Parlamentswahl in Algerien: Zu müde zur Wahl

44 Organisationen wollen ins algerische Parlament einziehen. 21 Parteien sind zur Wahl zugelassen, 7 davon sind religiös. Die Algerier interessiert das nicht.

„Die Leute haben Angst vor einer Veränderung.“ Algier kurz vor der Wahl. Bild: dapd

MADRID taz | Ein Blick auf die Stellwände für die Wahlpropaganda sagt alles. Vielerorts wurden sie umgerissen, die Plakate zerstört, andere mit dem Kartoffelpreis, der sich in wenigen Wochen verdreifacht hat, überschrieben. Die Algerier interessieren sich wenig für die Parlamentswahlen am 10. Mai.

Sie kehren Präsident Abdelaziz Bouteflika den Rücken. Dieser verspricht angesichts der Revolutionen in der arabischen Welt einen „algerischen Frühling“. Das neue Parlament werde die Verfassung überarbeiten und den Algeriern mehr Freiheiten garantieren. Eine niedrige Beteiligung droht Bouteflikas Wahlen zum Schauspiel ohne Publikum verkommen zu lassen.

Bereits vor fünf Jahren blieben knapp zwei Drittel der Wahlberechtigten zu Hause. Dieses Mal ist die Wahlmüdigkeit noch deutlicher zu spüren. Eine der großen Zeitungen des Landes, El Watan, spricht von einem „tiefen Akt des Misstrauens“.

44 Organisationen wollen ins 462 Abgeordnete starke Parlament einziehen. 21 Parteien wurden erst kurz vor der Wahl zugelassen. Insgesamt kandidieren sieben religiöse Parteien. Die drei wichtigsten haben sich zu der „Allianz für ein Grünes Algerien“ zusammengeschlossen. Herzstück ist MSP-Hamas, die seit Mitte der 1990er Jahre das Land mitregiert. Dies ist wohl der Grund dafür, dass auch dieses Bündnis keine wirklichen Begeisterungsstürme auslöst, wie dies die Islamisten im benachbarten Tunesien und Marokko oder in Ägypten taten.

Weltliche Opposition ruft zum Boykott auf

Dennoch glaubt Allianz- und Hamas-Chef Soltani Bouguerra fest an einen Sieg. „Wenn es mit rechten Dingen zugeht, werden wir die stärkste Kraft im neuen Parlament“, erklärt er immer wieder. Die ehemalige Einheitspartei FLN, die seit der Unabhängigkeit Algeriens vor genau 50 Jahren das Land regiert, hofft ebenfalls auf den Sieg. Ändern wird sich so oder so nur wenig. Denn ob Allianz oder FLN, zusammen mit einem dritten Koalitionspartner, der RND des bisherigen Premierministers Ahmed Ouyahia, werden sie wohl auch weiterhin die „Präsidentenmehrheit“ aufrechterhalten und gemeinsam regieren.

Die eigentliche islamistische Kraft des Landes, die 1992 nach ihrem Wahlsieg verbotene Islamische Heilsfront (FIS), ruft ebenso zum Boykott auf wie mehrere weltliche Oppositionsparteien, allen voran die Versammlung für Kultur und Demokratie (RCD). Die vor allem unter der Berberminderheit starke Partei verließ im Februar 2011 das Parlament aus Protest gegen das große Polizeiaufgebot, das Demonstrationen einer zaghaften Demokratiebewegung infolge der tunesischen Revolution unterdrückte. Der Boykott sei der einzige Weg zu einem wirklich radikalen Wandel in Algerien, heißt es bei der RCD.

Präsident Bouteflika kennt die Wahlmüdigkeit der Bevölkerung. Der Staatschef, der sich sonst rar macht, tritt in den letzten Wochen immer wieder vor die Kameras und ruft zur „massiven Wahlbeteiligung“. 500 Wahlbeobachter der Arabischen Liga, der Afrikanischen Union und der EU sollen den Eindruck vermitteln, dass es dieses Mal sauber zugehen wird.

Seit dem Wahlabbruch 1992, der zu einem zehnjährigen, blutigen Konflikt mit 200.000 Toten führte, ist Wahlbetrug an der Tagesordnung. Auch dieses Mal befürchtet die Opposition einen massiven Griff in die Urnen. Denn in nur drei Jahren stieg die Zahl der Wahlberechtigten von 18 Millionen auf über 21 Millionen. Die Wahlbeobachter der EU würden gern Einblick ins Wählerverzeichnis nehmen. Der wird ihnen verweigert.

„Ich befürchte, dass die Algerier endgültig den Glauben an die Demokratie verloren haben“, analysiert der Schriftsteller Boualem Sansal die Lage. Die Politik in Algerien sei nur Fassade, die wirklichen Entscheidungen träfen Generäle und andere einflussreiche Kräfte im Hintergrund. „Die Leute haben Angst vor einer Veränderung. Syrien und Libyen haben gezeigt, dass dem Staat unheimliche Gewaltmittel zur Verfügung stehen“, erklärt Sansal, der im vergangenen Jahr mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde, warum es dennoch nicht zu massenhaften Protesten kommt. Für ihn hat „das Regime gesiegt“.

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