vonHelmut Höge 12.02.2007

Hier spricht der Aushilfshausmeister!

Helmut Höge, taz-Kolumnist und Aushilfshausmeister, bloggt aus dem Biotop, dem die tägliche taz entspringt.

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So nannte der brasilianische Kartellkritiker Kurt Rudolf Mirow seinen ersten 1976 im “Aktuell-Magazin ‘Technik und Politik'” veröffentlichten Artikel über “Das Welt-Elektro-Kartell”. Das Magazin erschien im Rowohlt-Verlag, Herausgeber war der heute als Pensionär in Berlin lebende Freimut Duwe, zum redaktionellen “Braintrust” gehörten u.a. Ivan Illich und André Gorz.

Damals garantierte wie bereits erwähnt die Bundespost den zum Elektrokartell IEA gehörenden deutschen Konzernen Siemens und AEG die jährliche Abnahme eines bestimmten Kontingents an Fernmeldeeinrichtungen – bis hin zu Telefonen. Das garantierte wiederum ihrem Unternehmensbereich Nachrichtentechnik steigende Gewinne – bei ständig wachsenden roten Zahlen der Bundespost. Dem nicht zur IEA gehörenden Konzern ITT bzw. seiner Tochter der Standard Electric Lorenz AG gelang es jedoch, sich einen Teil vom staatlichen Fernmelde-Kuchen zu sichern. Da kam es zu einer unangenehmen Untersuchung, das Bundeskartellamt schaltete sich ein, es wurden kompromittierende Dokumente gefunden. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am 10.2.76 unter der Überschrift “Absprachen über Telefonpreise”. Als dann ITT – wie kürzlich beim aufgeflogenen Zementkartell (siehe im blog) – auch noch verkündete, man werde von allen Kartellvereinbarungen Abstand nehmen, ließ laut Rudolf Mirow ein IEA-Mitglied empört verlauten: “Harold Geneen (der Präsident der ITT) läßt sich aber auch keinen schmutzigen Trick entgehen.”
An einen solchen gemahnt auch das heutige (und morgige) BILD-Interview von Siemens-Chef Klaus Kleinfeld (49). Der Bremer Arbeitersohn sagt dort u.a.: “Ich habe einen solchen Sumpf nicht für möglich gehalten”. Und “glasklar” wiederholt er noch einmal, damit es alle hören: “Wir dulden keine illegalen Geschäftspraktiken und da ist auch nichts verhandelbar.” Ähnliches hatte zuvor auf den nämlichen BILD-Seiten auch eine Berliner Domina gesagt, nur dass sie dabei von “Sexpraktiken” sprach.

Schön ist aber auch das “Nein” des zuletzt in New York heimisch gewesenen Bremer Arbeitersohns – auf die Frage, ob er zu keinem Zeitpunkt von Schmiergeldzahlungen wußte: “Nein, bis auf einzelne Fälle, über die wir im Rahmen der normalen Berichte unserer Juristen informiert wurden”.

Freimut Duwe ließ damals schnell noch eine Art Banderole in über das schon fast fertige “Aktuell-Magazin” 5 drucken: “AEG und Siemens im Welt-Elektro-Kartell”, zwei Jahre später schrieb Mirow einen ganzen Magazinband unter dem Titel “Die Diktartur der Kartelle”, zuvor hatte er mit der New Yorker Kartellforscherin Barbara Epstein zusammen einige Texte zum selben Thema in den USA veröffentlicht. Im ZVAB findet man davon noch einiges.

In den Siebzigerjahren mendelte sich langsam der Delphin als Totemtier des New Age heraus. Nun – in der New Economy – ist der Wolf das Totemtier.  Dazu hat jüngst der Peking-Korrespondent  unserer Zeitschrift “Super-Nomad”  Wei Wutai Erhellendes beigesteuert – aus aktuellem Anlaß:

