung, den entsprechenden Lebensstandard, zwei Kinder auf der Uni, geschieden. Und dieser Mann muss nun einen Antrag auf 345 Euro im Monat stellen, und alles offen legen, alles vorlegen! Er weiß, seit dem 1. Mai gibt es kein Bankgeheimnis mehr. Er hat eine 150 Quadratmeter große Luxuswohnung zur Miete. Er hat Zeitungs- und Buchabos, er geht aus, ins Theater, in die Oper usw., das alles konnte er als Empfänger von Arbeitslosengeld und auch bei der abgestuften Arbeitslosenhilfe zahlen, denn er bezog den Höchstsatz. Mit Hartz IV ist das vorbei.

Nun sind all seine Bilder, seine wertvollen Gegenstände und Besitztümer ,in Geld messbare Güter’, die zu berücksichtigen sind bei der Anrechnung aufs Vermögen, die auf dem ,ortsüblichen Markt’ veräußert werden müssen. ,Angemessener’ Hausrat kann behalten werden, also Gegenstände, die zum Wohnen und zur Haushaltsführung ,nötig und üblich’ sind. Unter 58 dürfen Sie ein frei verfügbares Vermögen von 200 Euro pro erreichtem Lebensjahr haben, was drüber geht, wird auf die Gesamtbedarfssumme angerechnet. Ein ,angemessenes’ Auto darf man behalten (Wiederverkaufswert von höchstens 5.000 Euro), Aktien, Fondsanlagen usw. müssen aufgelöst und verwertet werden, auch wenn Verluste entstehen. Also unser Mann wird zuerst sein Vermögen aufbrauchen müssen, wenn das auf null ist, dann würde sein Anspruch wieder aufleben. Das ist natürlich der Moment, wo den Leuten die Tränen in die Augen treten.

Ich will Ihnen die prekäre Lage eines Alg-II-Empfängers mal ganz kurz vor Augen führen, von den 345 Euro bleiben nach Abzug der Heißwasser- und Stromkosten, nach Abzug von Fahrtkosten, Bank- und Praxisgebühren, Grundgebühr für Telefon usw. kaum noch nennenswerte Beträge übrig für Lebensmittel, Tabak, Schwimmbad, Friseur. Da können Sie alles streichen, Zeitung, Bücher, Kultur, Kino, Essen gehen, Kleidung, den schnellen Internet-Zugang, Ihr Auto sowieso. Alg-II-Empfänger mit zu teuren Wohnungen haben ein halbes Jahr Zeit zum Umziehen, irgendwo an den Stadtrand oder in eine Hinterhauswohnung. Also das ist kein Leben, mitten im gesellschaftlichen Reichtum, den diese Herren der Hartz-Kommission ja ganz selbstverständlich und im Übermaß für sich in Anspruch nehmen.

Nein, das ist staatlich verordnetes Vegetieren, jenseits vom normalen – noch normalen – gesellschaftlichen Leben. Was dabei herauskommt, ist die Produktion von Parias. Das ist dem Mittelstand und den gebildeten Schichten immer noch nicht klar, dass die Maßnahmen auch sie erfassen können, deshalb wundert mich eigentlich die Ruhe im Lande.  Sie fragen mich, weshalb ich Ihnen das alles eigentlich erzähle? Die Antwort ist ganz einfach: Ich gehöre zu der Generation, die gelernt hat, dass man zum Unrecht nicht schweigen darf, so wie es die Generation unserer Eltern weitgehend getan hat. Und ich habe schon viel zu lange geschwiegen! Das Problem ist ja nicht neu, das ging ja schon los, als die Massenarbeitslosigkeit unübersehbar wurde, und keiner von uns durfte den Begriff in den Mund nehmen, ich glaube, damals waren es zwei Millionen, am Ende der Ära Schmidt. Und verdoppelt hat Kohl. Schröder hat größtenteils geerbt und die Sache nun vollends in den Sand gesetzt.

