Wieso prüde? Bescheiden!

STIL Traditionell modern – so nennt die ägyptische Designerin Suzana Kamel ihre Mode. Sie ist stolz auf die Revolution in ihrem Land. Aber ihr Geschäft leidet unter den Unruhen

VON INES KAPPERT

Suzana Kamel wundert sich. „Ihr nennt es Arabischen Frühling? Das ist aber poetisch, wie hübsch! Wir hier sind nüchterner – für uns ist es eine Revolution.“ Kamel, 39, Muslima, zählt zu den erfolgreichen Modemacherinnen in Kairo. Elf Läden ihres Labels „Suzana Fashion“ gibt es mittlerweile in Kairo und Alexandria. Auch Suzana Kamel war damals auf dem Tahrirplatz dabei, selbstverständlich, das ist Ehrensache. Allerdings nur am Anfang, als das Ganze, wie sie sagt, „noch eine Linie hatte“. Da war es toll, findet Suzana Kamel, wie eine große Schule, jeder hat etwas vom anderen gelernt. Seitdem die Situation eskaliert, meidet die Geschäftsfrau die Innenstadt Kairos. Allerdings mochte sie die ohnehin nie: Zu viel Dreck, zu viel Armut. Chaos liegt mir nicht, sagt sie.

Suzana Kamel lebt daher mit ihrer Familie im schwer bewachten „Neuen Kairo“, vierzig Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Gerade weist sie ihr Dienstmädchen an, ihrem Sohn etwas zu essen zu machen. Der Siebenjährige lümmelt auf dem Sofa, schaut eine amerikanische Nachmittagsserie mit arabischen Untertiteln. Verstehen kann er beide Sprachen.

Rund eine Million Einwohner hat die Satellitenstadt in der Wüste. Bis 2020 soll sie auf vier Millionen anwachsen, es wird eifrig gebaut. Wer ins Zentrum will, muss vier Checkpoints passieren, das Nummernschild von Besuchern wird gleich mehrfach notiert. Einkaufszentren, Apartmentblocks, Reihenhäuser und prunkvolle Villen bilden einen gesichtslosen Rückzugsort zwischen schütterem Grün, für Leute, die ihre Leben unbehelligt von Elend und Lärm leben möchten – und die es sich leisten können. Wäre nicht der Sand überall und all das Wachpersonal, man könnte sich auch in irgendeinem Neubaugebiet in der deutschen Provinz wähnen. Suzana Kamel ist gern hier.

Normalität, einfach ein normales Leben wie in Europa – das ist ihr großer Wunsch für die Zukunft. „Dort parken können, wo man parken möchte“, sagt sie. Das klingt gleich sehr vertraut – die Parkplatzsuche ist offenbar auch in Ägypten des Mittelschichtlers Lieblingssorge. Und der Verkehr ist wirklich höllisch: eine 21-Millionen-Einwohner-Metropole ohne nennenswertes Ampelsystem.

Kamels zweiter Wunsch betrifft ihr Geschäft. „Mein Mann und ich wollen expandieren, Geschäfte in Istanbul eröffnen, vielleicht auch irgendwann mal in Teheran. Da tragen die Frauen inzwischen doch auch bunte Sachen?“ So richtig sicher ist Suzana Kamel sich da nicht. Sie reist zwar oft nach Indien und China – dort lässt sie ihre Kollektionen produzieren –, das islamistische Ausland ist aber ihr nicht vertraut. Die urbane Frau in Teheran hasst das ihr verordnete Kopftuch? Sie lässt es alle drei Sekunden runterrutschen, bevor sie es widerwillig wieder in Stellung bringt? Das wusste sie nicht. Das findet sie interessant.