Denn demnächst veröffentlicht der Bertelsmann-Verlag den ersten chinesischen Bestseller auf Deutsch: “Wolf Totem”. Die chinesischen Kulturfunktionäre – und -beobachter sprechen von einem Marktwunder, weil  sie sich nicht erklären können, wie ein solch langatmiger Roman bereits in wenigen Monaten über 500.000 Mal verkauft werden konnte: Er handelt  ausschließlich von einem Tier, beinhaltet keine Sex- oder Liebesszenen und wurde zudem noch von einem bisher völlig unbekannten Autor geschrieben. Die Rede ist von Jiang Rong und seinem Buch “Wolf Totem”, in dem es um die Philosophie und Moral des “Wölfisch-Werdens” geht. Sein Literatur- und Kunstverlag Yangtse inszenierte als Werbemaßnahme für das Buch einen heftigen Streit unter Kritikern, TV-Prominenten und erfolgreichen Geschäftsleuten – über den Hauptgedanken des Autors: “Für die heutigen Chinesen ist es notwendig, vom Geist des Wolfes zu lernen!” Inzwischen findet man im Google unter den chinesischen Wörtern “Wolf Totem” und “Jiang Rong” 90.000 Eintragungen, was es bisher noch nie gab.

Die Hauptfigur des Romans ist Chen Zhen, ein junger Mann, der während der Kulturrevolution (1966-76) Peking verlassen hatte und sich im Autonomen Gebiet der Inneren  Mongolei niederließ. Dort wurde er mit dem ihm bis dahin fremden “Ethos der Steppe” konfrontiert. So etwas Ähnliches gab es schon einmal – jedoch unter anderem Vorzeichen: Bei dem von 1986 bis zur Niederschlagung der Demokratiebewegung zum Kulturminister ernannten Schriftsteller Wang Meng, den man 1958 als Rechtsabweichler zur Umerziehung aufs Land geschickt hatte, wobei er 16 Jahre im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang verbrachte – das ihm dabei zur zweiten Heimat wurde. Die uigurischen Bauern hatten ihn nicht nur sehr freundlich aufgenommen, insbesondere Abdul Rahman und seine Frau in der Kommune Bayandai, bei denen Wang Meng und seine Familie wohnte,  sondern auch während der Kulturrevolution vor allen Demütigungen geschützt. Mehr noch:  Die dortigen Kader verschafften ihm sogar  eine Anstellung als Redakteur und Übersetzer in der uigurischen Vereinigung der Kulturschaffenden. Der Schriftsteller revanchierte sich später mit mehreren schönen Erzählungen über das menschenfreundliche Leben in der uigurischen  Steppe.

Der Autor Jiang Rong nun bzw. sein Held Chen Zhen findet in der mongolischen Steppe heraus, dass die Wölfe dort in einer seltsamen Verbindung zu den Menschen stehen. Nur wenn man diese verstehe, so meint er, komme man auch der geheimnisvollen Region und ihren nomadischen Bewohnern auf die Spur. Die Steppe ist schon seit Urzeiten die Heimat der Wölfe, Chen bemüht sich um eine genaue Kenntnis ihres Lebensraumes, in dem man sie zuletzt fast ausrottete. “Im Buch gibt es Dutzende dramatischer Geschichten die von der Überlebensfähigkeit, Treue und Opferfähigkeit der Wölfe zeugen,” schreibt die “China Daily”. Der Autor habe sich daneben gründlich mit der alten Nomadenkultur und ihrem Wolfs-Totemkult beschäftigt.

Die mongolischen Viehzüchter sehen im Wolf einen Adoptivsohn von Tengri, dem Himmel – der höchsten Macht im Kosmos. Die Tiere verkörpern für sie alle Fähigkeiten, die man für den harten Überlebenskampf in der Steppe brauche – auch der Mensch. In ihrer Gewitzheit, ihrem Mut und ihrer Geduld sind sie unschlagbar, ebenso aber auch in ihrer Aggressivität, Unbarmherzigkeit und Widerstandsfähigkeit. Gleichzeitig verletzten sie jedoch niemals die Spielregeln, d.h. sie töten nur, wenn sie hungrig sind, und zerstören nicht das natürliche Gleichgewicht in der Steppe, dazu sind sie jeder Zeit bereit, sich für ihr Rudel zu opfern. Wie Chen Zhen an einer Stelle sagt, “rufen sie Furcht, aber auch Respekt bei ihren Gegnern hervor”.