Die Rot-Grünen hatten die Chance, was wirklich Modernes zu tun: Einführung eines existenzsichernden, bedingungslosen Grundeinkommens. Das Geld ist da und wird verpulvert. Für den Erhalt von vorsintflutlichen Privilegien. Seit 30 Jahren gibt es keine Demokratie mehr. Auch das fing unter Schmidt schon an, dass ein kanzlerdiktatorischer Staat durchgezogen wird, dass die Verfassung permanent unterhöhlt wird, durch höchstrichterliche Beschlüsse in Karlsruhe, die die Krisenentscheidungen einer der drei Gewalten immer wieder verfassungsmäßig absegnen. Auch das, was der Bundespräsident jetzt zu den vorgezogenen Wahlen gesagt hat, war windelweiches Absegnen. Gleichzeitig gibt der Staat durch Privatisierung viele seiner ureigenen Aufgaben auf, ohne sich legitimieren zu müssen, wozu er denn eigentlich noch da ist in Form einer schwerfälligen, teuren, ineffizienten Bürokratie und Behördenqualle.

Es gibt Gerüchte, dass sich die hohen Herren von Gerling und Allianz in Nürnberg die Klinken in die Hand geben, es geht um die Privatisierung der Arbeitslosenversicherung, um die Privatisierung der Bundesagentur letztlich. Zu all dem darf man einfach nicht schweigen, es belastet mich. Ich bin ja nicht gerade eine Revolutionärin, aber ich habe eigentlich ein ganz klares, nennen wir’s mal ,christlich-protestantisches’ Weltbild, und da geht es zentral um so was wie soziale Gerechtigkeit und Solidarität.  Und deshalb sehe ich natürlich jeden Tag rot, wenn so eine gewaltige Fehlentscheidung wie Hartz IV von uns Beamten durchgeboxt werden soll.

Wir wissen genau, es gibt keine Arbeitsplätze, aber ich stehe unter dem Leistungsdruck, bestimmte Vermittlungszahlen, pro Vierteljahr, pro Halbjahr, pro Jahr zu erbringen. Also bin ich auf das Wohlverhalten, die Fügsamkeit des Kunden total angewiesen. Und dieses Wohlverhalten erzeuge ich, indem ich meinerseits Druck ausübe, oder, was fast noch schlimmer ist, indem ich den Kunden wie einen Menschen behandle. Was aber eigentlich anzustreben ist, er muss vermittelt werden. Und da gibt es eben die ,vermittlungsrelevanten Merkmale’, die datenmäßig erfasst werden. Es gibt Schlüsselkennziffern, mit denen auch jedes Gespräch, das stattfindet, festgehalten wird, und hinter so einer Kennziffer steht zum Beispiel, ich habe dem Kunden einen Vermittlungsvorschlag für einen Zusatzjob ausgedruckt, damit ist der Tatbestand ,Vermittlungsangebot’ bereits erfüllt und geht in die Statistik ein, der nächste Schritt ist natürlich, dass der Kunde auch in die Maßnahme eingeschleust wird und aus der Arbeitslosenstatistik verschwindet. Und unsere Auflage ist nun, so viel wie möglich vermittlungsrelevante Merkmale zu erzeugen, denn bis zum 30. 12. sollen alle unter 25 in einer Maßnahme drinstecken, und die über 25 sollen auch vermittelt werden, wie soll das gehen?

