Ist ein NPD- Verbot schlecht für die Demokratie?
JA

IDEOLOGIE Die Innenminister beraten ein neues NPD-Verbot. Ob es die Nazis schwächt oder möglicherweise eher die Demokratie, ist umstritten

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Michael Wolffsohn, 64, Historiker an der Bundeswehruniversität München

Nazis weg? Ja, bitte! NPD verbieten? Nein, weil ein Verbot selbstbetrügerischer Aktionismus wäre. Selbstzufrieden würden sich Politik und Justiz auf die Schulter klopfen. Denken wir über das vermeintliche Happy End, das NPD-Verbot, hinaus: Nach dem Verbot wird sich die NPD umbenennen – und somit fortbestehen. Das Etikett würde wechseln, die Nazis und das Naziproblem blieben uns erhalten. Fürs NPD-Verbot müsste der Verfassungsschutz auf V-Leute verzichten. Das verlangt das Bundesverfassungsgericht. Die Folge: Unsere Sicherheitsbehörden hätten noch weniger Ahnung über die Naziszene als bisher. Reicht das Versagen gegen die Zwickauer Zelle nicht? Mehr und bessere V-Leute brauchen wir, nicht weniger. Doch keine? Der NPD den Geldhahn zudrehen? Ja. Dafür reichen Gesetzesänderungen. Nazis bekämpfen? Ja, mit guten Argumenten, guter Politik, Wirtschaft, vor allem mit ethischer, demokratischer Vorbildlichkeit. Wie steht es damit? Zuletzt fragen wir die Nazis: Wollt ihr, dass Deutschland wieder so aussieht wie im Mai 1945? Dann gilt: Weiter so.

Dierk Borstel, 38, Mitarbeiter am Institut für Konfliktforschung der Uni Bielefeld

Verbote provozieren aggressive Antworten. Zwar bieten die Verstrickungen von NPD-Mitgliedern in den Helferkreis der Rechtsterroristen der NSU noch mehr Gründe, die Partei verschärft zu bekämpfen. Doch gegen ein Verbot sprechen drei Aspekte. Erstens: Der Rechtsextremismus ist heute eine Bewegung aus Kameradschaften, Netzwerken und autonomer Nationalisten. Durch ein Verbot könnten diese Gruppen noch Zulauf erhalten. Zweitens: Was passiert, wenn NPD-Mitglieder nach dem Verbot in den Untergrund gehen? Die NSU hat gezeigt, was solche Radikalisierungen bewirken. Drittens: Parteiverbote sind eines der letzten Mittel zur Gefahrenabwehr. Doch die anderen Möglichkeiten wurden gar nicht ausgeschöpft. Wir brauchen eine gezielte Stärkung der Bürgergesellschaft. Vor allem müssen wir Perspektiven für die abgehängten Ecken der Republik entwickeln. Dort spielt die NPD den Kümmerer. Diese Rolle müssen die Demokraten zurückerobern. Das würde der Demokratie mehr helfen als Verbote.

Monika Lazar, 44, Bundestagsgrüne, Sprecherin für Strategien gegen Rechtsextremismus

Es ist unstrittig, dass die NPD verfassungsfeindlich ist und eine menschenfeindliche Ideologie vertritt. Doch lediglich auf ein NPD-Verbot zu setzen, wäre ein demokratiepolitisches Armutszeugnis. Zu den Errungenschaften unserer Demokratie gehören freie Wahlen. Ein NPD-Verbotsverfahren darf nicht die einzige Strategie gegen Rechtsextremismus sein. Rechtsextreme engagieren sich in vielen Gruppen und Organisationen, nicht nur in der NPD. Unsere Demokratie bleibt stark, wenn wir uns mit menschenfeindlichen Haltungen in der Gesellschaft erfolgreich auseinandersetzen.

Andreas Kurzhals, Counterstrike- und Bayern-Fan, postete das auf Facebook

Ein NPD-Verbot schadet der Demokratie! Radikale, egal welcher Richtung, bedürfen besonderer Beachtung. Nur der Dialog mit anders denkenden Menschen kann zu einer Umkehr oder Abkehr führen. Gesellschaft und Politik müssen sich endlich um das „Warum?“ kümmern. Kein Mensch radikalisiert sich, wenn er glücklich ist. Erziehung, Bildung und Dialog – dies sind die drei Schlüssel zur Vermeidung der Radikalisierung. Aber die Politik hat kein Interesse an einem gebildeten, frei entscheidenden Volk. Je blöder der Bürger gehalten wird, desto einfacher kann man mit ihm umgehen.