„Suzana Fashion“ designt Outfits, die bequem sein sollen, schick, bunt, bescheiden und erschwinglich. Kein Kleidungsstück kostet mehr als 300 ägyptische Pfund (rund 40 Euro), junge Frauen zwischen zwanzig und fünfzig sollen es sich leisten können. Die Läden erinnern an die Modekette H & M, allerdings sind sie edler eingerichtet, glänzende weiße Flächen, pinkfarbene Sitzkissen. Kamels Kleider sind eine verspielte Verbindung von klassisch islamischen und klassisch westlichen Kleidungsstücken: farbenfrohe, stets hüftbedeckende Tunikas aus Seide oder Baumwolle mixt sie mit hautengen Jeans. Baumwollene Pluderhosen kombiniert sie mit Jeansjacken. Genau diese Mischung macht ihre Mode eigenwillig – und zeitgemäß. „Traditionell modern“ ist ihr Motto.

Für die Füße der Kundinnen stehen Sandalen, Pumps oder hochhackige Stiefel zur Auswahl. Die von Kamel entworfenen Kopftücher setzen sich aus mehreren farblich unterschiedlichen Stofflagen zusammen, sie sind eine Mischung aus Turban und Kopftuch und schmücken den Kopf wie ein extravaganter Hut. Selbstverständlich ist kein einziges Haupthaar zu sehen. Suzana Kamel achtet peinlich genau darauf, dass sie und ihre Models keine nackte Haut zeigen – von den Füßen, Händen und dem Gesicht mal abgesehen. Umso wichtiger ist es, dass die Stoffe luftig sind. Denn „Bescheidenheit“, so umschreibt sie das dem Islam entlehnte Verhüllungsgebot, dürfe nicht einengen.

Dass andere Frauen Haut zeigen, findet die Designerin amüsant, aber auch in Ordnung. Bei dem Gedanken an die vielen jungen Frauen im Westen, die ihre Bauchpartie zur Schau stellen, muss sie lachen. Was man trage, hänge eben sehr von dem Ort ab, an dem man lebe. In Ägypten würde eine so gestylte Frau nicht heil nach Hause kommen. Sie sagt das ohne jede Feindseligkeit. Kamel stellt ohnehin mehr fest, als dass sie urteilt.

Dass „unbescheiden“ gekleidete Frauen in Ägypten fürchten müssen, auf der Straße betatscht zu werden, ist für sie eine ärgerliche Selbstverständlichkeit. Das hinterfragt sie nicht weiter. Säkulare Frauen sehen in Frauen mit Kopftuch einen Ausbund an Unterwerfung? Das findet Suzana Kamel apart. Wieso prüde? Sie müsse doch auch nicht jedermann ihren Bauch oder ihren Busen zeigen, um sexy rüberzukommen.

Dabei gehört Suzana Kamel zur islamisch orientierten, gut ausgebildeten gehobenen Mittelschicht, die seit Mitte der neunziger Jahre in Ägypten vom Fernsehen entdeckt und Teil eines sogenannten Pop-Islam wurden. Auch Kamel lehnt das im Westen dominante Gebot ab, den weiblichen Körper möglichst sichtbar zu machen und zu sexualisieren. Ihr Argument: Jeder nach seiner Facon. Dazu nutzt sie westliche Symbole souverän als Accessoires. Mit Fundamentalismus, sagt Kamel, hat das nichts zu tun. Entsprechend hat sie die Partei der als gemäßigt geltenden Muslimbrüder gewählt. Die ultraislamistischen Salafisten hält sie für komplett durchgeknallt. Die Militärs sind ihr zu brutal, außerdem wechselten die jeden Tag ihre Meinung, da komme ja niemand mehr mit. Insgesamt ist Politik sowieso nicht ihre Sache, findet sie.

In Deutschland würden Suzana Kamel und ihre Kundinnen wahrscheinlich CDU wählen, selbstbewusst, ehrgeizig, klassenbewusst, religiös, konservativ. Die Revolution macht sie glücklich und auch stolz. „Die Kluft zwischen Arm und Reich war bei uns zu krass, so ging es nicht weiter. Wir haben so lange in einer Lüge gelebt“, sagt sie. „Es ist gut, wenn das jetzt aufhört.“ Allerdings ist der Ausweg aus der Unwahrheit ziemlich schlecht für ihr Geschäft. „Wir werden ein paar Läden schließen müssen. Das ist im Moment wirklich keine Zeit fürs Shoppengehen.“ Kamel gluckst in sich hinein. Richtig besorgt sieht sie nicht aus.