Protest gegen Rechtsextremismus: Keine Chance aufzuhören

Seit 11 Jahren trifft sich eine Gruppe von Spandauern Monat für Monat zur Mahnwache gegen Rechtsextremismus.

So sehen das auch die Protestierenden in Spandau. Bild: dapd, Olaf Malzahn

Regen, unablässig Regen. Nass klebt der rote Anorak an Angelika Höhne, Tropfen laufen ihr ins Gesicht. Die große, schlanke Frau ignorierts. Immer wieder streckt sie die schon angeweichten bunten Flyer den Vorbeihuschenden entgegen: "Einander achten, Gewalt ächten, Gesicht zeigen." Kopfschütteln, abwimmelndes Händefuchteln, vors Gesicht gesenkte Regenschirme. Wer den Zettel nimmt, nimmt ihn wortlos. Höhne schaut verständnisvoll. "Ist klar, bei dem Regen." Hoffentlich ist es der Regen.

Um kurz nach elf an diesem Samstag hat der frühere Pfarrer Rudolf Mende auf dem Spandauer Marktplatz das große, weiße Banner entrollt. Langsam falten sich die grünen, geschwungenen Lettern hervor: "Mahnwache gegen Rassismus, Gewalt, Intoleranz und Antisemitismus". Damit ist die am längsten andauernde Mahnwache der Hauptstadt eröffnet. Zum 126. Mal.

Seit dem 2. September 2000 spannen sie ihr Transparent auf, jeden ersten Samstag im Monat, unbemerkt von der großen Öffentlichkeit. Mone Kraft, eine zierliche, ruhige Frau, auch sie evangelische Pfarrerin im Ruhestand, ist seit dem ersten Mal dabei. Damals hatten drei Neonazis wenige Wochen zuvor den Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau erschlagen. Ein Jahr zuvor war im brandenburgischen Guben der Algerier Farid Guendoul nach einer rechten Hetzjagd verblutet. Zeitungen veröffentlichten eine Statistik: 93 Todesopfer durch rechte Gewalt seit 1993. "Da war es wieder Zeit", erinnert sich Kraft. "Da hab ich unsere Jugendseelsorgerin angerufen. Die hatte auch schon dieselbe Idee." Eine Mahnwache.

In Spandau haben Mahnwachen Tradition. In den 80er Jahren mahnten die Spandauer für den Frieden. Anfang der Neunziger, nach den Pogromen in Hoyerswerda und Rostock, gegen Neonazis. Das tun sie seit 2000 nun erneut. Nur hätte niemand gedacht, dass diese Aktion auch nach elf Jahren noch nicht abgeschlossen sein würde.

Am Samstagvormittag beginnt das Mahnen in der Nicolai-Kirche, gleich neben dem Markt. Acht Gemeindemitglieder sitzen auf Korbstühlen im Altarraum, in der Mitte flackert eine Kerze mit "Pax"-Aufdruck, die Worte hallen im sonst leeren Kirchenschiff. Es ist mehr ein Austausch als eine Andacht. Der frühere Gefängnisseelsorger weist auf den anstehenden Neonazi-Aufmarsch in Dresden hin. Ein Mann sagt, dass auch Kirchenräte nicht frei von Vorurteilen seien. Mone Kraft schlägt das schwere Gesangsbuch auf, sie singen "Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehen". Dann ziehen sie zum Markt.

Zuerst kommen zwei von der SPD dazu, dann eine Frau vom Integrationsbeirat, dann Angelika Höhne von den Grünen. Umarmungen. "Gesundes, neues Jahr erst mal." Zwischen Schuhladen, Apotheke und Burger King reihen sie sich nebeneinander auf. 19 Mahnwachende sind sie am Ende, das liegt im Schnitt. Freundliche Leute mit langen Mänteln und selbst gestrickten Schals, die meisten mit grauen Haaren unter den Kapuzen. Dann kommt der Regen.

Belächelt worden seien sie über die Jahre, erzählen sie, ignoriert, gelobt, auch beschimpft. Markthändler rollten mit den Augen, die Mahnwache sei schlecht fürs Geschäft. Als an einem Samstag die NPD auf dem Markt stand und sich die Protestler den Neonazis gegenüberstellten, gabs Applaus. Als die Mahnwache Plakate mitbrachte, auf denen "So nicht, Herr Sarrazin" stand, zürnten viele Spandauer. "Das ist schon okay", sagt Monika Auener, Religionspädagogin, blaues Regencape. "Wir wollen ja auch ein Anstoß sein." 2001, nach den Anschlägen vom 11. September in New York, hätten sie Muslime eingeladen, erzählt Mone Kraft. "Als Zeichen, das sie zu uns gehören." Eine Mahnwache widmete sich Hatun Sürücü, die von ihren Brüdern ermordet wurde und in Spandau begraben liegt. Und als 2007 zwei Männer am Bahnhof Spandau beleidigt und geschlagen wurden, verlegte man die Mahnwache kurzerhand dorthin.

Diesmal binden sich die Mahner Fotos an ihre Anoraks. So wie auch schon im Dezember. Damals war zuvor bekannt geworden, dass drei Thüringer Neonazis neun migrantische Kleinunternehmer und eine Polizistin erschossen haben sollen. Plötzlich war die ewige Warnung von der Wirklichkeit eingeholt worden. "Wir hätten das nicht gebraucht", sagt Pfarrerin Kraft bitter. Auch die anderen schütteln den Kopf. Rechte Gewalt, in dieser Ungeheuerlichkeit, das habe man nicht für möglich gehalten.

Es sind die Fotos der Mordopfer, die einige Passanten zumindest kurz anhalten, genauer hingucken lassen. Viele aber eilen weiter in die Geschäfte, noch ehe ihnen Angelika Höhne ihren Zettel in die Hand drücken kann. Ansprechen wird die Mahnwachenden an diesem Samstag keiner mehr.

Die lassen sich davon nicht beirren, auch nicht vom Regen. Es wird herzlich geplaudert. Über Bischof Huber an einem Ende, über Hertha BSC am anderen. Es liegt nichts Schwermütiges über dieser Versammlung. Die Mahnwache, sagt Mone Kraft, ist immerhin etwas, was man tun kann. Als nach einer Stunde das alte Glockenspiel am Markt losläutet, fassen sich die Durchnässten an die Hände, stellen sich im Kreis auf. "Danke und bis zum 4. Februar", ruft Kraft.

Natürlich, sagt die 73-Jährige, habe es "Momente der inneren Müdigkeit" gegeben. "Aber das überwindet man, wenn aufmerksam die Zeitung liest. Die Gewalt ist ja immer noch da." Als vor anderthalb Jahren über die Zukunft der Mahnwache diskutiert wurde, fand sich niemand, der sie beenden wollte. Es gebe keinen Anlass dafür, hieß es einstimmig. Eigentlich, sagt Kraft, sei das mehr als bedauerlich.

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