Viele Leser sind vor allem angetan von der traurigen Eloge auf das verschwundene einfache Leben in der Steppe und ihren edlen Bewohnern, den Wölfen, die seit unvordenklichen Zeiten schon die Mongolen spirituell beeinflusst haben. Laut Chen glauben die nomadisierenden Viehzüchter, dass das Raubtier notwendig ist, um das “Ökosystem der Steppe auszubalanzieren”. Den Viehzüchter Bilige läßt der Autor sagen: “Tengri schickte uns den Wolf, der dafür sorgt, dass die Grasflächen nicht überweidet werden”. Aber keiner, der sich an den (chinesischen) Ausrottungsaktionen gegen den Schädling Wolf beteiligte, habe auch nur  geahnt, wie richtig diese “Warnung” war, schreibt die China Daily, “denn als der Wolf verschwand, war die Verwüstung dieses Lebensraumes fast besiegelt”.

Immer wieder weist der Autor auf die parallelen Schicksale der Wolfsrudel und der mongolischen Viehzüchter hin – “den Nachkommen Dschingis Khans, ihres einstigen militärischen Führers, dessen Herrschaftsbereich bis heute an Größe von niemandem übertroffen wurde”. Diese Botschaft hören die von den Chinesen heute in eine geradezu verschwindende Minderheit gedrängten Mongolen wohl.  Tengger, der Sänger der Musikgruppe “Canglang Yuedu” (Wolf Band), bedankte sich öffentlich für die chinesische Wolfseloge: Das Buch habe mit seiner leise trauernden Klage tief verschüttete Erinnerungen  wachgerufen.

Jiang Rongs Recherchen und Geschichten haben aber auch viele junge Chinesen begeistert: So meint z.B. der Computerspezialist Fu Jun, “wie der Autor die Wölfe beschreibt, aber auch die mongolischen Nomaden, das hat mich sehr berührt. Es sind harte Burschen, die bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. Einige ihrer positiven Eigenschaften sind es wert, von uns übernommen zu werden, z.B. durch unsere Fußball-Mannschaften, damit sie ihre Gegner besiegen – statt besiegt zu werden.”

Jiang Rong meint, dass es die kleinbäuerliche chinesische Landwirtschaft war, die aus den Chinesen das gemacht habe, was er ein Schafs-Temperament nennt: “Sie sind unterwürfig, demütig und passiv, dazu verdammt, geschlagen und eingeschüchtert zu werden. Dem gegenüber haben die Mongolen der Steppe Selbstbewußtsein und großen Mut – so wie der Wolf!” Dem Autor gerät seine Nomaden-Romantik immer wieder zu einer faden Wolfs-Predigt. Wahr ist daran jedoch, dass die Spezifik und Dauer der chinesischen Reisbauernkultur eine fast schon eingefleischte Kollektivität hervorgebracht hat. Die prosperierende Handels- und Industriegesellschaft verlangt nun aber  eher individuelles Denken und Handeln von jedem – so wie es die nomadischen Viehzüchter scheinbar vorgelebt haben. Für den Literaturkritiker Zhang Qianyi aus Hongkong ist das eine “allzu simple “Geschichtsauffassung”. In der chinesischen Geschäftswelt, “wo sich heutzutage die heftigste Jagdleidenschaft austobt,” wie die China Daily schreibt, stieß sie jedoch auf große Resonanz. Hier ist man der Meinung, dass der Wolf, so wie einst schon die mongolischen Viehzüchter von ihm lernten, nun auch Vorbild für den modernen Geschäftsmann sein sollte – mindestens im Hinblick auf seine Jagdtechniken: “Aus dem Buch von Jiang Rong erfahren wir, dass die Wölfe ausgezeichnete militärische Führer sind,” sagt z.B. Zhang Ruimin, Geschäftsführer der Haier-Group, einer in Shandong ansässigen Elektrofirma, “sie gehen nie unvorbereitet in einen Kampf und sie wissen, wie man sich anschleicht, einen Hinterhalt legt, belagert und jemanden abfängt. Und stets wählen sie den richtigen Zeitpunkt zum Angriff. Sie warten geduldig und vergeuden keine Kraft. Erst wenn ihre Beute in die Enge getrieben ist, schlagen sie zu – überraschend und ohne große Verluste. Aber ihre am meisten zu lobende Eigenschaft ist, das sie immer und in jedem Fall als Team kämpfen.”