NEIN

Dilek Kolat, 45, SPD-Politikerin, Senatorin für Arbeit, Integration und Frauen in Berlin

Ich bin entschieden für ein NPD-Verbot, weil ich die Partei für aggressiv verfassungsfeindlich halte. Die NPD finanziert aus Steuergeldern ihre Hasskampagnen, die nach meiner festen Überzeugung unsere Demokratie gefährden! Wir brauchen weiterhin Förderprogramme zur Unterstützung einer demokratischen Zivilgesellschaft, damit sich das Gedankengut der NPD nicht ausbreiten kann.

Martina Renner, 45, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken in Thüringen

Mein Ja zum NPD-Verbot hat einen skeptischen Unterton. Denn es ändert nichts am Alltagsrassismus, an rechten Einstellungen oder an der Organisierung von Neonazis jenseits der NPD. Deshalb ist meine erste Antwort eine Stärkung bürgerschaftlichen Engagements und antifaschistischer Strukturen und ein antifaschistisches Bekenntnis in der Verfassung. Dennoch dürfen wir den Staat nicht aus seiner Verantwortung entlassen. Wir müssen selbstkritisch eingestehen, dass wir alle trotz Recherchen in der Naziszene und der Auseinandersetzung mit Rassismus die rassistischen Morde und das Bestehen einer rechten Terrorstruktur nicht „gesehen“ haben. Wir haben uns mit den rassistischen Stereotypen bei der Tätersuche abspeisen lassen. Wir können auf ein NPD-Verbot nicht verzichten, um die gesellschaftlichen Räume und die Ressourcen für die Nazis zu verkleinern. Einen Königsweg in der Bekämpfung des Neonazismus gibt es derzeit nicht.

Sophia Oppermann, 43, Geschäftsführerin der Antirassimusinitiative Gesicht Zeigen!

Nein, wieso denn auch? Der oberste Grundsatz unserer Verfassung ist Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Unsere Verfassung bezieht sich damit auf die allgemeinen Menschenrechte, die von der Gleichheit und Freiheit aller ausgehen. Dahinter wollen wir nie wieder zurück. Die NPD sieht das anders. Sie propagiert ein Menschenbild mit deutlichen Unterscheidungen und Wertigkeiten. Für die NPD gibt es wertvolle Menschen – das sind nach obskuren Ideologien auserwählte Bluts- und Volksdeutsche – und weniger wertvolle Menschen – das sind alle anderen. Die NPD ist damit rassistisch und menschenfeindlich. Es ist also falsch, dass wir einer Partei, die eine verfassungsfeindliche und menschenverachtende Politik betreibt, die demokratische Legitimation erteilen. Ein NPD-Verbot wird sicherlich nicht unsere Probleme mit rechtsextremen Einstellungen und Gewalttaten lösen, aber es kann ein Zeichen sein, wie entschlossen wir die Feinde der Demokratie bekämpfen.

Sharon Adler, 49, Herausgeberin von aviva-berlin.de – Online-Magazin und Forum für Frauen

Ein schnelles Verbot der NPD ist richtig. Dem gern verbreiteten Argument, dass wir in einer Demokratie leben, in der unterschiedliche politische Programme existieren, setze ich entschieden entgegen, dass es der NPD an jeglicher demokratischer Basis fehlt, da sie Menschen nicht als gleich definiert. Dass sie dann im Untergrund agieren würden, zählt auch nicht für mich – das tun sie ja nicht erst seit heute. Und da sind die alarmierenden Statistiken des „Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus“: Momentan stimmt jede/r sechste Deutsche der Aussage zu, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland zu viel Einfluss haben, und jede/r Achte meint, dass sie an ihren Verfolgungen mitschuldig seien. Außerdem: Ich bin eine hart arbeitende Frau und sehe es nicht ein, dass meine Steuergelder solche Leute und die Verbreitung deren menschenverachtender Ideologie finanzieren. Keine NPD. Punkt.