Achtzig Prozent der Arbeit, die wir täglich machen, geht in die Bewältigung von Verschlüsselung, in die Herstellung der Statistik! Dabei sollen wir uns ,intensiv’ um die Arbeitslosen kümmern, Fakt ist aber das reinste Chaos in den Jobcentern bundesweit. Gedränge, Schlangen, lange Wartezeiten, überlastete und genervte Sachbearbeiter, verschwundene Akten und Unterlagen, kaum Auskunft, dauernd besetzte Telefonleitungen.  Es gibt so genannte Taktzeiten. In den ,Kundenzentren’, zu denen bis Ende 2005 alle Arbeitsagenturen verwandelt werden sollen – sieht dann aus wie bei den Banken – sind nur noch drei Minuten vorgesehen, in denen der Kunde abgefertigt sein muss. Für Antragsteller gibt es noch 15 bis 30 Minuten, für den Erstantrag, für 16 Seiten! Wenn’s absehbar ist, er braucht länger, dann nach Hause schicken mit Merkzettel über das, was fehlt, und: ,Der Nächste bitte!’. Aller Druck, alles, was die Behörde grundsätzlich nicht fähig ist zu leisten, wird gnadenlos auf den Kunden abgewälzt. Und es entsteht auch dadurch so eine brutale Überheblichkeit, die in den internen Gesprächen immer wieder zum Vorschein kommt: Keiner von denen will in Wirklichkeit arbeiten, die wollen nur die Kohle, alles notorische Arbeitsverweigerer, ja wissen denn die Arschlöcher immer noch nicht, dass jede Arbeit zumutbar ist? Bei mir haben die nichts zu lachen, da heißt es fordern! Das ist so der Tenor, und leider muss ich sagen, sind dabei die Frauen die Schlimmeren, zu 80 Prozent bestimmt.

Aber es gibt eben auch die andere Seite, die Kritischen, und das werden immer mehr nach dem ersten Schreck über den völligen Umbau der Bundesanstalt. Es ist einfach nicht zu übersehen, was los ist, was vor sich geht. Das Ganze ist ja von Wirtschaftsleuten nach wirtschaftlichen Kriterien kreiert worden, es soll unternehmerisch gedacht und gehandelt werden, marktorientiert. Der Bismarck’sche Sozialversicherungsstaat wird in einen Almosenstaat verwandelt, die sozialversicherten Arbeitslosen in ein Heer von Almosenempfängern und billigen Dienstleistungssklaven. Die können ja keinen ,sozialen Frieden’ mehr gefährden.  Und was uns, die BA betrifft, unser Unternehmensauftrag ist offiziell Arbeitsvermittlung. Aber nicht die Vermittlung von Arbeit ist das Ziel. Das eigentliche Unternehmensziel ist der Selbsterhalt der Behörde – wie überall – wenn möglich, die Vergrößerung der Behörde durch bürokratische Mastkuren. Denn eigentlich macht sie primär eins: Sie macht Statistik. Ihr Auftrag ist, eine positive Statistik zu produzieren.

Und so wird sie ganz automatisch zu einer Maschinerie des Betrugs und Selbstbetrugs. Mit einem riesigen Apparat an Personal, Material, Geld, Gebäuden, Kunden, Fragebögen, Akten kümmern wir uns energisch um die Verbesserung der Arbeitslosenstatistik. Was ja der reinste Wahnsinn ist, angesichts von inzwischen über sechs Millionen Arbeitslosen – also ich rechne über den Daumen gepeilt die herausgerechneten Arbeitslosen wieder mit rein. Solche Zahlen hatten wir das letzte Mal 1933 und wir wissen, wozu sie geführt haben. Aber darüber darf nicht gesprochen werden, auch nicht intern, höchstens mal im kleinen Kollegenkreis, oder mal privat mit Kolleginnen, das grenzt nämlich an Hochverrat, und deshalb ist das Thema einfach tabu.

Es ist doch ein Skandal, dass kein einziger von den entscheidenden Leuten es wagt, sich hinzustellen und zu sagen: Okay, wir ziehen das jetzt rigoros durch und wir machen das, weil wir es so haben wollen, nicht weil mit Hartz IV Arbeitsplätze entstehen. Basta! Das wagt keiner. Das mit den versprochenen Arbeitsplätzen ist natürlich eine Illusion. Es gibt keine Arbeitsplätze und es wird auch keine geben. Nie mehr! Keiner kennt dieses Dilemma besser als die Behörde.

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