Mehr als immer nur anatolische Dörfer

KLISCHEEFREIE ZONE Der Kreuzberger Verlag Binooki macht türkische Klassiker erstmals in deutscher Sprache zugänglich. In diesem Frühjahr ist das erste Programm erschienen

VON CANSET IÇPINAR

Jenseits von Yasar Kemal, Aziz Nesin oder dem Nobelpreisträger Orhan Pamuk sind türkische Autoren in Deutschland wenig bekannt. Das wollten die beiden Schwestern Inci Bürhaniye und Selma Wels ändern. Beide Frauen sind in Deutschland geboren und bezeichnen sich auf ihrer Website als „anständige Kinder von echten türkischen Eltern aus Aydin“, einem Ort an der Ägäis. Aufgewachsen in Pforzheim, zogen die Juristin und Betriebswirtin für ihr Studium nach Berlin und hatten bis vor Kurzem mit Literatur beruflich nichts zu tun. Doch beide haben von jeher eine große Leidenschaft für das Lesen. Ihre Mutter war Grundschullehrerin. In ihrem Bücherschrank standen neben vielen Kinderbüchern auch Klassiker.

Tolle Bücher

Dass türkische Literatur außerhalb der Türkei kaum wahrgenommen wird, gab beiden Frauen den Anstoß, Binooki zu gründen, den ersten deutschen Verlag der türkische Literatur in deutscher Sprache verlegt. Nicht selten erlebte Bürhaniye, dass sie in Lesegruppen von den tollen türkischen Büchern erzählte, die ihre FreundInnen nicht lesen konnten, da die meisten Titel nicht übersetzt waren. „Nach dem Nobelpreis für Pamuk und der Ernennung Istanbuls zur Kulturhauptstadt hätte ich gedacht, dass sich auf diesem Gebiet langsam etwas tun würde“, so Bürhaniye. Doch es passierte nichts.

Als die 45-jährige Juristin mit ihrer zwölf Jahre jüngeren Schwester dann im vorletzten Jahr auf einer Büchermesse in Istanbul war, kam ihnen die Idee, das einfach selbst in die Hand zu nehmen. „Und dann ging alles relativ schnell“, so die Schwestern. Binnen wenigen Monaten stand der Businessplan, und so gründeten die beiden Frauen im Juni vergangenen Jahres ihren eigenen Verlag: Binooki.

Die Geschichte des Namens sei entgegen allen Erwartungen gar nicht spektakulär, erzählen die Frauen lachend. Eigentlich hatten sie nur nach einem Namen mit dem Buchstaben „B“ gesucht. In dem Wort Binooki, das abgeleitet ist von dem türkischen Begriff für den Zwicker (die Brille, die man sich auf die Nase klemmt), steckt auch das Wort Book. Und um Bücher geht es ja schließlich bei dem Geschäft.

Während die ältere der beiden Schwester lieber türkische Literatur in ihrer Muttersprache liest, wartete Selma Wels immer zuerst, bis die Bücher ins Deutsche übersetzt worden waren. „Ich kann mich auf Deutsch besser ausdrücken und bin in dieser Sprache auch eher zu Hause“, so die 33-jährige Betriebswirtin. Wels glaubt aber auch, dass die Titel im Original, also in türkischer Sprache intensiver wirken: „Es ist eine so emotionale Sprache.“ Der Roman „Glückseligkeit“ (Multluluk) des zeitgenössischen Schriftstellers Zülfü Livaneli sei ein Beispiel dafür. In der Geschichte geht es um eine junge anatolische Frau, die von ihrem Onkel vergewaltigt wurde, und um ihren Cousin (traumatisiert durch den Armeedienst), der sie umbringen soll, damit die Familienehre wiederhergestellt wird. „Das Buch ist mir schon auf Deutsch so unter die Haut gegangen, dass ich mir gut vorstellen konnte, wie emotional es auf Türkisch sein muss“, so Wels. Trotzdem veröffentlicht der Verlag türkische Literatur in deutscher Sprache. AutorInnen, die über das deutsch-türkische Leben hier schreiben, seien auch spannend, aber „diese Geschichten kennen wir doch schon“, so die Frauen. Die Motivation, sich auf Literatur aus der Türkei zu konzentrieren, rühre daher, dass man so ein Stück weit türkisches Leben nach Deutschland transportieren könne. Dabei gehe es natürlich auch um das Aufbrechen von Klischees, das Geraderücken des einen oder anderen (Klischee-)Bildes, das man von der Türkei hierzulande hat. „In Europa werden türkische Bücher immer gleich mit Geschichten von anatolischen Dörfern assoziiert“, so Wels.

Unbekannte Klassiker

So einfältig sei die literarische Landschaft keineswegs. Deshalb geben die Verlegerinnen auch hauptsächlich Gegenwartsliteratur heraus. Sie wollen jungen Autoren wie Alper Canigüz den Weg auf das internationale Parkett ebnen, doch ein Steckenpferd seien auch Klassiker, die außerhalb der Türkei nicht so bekannt sind, wie etwa die Werke des verstorbenen Oguz Atay.

Für das kommende Jahr hat der Verlag zehn neue Bücher geplant. Obwohl die Verlegerinnen kein Lieblingsbuch oder eine LieblingsautorIn haben, verrät Inci Burhaniye, dass sie gern den 1948 verstorbenen Autor Sabahattin Ali verlegen würde, der in Berlin und Potsdam studierte und in der Türkei als Deutschlehrer gearbeitet hat. Mithilfe von Binooki soll türkische Literatur wie diese nun genauso selbstverständlich wie die aus anderen Ländern werden: „Sie sollte keinen Exotenstatus mehr haben.“

www.binooki.com