Terrorismus in Nigeria: Im Schatten des Sultans ist es friedlich

Der Terror der islamistischen Gruppe Boko Haram breitet sich in Nigeria weiter aus. Ausgerechnet der Sitz des Oberhauptes der nigerianischen Muslime bleibt friedlich.

„Als ich hier ankam und Auto fuhr, schauten mich die Menschen an, als sei ich eine Außerirdische“: Lehrerin Rahmatu Saleh. Bild: Katrin Gänsler

SOKOTO taz | Der Sultan wird keine Zeit haben. Muhammad Sa’ad Abubakar III soll zwar im Laufe des Nachmittages ankommen, bestätigt sein Sekretär. „Aber morgen früh wird er gleich weiterreisen.“ Der Sekretär schüttelt bedauernd den Kopf und klopft mit seinem Fingern auf die Tischplatte des riesigen Schreibtisches, hinter dem er sitzt. Vor der Tür, die in den dunklen, fensterlosen Raum führt, stehen Besucher Schlange. Jeder möchte mit ihm sprechen, ihn um einen Rat bitten. Vor dem Palast, einem schmucklosen weißen Gebäude, warten ein paar Bettler auf Almosen.

Der Sultan Sokoto ist in Nigeria das geistige Oberhaupt aller Muslime. Der erste Sultan war Usman dan Fodio, der vor gut 200 Jahren in den Heiligen Krieg zog und 1808 das mächtige Kalifat von Sokoto ausrief. Egal, wer danach die Region und dann das spätere Nigeria beherrschte – der Sultan behielt seine Bedeutung.

Der Palast, der Sultan und die Stadt Sokoto, die mit 360.000 Einwohnern im äußersten Nordwesten Nigerias kurz vor der Grenze zum Nachbarland Niger liegt, sind noch heute untrennbar miteinander verbunden. Böse Zungen sagen: Ansonsten hätte Sokoto auch nicht viel – keine Industrie, eine schlechte Anbindung an den Rest Nigerias, kein pulsierendes Leben.

„Als ich vor mehr als 30 Jahren nach Sokoto kam und Auto fuhr, schauten mich die Menschen hier an, als ob ich eine Außerirdische sei“, erinnert sich Rahmatu A. Saleh. Sie sitzt in einem leeren Klassenzimmer, auf dem Schulhof toben hunderte Mädchen und Jungen. Sie lacht. „Und heute ist es manchmal immer noch so.“

Das sei typisch für Sokoto, findet die Lehrerin, die auch Vorsitzende der Vereinigung der muslimischen Frauen im Bundesstaat Sokoto ist. Sie selbst kam 1978. Der Heirat wegen verließ sie ihre Heimat, den Bundesstaat Gombe im Nordosten Nigerias. „Gombe ist ganz anders. Es gibt viele ethnische Gruppen, und meine Leute haben westliche Bildung genossen.“

„Westliche Bildung ist Sünde“

Die Anschläge, die die islamistische Gruppe Boko Haram – der Name heißt „Westliche Bildung ist Sünde“ – in den vergangenen Monaten immer wieder in Gombe verübt hat, würden sie nicht von einer Rückkehr abhalten, wenn sie denn könnte. Dabei gilt ausgerechnet ihre zweite Heimat Sokoto noch als einigermaßen sicher. Seit gut einem Jahr breitet sich Boko Haram durch die gesamte Nordhälfte Nigerias aus. Wo der nächste Anschlag geplant ist, lässt sich mittlerweile nicht einmal mehr erraten. Sokoto aber blieb bisher verschont.

„Es gibt immer wieder Gerüchte, dass Boko Haram auch in Sokoto zuschlagen könnte“, sagt Dan Chijioke vom nichtstaatlichen „Zentrum für Gesundheit, Frieden und Fortschritt“ (3Ps). Einen entscheidenden Vorteil habe Sokoto jedoch: „Viele Einwohner hören noch auf die traditionellen Machthaber. Deren Einfluss ist größer als der von Politikern und Regierung.“ Der Sultan genießt ganz besonderes Ansehen, sagt Dan Chijioke. „Er ist die größte Respektsperson. In den Medien ruft er zum Frieden auf.“

„Wir müssen weiterhin friedlich miteinander leben, ganz gleich, welche Religion wir haben, welcher ethnischen Gruppe wir angehören“, ließ der Sultan von Sokoto zu Beginn des Fastenmonats Ramadan verkünden. Lange ist er dafür auch von vielen Christen im Land gelobt worden. Heute finden viele seine Aussagen zu schwach. Er müsse sich, heißt es, deutlicher gegen den Boko-Haram-Terror aussprechen, dem allein in diesem Jahr mehrere hundert Menschen zum Opfer gefallen sind.

Auf den Sultan zu setzen, das reicht auch Cecilia M. Eseme nicht. Die Leiterin von 3Ps schaut aus ihrem vergitterten Fenster. Der Strom ist mal wieder ausgefallen. „Es sieht friedlich aus, ja. Aber wir müssen auf der Hut sein“, sagt sie skeptisch. Sprengstoff ist auch in Sokoto längst gefunden worden.

Noch mehr Sorge machen ihr allerdings die unzähligen Kinder und Jugendlichen, die aus dem Nachbarland Niger kommen und von ihren Koranlehrern zum Betteln geschickt würden. Solche Kinder werden, wenn sie größer sind, oftmals Rekruten von Boko Haram. „Wenn wir nicht ganz gewaltig aufpassen, dann kann sich Sokoto ganz schnell zu einer Stadt wie alle anderen auch entwickeln. Einflussreiche traditionelle Herrscher hin oder her.“

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