Seit der Veröffentlichung von “Wolf Totem” im April 2004 sind in China bereits vier Ratgeberbücher erschienen, in denen es darum geht, wie man mit Hilfe von  Wolfsstrategien beim Geschäftsmachen  erfolgreich ist.

Unterdes hat der Autor Jiang Rong der Pekinger “Youth Daily” in seinem ersten Interview gestanden, dass er in Wirklichkeit Jiang Mao heißt, er ist 58 Jahre alt und Wirtschaftsprofessor an der Pekinger Universität. Während der Kulturrevolution – ab 1967, lebte er elf Jahre in der mongolischen Steppe. Und sein Romanheld, Chen Zhen, das sei er selbst. 25 Jahre lang habe er für das Buch recherchiert, das er dann in sechs Jahren niederschrieb. Der Kritiker Meng Fanhua meinte begeistert, es sei eine gute “Fiktion” und gleichzeitig eine “großartige anthropologische Monographie”. Andere, wie der Kolumnist Zhang Ruixi, bemängeln darin jedoch den Hang des Autors zum Pädagogisieren: “Das Buch wirkt  stellenweise nicht wie eine Erzählung, sondern wie eine didaktisch aufbereitete Theorie”.

Solche mehren sich nun auch hier – in Deutschland, allerdings in kritischer Absicht. Erwähnt sei das soeben erschienene Buch “Raubtier-Kapitalismus – Globalisierung, psychosoziale Destabilisierung und territoriale Konflikte” von Peter Jüngst, und ferner   “Hirten & Wölfe” – wie Geld- und Machteliten sich die Welt aneignen” von Hans Jürgen Krysmanski. Man kann aus diesen zeitlichen Unterschieden in der Theoriebildung Chinas und Deutschlands nur den Cioranschen Schluß ziehen: “Die Stunde des Verbrechens schlägt nicht für alle Völker gleichzeitig – daraus erklärt sich die Kontinuität der Geschichte.”

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https://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2007/02/12/nach-dem-gesetz-der-woelfe/

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kommentare

  • Guten Tag lieber Hoege, lange nichts von einander gehoert, was o.k. ist. Hier in Khatgal im Norden der Mongolei hatte ich mich in meinen Schlafsack mit ‘ner Waermflasche gekuschelt, draussen minus 48 und mir das von mongolischen Bekannten geschenkte Buch “Wolf Totem” (also in English) mal “reingezogen”. Also ein Leser mehr der aber tatsaechlich einst in Canadas Norden / Hoehe Sued-Alaska mit ‘nem Pack Timber-Woelfen gelebt hat (der uebrigens ‘nen neuen Bekannten im Briefwechsel hat, der bekannte Schriftsteller Farly Mowat = siehe Wikipedia.org , der ja sich auch im Buch “Never cry Wolf” ausgedrueckt hat).
    Anfangs sehr schwer lesbar, ab letztem Drittel besser, bin ich jedoch entsetzt darueber, das erstens die Steppen-Woelfe in ganzen Armee-Divisionen auftreten sollen, zweitens das der arme Wolf fuer was auch immer herhalten muss.
    Das eintige was mir gefaellt ist das Ende des Buches, warum ich auch z.Z. Kontakt mit dem chinesischen Schriftsteller aufnehme.
    Im Uebrigen, das nomadische Leben, dem ich ja zeitlebens unterliege, ist fuer wahr nicht so lustig wie so oft und gerne dargestellt.
    Na ja, vielleicht gelingt mir ja der Sprung mit meinem Buch “Fool on the Hill” in das gedruckt werden, welches z.Z. in’s Mongolische gebracht wird.
    Und da wird mal so richtig aufgeraeumt mit all dieser beschissenen romantischen Vorstellung von wegen Mongolen, Nomaden, Natur, natuerliches Leben.
    Sagen wir mal zueinander “bleib gesund, denn der Tot hat das letzte Wort” und niemand anders, mit herzlichem Gruss aus meiner Jurte (‘ne kazakhische) Michail
    PS.: Wann wird mal nicht mehr ueber en Winter in der westlichen Wlt gejammert ? Und mal auf Kurzwelle Radio Rossia hoeren; denn seinesgleichen gibt es nicht im Westen.

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